Spektrum: Dopen alle oder keiner? Dopen alle Radsportler und im Fußball niemand? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. So wie eine Studie der Krankenkasse DAK ergeben hat, dass 12 % aller Arbeitnehmer dopen, um effektiver arbeiten zu können – Doping also in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Wenn schon 12 % der arbeitenden Bevölkerung zur Leistungssteigerung nachhelfen, ist doch logisch, dass auch Menschen, die mit Sport ihr Geld verdienen in Versuchung geraten … ganz egal ob sie Rad fahren, Ball spielen oder turnen.
Doping ist ein höchst sensibles Thema, gerade im Radsport. Viele Fans, Profis und auch Journalisten können es nicht mehr hören. Nachdem es im letzten Jahr etwas ruhiger geworden war, drängte sich die Problematik in den letzten Monaten wieder etwas mehr in den Vordergrund. Lässt sich daran ein besorgniserregender Trend ablesen? Oder ist es doch nur viel Luft um nichts?
Nach der Saison 2012 und Armstrongs Geständnis Anfang 2013 drehte sich die Radsportwelt scheinbar leider nur um dieses eine Thema: Doping. In der Öffentlichkeit wurde eine ganze Sportart und alle Sportler abgestempelt und vom großen Teil der Medien auf die Stille Treppe geschickt. Seitdem hat sich viel getan. Eine neue Generation von Profis hat sich nach vorn gearbeitet, deren Aussagen Hoffnung auf eine saubere Zukunft des Sports machen. Nicht zuletzt in Deutschland scheint der Sport eine Art Renaissance zu erleben: Mit zwei deutschen Profiteams und der Rückkehr der Tour in das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen scheinen die Weichen in Richtung einer positiveren Zukunft gestellt.
Doch in den vergangenen Monaten häuften sich wieder die Meldungen mit Bezug auf Doping. Dabei waren es noch nicht einmal positive Proben, die es in die Schlagzeilen der Presse schafften – wenngleich es diese natürlich auch gab. Insbesondere der Fall des österreichischen Jedermannfahrers Emanuel Nösig erregte innerhalb der Radsportszene die Gemüter. Am 14. September war er positiv getestet und infolgedessen im Februar diesen Jahres vom Österreichischen Radsportverband auch suspendiert worden. Auch im Profibereich gab es wieder vereinzelte positive Proben – vor einigen Wochen beispielsweise der AG2R-Profi Lloyd Mondory.
Doch waren es nicht diese Stories, die für Aufsehen sorgten. Es waren vielmehr Dinge wie beispielsweise das BBC-Interview von Lance Armstrong im Februar. Dort sprach er zum ersten Mal seit seinem berühmt-berüchtigten Oprah-Interview wieder offen über seine Dopingvergangenheit. Dabei deutete er auch an, dass er auch rückblickend von heute, in der in der Situation, in der er als junger Profi war, eventuell wieder dopen würde. Natürlich schaffte es Armstrong mit dieser Aussage auf das eine oder andere Titelblatt internationaler Sportzeitschriften. Doch worauf nur selten hingewiesen wurde: Er sagt auch, dass er als Jungprofi in der heutigen Zeit wohl nicht mehr so handeln würde. Ist heute also alles besser?
Auf diese und weitere Fragen versuchte der vor einigen Wochen veröffentlichte CIRC-Bericht Antworten zu geben. Diese fielen leider nicht durchweg positiv aus. Demnach konnte durch die jüngsten Maßnahmen zwar das von den Teams organisierte Doping im Profibereich weitestgehend unterbunden werden, doch das Problem besteht weiterhin – es wurde nur in den Untergrund gedrängt. Die Situation ist inzwischen wesentlich undurchsichtiger – während in der Vergangenheit oftmals innerhalb des Pelotons völlig offen mit der Thematik umgegangen wurde, ging mit den Ereignissen der letzten Jahre eine Tabuisierung einher. Laut dem Bericht wissen viele Teams nicht sicher, ob ihre Fahrer sauber sind – und wollen es leider oft auch gar nicht wissen. Ebenso gibt es wohl Hinweise darauf, dass sowohl mit neuen Substanzen experimentiert, als auch technisches Doping in Form von im Rahmen verborgenen Hilfsmotoren betrogen wird.
