Cyclist: Amateure zollen Profis aus berechtigten Gründen Anerkennung, doch es sind nicht Rennen, die einen Radsportler definieren, weiß Cyclist-Kolumnist Frank Strack.
Immer wieder begegnen wir Rennrad fahrenden Zeitgenossen, die mit großer Vehemenz die Meinung vertreten, dass sich nicht Radsportler nennen dürfe, wer selbst nie Rennen gefahren sei. Wie sind die Regeln zu dieser Thematik?
Straßenrennradfahrer haben den Ruf, elitäre Snobs zu sein. Eine Reputation, die auf solche Leute wie deinen Vereinskollegen zurückzuführen ist, und die von diesen stolz weiter gepflegt wird. Lass mich kurz abschweifen und elaborieren, dass doch eigentlich jeder ein Rennen fahren kann. Dein Kumpel geht mit seinem Urteil nicht soweit, dass er einschränkt, wie gut jemand bei einem Rennen abschneiden muss, um ein Radsportler zu sein. Doch letztlich ist der Sinn eines Wettkampfes doch, zu gewinnen (Regel #70).
Blende ich einmal die Arroganz in seiner Behauptung aus, verstehe ich, wie er zu diesem Schluss kommt. Nichts kommt an die Intensität, Gefahr und Aufregung eines Rennens heran. Das Eng an Eng im Peloton, das Durchfahren enger Kurven, an einem Anstieg alles geben, wenn weiter vorne ein Bergspezialist versucht auszureißen. Schafft man es bis zum Schlusssprint, kommt es darauf an, welcher Fahrer am meisten leiden will. Künstler leiden, weil sie müssen. Radsportler leiden, weil sie sich dazu entschieden haben. Im Training gehen wir ans Limit und bilden Gruppen, um den Druck des Fahrens im Feld während eines Rennens zu simulieren. Früh am Morgen quälen wir uns für einen Tag allein auf dem Rad aus den Federn. Nur, um irgendwann auf den Mann mit dem Hammer zu treffen. Doch ein Rennen ist immer etwas anderes. Dort gibt es eine spezielle Schmerzform, die man nur an einem Renntag erfahren kann. Das Adrenalin, die Geschwindigkeit und der Druck, immer weiter über seine Grenzen hinauszugehen.
Doch nicht jeder ist der Typ für Rennen und Radsport ist weit mehr als nur der Kampf gegeneinander. Beim Radsport geht es um das simple Genießen des Radfahrens und das Gefühl des Freiseins, während man mit dem Wind im Gesicht über den Asphalt rollt. Ein Radsportler schätzt dies mehr als alles andere.
Beim Radsport geht es um Kameradschaft. Es ist unmöglich, neben einem Fremden zu leiden. Sobald die Qual beginnt, ist der Fremde bereits zum Blutsverwandten geworden. Beim Radsport geht es um Geschichte und Etikette. Unser Sport ist mehr als ein Jahrhundert alt und um ihn ranken sich Mythen und Legenden. Er verehrt Tradition und Innovation in gleichem Maße, was zur Bildung einer widersprüchlichen und mit Feinheiten gespickten Kultur führt.
Beim Radsport geht es um die Liebe zum Rad selbst. Das Rennrad ist ein einzigartiges Gefährt. Rahmen, Laufräder und Komponenten sind wunderschöne Dinge, die nicht nur den Geschmack des Fahrers, sondern auch den ihrer Macher widerspiegeln. Das Rennrad ist ein Kunstwerk.
Beim Radsport geht es darum, sich selbst zu finden und weiterzuentwickeln. Es ist eine schwierige Sportart und eine, die voraussetzt, dass man regelmäßig an seine Grenzen und darüber hinaus geht. Man braucht Mut, um sich den Schmerzen eines harten Anstieges zu stellen. Man muss darauf vorbereitet sein, vom Berg verschlungen zu werden, wie die Punkte bei Pacman.
Dieses Leiden reinigt die Seele, und jene, die lernen zu leiden, sind besser für die Herausforderungen des Lebens gerüstet.
All das definiert einen Radsportler. Menschen kompetitiver Natur fühlen sich von Rennen angezogen, aber auch wenn man dies nicht tut, kann man sich selbst zweifelsohne einen Radsportler nennen. Wir sind Radsportler, alle anderen fahren nur Fahrrad.
Die aktuelle Ausgabe der Cyclist ist ab sofort am Kiosk erhältlich. Weitere Informationen gibt es auf der Webseite von bpa-media.