Tour de France: Der Träger des Gelben Trikots wehrt sich vehement gegen Dopingverdächtigungen und aufgebrachte Zuschauer – und problematisiert die Presse. Ein Kommentar von Moritz Pfeiffer.
Sind Chris Froomes Leistungen unangenehm anzusehen, wie Laurent Jalabert kürzlich im französischen Fernsehen urteilte? Ich meine: im Wortsinn ja. Würde der Fahrstil bei der Tour de France in die Gesamtwertung einfließen, hätte der Brite keine Chance auf das Gelbe Trikot. Wer sich wie ich erfreuen kann an Anmut auf dem Rad und pedalierender Eleganz, der fühlt sich unangenehm berührt, wenn er Froome mit weit abgewinkelten Ellenbogen, den Kopf zwischen den Schultern gesenkt in die Pedale stampfen sieht. Mit Verlaub: Der Brite sitzt auf dem Rad wie ein Affe auf dem Schleifstein. Seinem Fahrstil wohnt etwas Ungeschliffenes inne, seine ungelenken Attacken strahlen rohe Gewalt aus. Sie sind nicht nur für die Konkurrenz vernichtend, sondern auch für das Auge.
Doch ist die Performance von Chris Froomes auch übernatürlich und ohne Doping nicht zu erklären? In den letzten Jahren haben manche Radsport-Beobachter versucht, Leistungen anhand von Zahlen und Daten zu überprüfen. Aufwändig wurden Steigungswerte, Distanz und Geschwindigkeit in Verbindung gebracht mit Körpergröße und -gewicht. Bei seinem Etappensieg in La Pierre Saint Martin soll Froome demnach über 41 Minuten lang eine Leistung von 6.1 bis 6.2 Watt pro Kilogramm Körpergewicht erbracht haben – kein Beweis für Doping, aber nach Ansicht mancher Beobachter durchaus Anlass zur Skepsis.
Ausgerechnet Lance Armstrong twitterte zuletzt: „Froome, Porte, Sky sind sehr stark. Zu stark, um sauber zu sein? Fragt mich nicht.“ Ex-Profi Cédric Vasseur dachte laut über technische Manipulationen an den Team-Rädern nach: „Ich sage nur, dass ich nicht verstehe, wie Froome seine Beine immer noch schnell drehen kann, wenn alle anderen bereits scheitern. Wenn im Radsport wie bei der Formel 1 regelmäßig die Räder überprüft würden, gäbe es weniger Fragen. Chris Froome müsste der Erste sein, der so argumentiert.“
Dieser vertritt hingegen die Ansicht, dass kritische Journalisten und Ex-Profis der Grund für das teilweise negative Image des Teams Sky sind: „Nach meinem Sieg vor ein paar Tagen und der Art, wie mein Team gefahren ist, gab es sehr viele verantwortungslose Berichte. Das ist inakzeptabel. Es sind inzwischen nicht mehr die Fahrer, die den Sport in Verruf bringen, sondern diese Individuen.“ Nach dieser Logik bin ich einer der Skeptiker, ein verantwortungsloses Individuum.
Denn mich persönlich erinnern die Leistungen des Team Sky in fataler Weise an die Zeiten von US-Postal. Wie seinerzeit das Armstrong-Team erdrückt Sky die Tour mit seiner Dominanz. Wie einst Heras, Rubiera und Armstrong zerlegten Thomas, Porte und Froome bei der ersten Bergetappe mit hohem Tempo von der Spitze das gesamte Peloton. Und die Helfer, die offenbar besser in Form sind als so mancher Top-Favorit auf den Gesamtsieg, erreichten nach getaner Arbeit nicht abgeschlagen das Ziel, sondern auf vorderen Etappen- und Gesamtwertungsrängen.
Es wäre schön, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, wenn das Team Sky einfach härter trainiert hat als die anderen Mannschaften, die Fahrer den Sieg mehr wollen und sich stärker quälen können. Und es wäre auch schön, wenn die von Fahrern und Verantwortlichen seit einigen Jahren wie ein Mantra wiederholte Aussage zutreffen würde, im Radsport sei eine neue Ära angebrochen und neue Sportler mit einer anderen Sozialisierung gingen ihrem Beruf mit einer anderen Ethik nach. Ich würde es dem Radsport wünschen und möchte auch daran glauben, dass die Verhältnisse besser sind als in den 1990er und 2000er Jahren.
Doch die Vergangenheit hat Vorsicht gelehrt. Und diese kann ich auch angesichts mancher Leistungen bei der diesjährigen Tour de France nicht ablegen. Körperliche Angriffe und Urin-Attacken, wie Sky sie nach eigener Angabe erlitten hat, sind natürlich ein No-Go. Doch wenn Froome Journalisten vorwirft, die Tour in Verruf zu bringen, tut er sich offensichtlich schwer mit der Tatsache, dass der Radsport angesichts seiner Vergangenheit mit Zweifeln leben muss. Sein kryptisches, an kritische Journalisten gerichtetes „Sie wissen, dass sie gemeint sind“, sollte niemanden davon abhalten, sich eine eigene Meinung zu so mancher Leistung zu bilden. Und die Historie hat leider gezeigt, dass Geschichten, die zu schön waren, um wahr zu sein, meist auch nicht wahr waren.