Produktnews: Nach der offiziellen Vorstellung muss der Schwalbe Pro One TLE nun auf heimischen Straßen und in der Werkstatt überzeugen. Kann er die großen Erwartungen erfüllen?
Neues Material weckt immer große Erwartungen. Leichter, aerodynamischer, funktioneller? In den meisten Fällen wird man es leider nicht herausfinden, denn wer kauft sich schon jedes Jahr das neueste Rad, die aktuellsten Laufräder oder eine neue Gruppe? Anders sieht es mit der Bereifung aus: Einerseits ein Verschleißteil, das mindestens jede zweite Saison erneuert werden muss, haben die Gummis andererseits einen beträchtlichen Einfluss aufs Fahrverhalten. Breite, Gewicht und Bauart wirken sich auf Handling, Beschleunigung und Rollwiderstand aus, und dann sind da noch die wichtigen Faktoren Pannenschutz und Grip. Ein harter Pneu, der kaum Schräglage erlaubt, kann einem ebenso den Spaß am Rennradfahrern verhageln wie einer, der ständig Defekt hat.
Da ist es kein Wunder, dass viele Radsportler jährlich auf die Suche nach einem neuen, besseren Reifen gehen – und besonders erfreulich ist es natürlich, wenn ein neues Modell gerade dann auf den Markt kommt, wenn verschleißbedingter Ersatz ansteht. Diesen Herbst war das der Schwalbe Pro One. Sein Vorgänger ist nun auch schon ein paar Jahre alt, und wer vor einem Jahr den neuen Conti 5000 kaufte, braucht nun je nach Fahrleistung so langsam einen neuen Satz Reifen. Warum also nicht den Pro One 2019 ausprobieren, zumal Schwalbe nichts weniger als eine komplette Neukonzeption verspricht.
Geschmeidig dank neuer Karkasse
Was hat der neue Pro One seinem Vorgänger voraus? Schaut man sich das Netzdiagramm an, mit dem Schwalbe die Qualitäten des neuen Modells darstellt, fallen drei Punkte besonders auf: Pannenschutz, Haltbarkeit und „Souplesse“, zu Deutsch „Geschmeidigkeit“. Hier soll der neue Reifen deutliche Vorteile bieten, während die Fortschritte bei Gewicht, Rollwiderstand und Aerodynamik eher gering sind.
Was der Pro One besser kann, verdankt er seinem neuen Karkassenaufbau, der sich deutlich vom herkömmlichen Modell unterscheidet. Turn-up-Konstruktion nennt der Hersteller die Anordnung der Gewebelagen, bei der auf sich überlappende Bahnen unter der Lauffläche verzichtet werden kann – diese stellten beim Vorgängermodell den Raceguard genannten Pannenschutz dar. Stattdessen baut Schwalbe nun eine echte Pannenschutzlage ein, den V-Guard: ein schnittresistentes Gewebe, das beim 25er Reifen 14 mm breit unter der Lauffläche liegt. In der Pannenschutz-Übersicht von Schwalbe liegt dieses Gewebe auf einem Level mit der 3 mm starken Kautschukschicht diverser Tourenreifen, die jedoch den Rollwiderstand in die Höhe treibt – und der ist vom One zum Pro One laut Schwalbe um 13 % gesunken. Die Lauffläche ist dabei etwas stärker, was der Langlebigkeit zugutekommt und natürlich auch für besseren Pannenschutz sorgt. Ohnehin ist der Pro One wie jeder Tubelessreifen doppelt gegen Durchstich geschützt: Sollte sich ein Fremdkörper ganz durch die Karkasse durcharbeiten, verschließt die Dichtmilch in den meisten Fällen das dadurch entstandene Loch ohne größeren Luftverlust.
Ob es überhaupt so weit kommt, sollte unserer Praxistest zeigen, für den uns Schwalbe einen Satz Pro One Tubeless in 28 mm Breite zur Verfügung gestellt hatte. Beim Öffnen des Transportkartons fiel erst einmal die kunstvolle Verpackung auf: Der neue Reifen steckt in einer zweiteiligen Pappschachtel, die ineinandergeschoben wird und in Rot auf Schwarz das neue Logo des Pro One zeigt, das sich auch auf dem Reifen selbst wiederfindet. Davon abgesehen, unterscheidet sich der neue Pro One vom Vorgänger durch die etwas feiner ausgeführten Rillen der „Profilpfeile“; der graue Streifen in der Mitte der Lauffläche ist nach der ersten Fahrt verschwunden. Ins Profil ist als Hinweis auf die optimierte Gummimischung „Addix“ geprägt; die Kennzeichnung „TLE“ macht deutlich, dass dies die Tubeless-Variante des Pro One ist. Der „Tube type“-Reifen ist analog dazu gekennzeichnet, was bei diesem natürlich wichtiger ist – man kann zwar in den Schlauchlosreifen einen Schlauch einziehen, umgekehrt die Standard-Version aber nicht ohne Schlauch fahren.