UCI-Präsident Brian Cookson versprach unmittelbar nach der Veröffentlichung des CIRC-Berichts, die darin angeprangerten Missstände – auch innerhalb der UCI – anzugehen und den eingeschlagenen, strengen Anti-Doping-Kurs beizubehalten: „Ich bin fest dazu entschlossen, den CIRC-Bericht dazu zu benutzen, die Entwicklung des Radsports voranzutreiben, um das Vertrauen der Fans, der Medien und der cleanen Fahrer zurückzugewinnen.“ Anscheinend hat man bei der UCI den Bericht tatsächlich aufmerksam gelesen und handelt auch danach – beispielsweise wurden laut einem Bericht des Portals cyclingnews.com nach Mailand – San Remo insgesamt 36 Räder auf versteckte Motoren kontrolliert.
Auch die Empfehlung der UCI, dem umstrittenen kasachischen Astana-Team die Lizenz zu entziehen, kann im Kontext des Berichts betrachtet werden. Eine vom Sportinstitut in Lausanne durchgeführte Untersuchung hatte erhebliche Diskrepanzen zwischen der Selbstdarstellung des Teams gegenüber der Lizenzierungskommission und der Realität festgestellt. Angeblich musste sich der Rennstall bis zum 20. März gegenüber der Lizenzierungskommission erklären – noch gibt es keine Neutigkeiten zum Stand des Verfahrens. Allerdings gibt es beispielsweise bereits Signale von Giro-Chef Mauro Vegni, Astana eventuell auch ohne gültige Lizenz starten zu lassen: „Wenn alte Vorfälle zur Begründung eines eventuellen Entzugs herangezogen werden sollten, dann sehe ich nicht, dass man die aktuellen Fahrer bestrafen sollte.“
Auch auf Deutschland bezogen gab es in den vergangenen Wochen wieder vermehrt Meldungen zum Thema Doping. Hier ging es allerdings zur Abwechslung nur periphär um den Radsport – eine Untersuchungskommission die sich mit den Tätigkeiten der Uni Freiburg bzw. Dr. Klümper in den 70er und 80er Jahren befasste, stieß nämlich nicht nur auf die bekannten Verbindungen zum BDR, sondern auch zu den Profifußballteams des VFB Stuttgart und des SC Freiburg. Diese Erkenntnis war Wasser auf die Mühlen vieler Radsportfans und -profis: Wieso immer der Fokus auf den Radsport? Doping ist auch in anderen Sportarten ein Problem.
Eine erst letzte Woche von der Krankenkasse DAK-Gesundheit veröffentlichte Studie zeigt sogar, dass Doping kein dem Sport exklusives Problem ist: Vielmehr handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Demnach nehmen beispielsweise zur Zeit ca. 3 Millionen Arbeitnehmer leistungssteigernde oder stimmungsaufhellende Medikamente, um die eigene Produktivität zu steigern. Die Dunkelziffer liegt wohl noch viel höher. Im Gegensatz zum Sportbereich wird im Arbeitsalltag natürlich eher mit sogenanntem Hirndoping gearbeitet, doch letzten Endes ist es dasselbe Problem in einem anderen Gewand.
Wohin führt also der Weg des Radsports durch den unwegsamen Dopingsumpf? Trotz der in der letzten Zeit wieder steigenden Präsenz der Thematik lässt sich eine positive Entwicklung erkennen: Beispielsweise zeigt ja der CIRC-Bericht bei allen negativen Nachrichten auch, dass die Maßnahmen im Profibereich durchaus Wirkung gezeigt haben. Auch die Kontrollen nach Mailand – San Remo zeigen: Die UCI hat zumindest teilweise aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Im Endeffekt hängt aber doch alles nach wie vor davon ab, ob ein Umdenken in den Köpfen der Fahrer und der Verantwortlichen stattfindet. Zumindest bei den jüngeren Fahrern scheint dies bereits stattgefunden zu haben – jetzt gilt es, den eingeschlagenen Weg gemeinsam weiterzugehen: Fahrer, Verantwortliche, Funktionäre und Teams.