Schmaler Reifen für breite Felgen
Auf der Waage treffen unsere Muster in 28 mm Breite mit 265/276 Gramm im Durchschnitt die offizielle Gewichtsangabe von 270 Gramm. Dass der neue Pro One auf breitere Felgen mit 19 mm Innenmaß zugeschnitten ist, fällt beim Größenvergleich mit dem Vorgänger auf: Unmontiert ist er ganze 8 mm schmaler als jener (70 zu 78 mm); eine eventuelle Gewichtsreduktion im Vergleich zum alten Pro One wird also aufs Konto des geringeren Materialeinsatzes gehen. Wie vom Hersteller vorhergesagt, wirkt sich die Anpassung an die neuen ETRTO-Normen auf die tatsächliche Breite aus: Auf einer DT-Swiss-Felge mit 18 mm Maulweite misst der neue Pro One „nur“ 27,3 mm, während sein Vorgänger gut 29 mm breit war. (Zum Vergleich: Auf der identischen Felge ist der Conti GP 5000 TL in 25er Breite echte 25,4 mm breit.)
Perfekte Tubeless-Montage des Schwalbe Pro One TL
Schwalbe hat die Reifenwulst des neuen Pro One mit einer Dichtlippe versehen, die die Montage weiter vereinfachen soll – ein schmaler Rand aus Gummi mit der Funktion, für luftdichten Sitz zu sorgen, sodass der Reifen mit einer normalen Standpumpe montiert werden kann. Beim ersten Laufrad klappte das ohne Probleme – sogar ohne Montageflüssigkeit und mit eingeschraubtem Ventileinsatz. Beim zweiten musste dann doch die Spezialpumpe mit Druckreservoir ran, was aber wahrscheinlich an der Felge lag. In solchen Fällen hilft übrigens auch eine zusätzliche Lage Tubeless-Felgenband. Auch ohne Dichtmilch überstanden beide Reifen die erste Nacht im Fahrradkeller ohne starken Luftverlust, was für die verbesserte Form der Reifenwulst spricht.
Auf dem Schwalbe-Launch konnte Velomotion den neuen Pro One bereits in der 30-mm-Version fahren, freilich auf einem fremden Rad und auf unbekannten Strecken. Bereits dort überzeugte der Reifen durch seidenweichen Lauf und maximalen Kurvengrip – laut Entwickler Peter Krischio keine Folge des verbesserten Addix-Compounds, sondern vielmehr ein Vorzug der neuen Karkasse, die sich besser an den Untergrund anschmiegt. Im Herbsturlaub am Mittelmeer sowie auf einigen Touren zuhause bei spätsommerlichem Wetter bestätigte sich dieser Eindruck. Der Reifen zeigte sich geschmeidig und schnell; gerade im Vergleich zu seinem Vorgänger, aber auch zu aktuellen Konkurrenten wirkte er dynamischer und sensibler. Wieder schien stärkere Schräglage als gewohnt möglich zu sein, zumal der Reifen seine positiven Rolleigenschaften auch bei eher niedrigem Druck behielt – wir fuhren ihn mit rund 5,5 bar (Systemgewicht Fahrer + Rad ca. 85 Kilo), womit er sich auch auf unebenem Asphalt festsaugte, anstatt zu springen. Von „22 % mehr Kurvengrip“ spricht Schwalbe im Prospekt, und man ist geneigt, es zu glauben.
Rundum überzeugende Gesamtperformance
Dass der Reifen auf unserem DT-Radsatz mit 18 mm Maulweite etwas schmaler ausfällt als die Nennbreite von 28 mm, kann übrigens durchaus positiv gesehen werden. Ein Reifen, der sich auf knapp 30 mm aufbläht, verändert merklich das Handling; nicht zuletzt dadurch, dass er bei gleicher Kurvengeschwindigkeit etwas mehr Schräglage nötig macht. Und Nachteile bei Komfort oder Rollwiderstand sind auch nicht zu erwarten: Neuere Rollwiderstandsversuche (https://www.bicyclerollingresistance.com/specials/grand-prix-5000-comparison) zeigen, dass breitere Reifen je nach Druck entweder leichter oder komfortabler rollen – aber nicht beides zugleich.
Dass unsere Testreifen die knapp 250 km auf guten Straßen defektfrei blieben, ist Ehrensache und sagt wenig über den Pannenschutz des neuen Pro One aus. Inzwischen empfiehlt Schwalbe freilich, 40 bis 60 ml Dichtmilch pro Reifen einzufüllen – dies sei der besseren Pannen-Prophylaxe geschuldet. Sicher kein schlechter Rat, denn bei größeren Beschädigungen kann es vorkommen, dass recht viel Milch entweicht, bevor sich ein ausreichend großer Pfropf gebildet hat, um das Loch zu verschließen.
Lohnt sich die Investition in den neuen Pro One Tubeless, für den Schwalbe immerhin 69,90 € aufruft? Auf jeden Fall, zumal er in der echten Welt für deutlich geringere Summen gehandelt wird. Was seine Fahreigenschaften angeht, ist der Reifen eine Klasse für sich; was Pannenschutz und Haltbarkeit angeht, sind keine bösen Überraschungen zu erwarten. Bis zur nächsten Reifen-Sensation am Markt wird er allemal halten.