Radsport: In einem ausführlichen Interview mit der italienischen Sportzeitung Gazzetta dello Sport warnt Katusha-Teamarzt Massimo Besnati vor ausuferndem Medikamentenmissbrauch im Peloton – vor allem Schlafmittel seien beliebt und würden zunehmend auch mit Alkohol kombiniert. Auch das Dopingproblem sieht er noch lange nicht besiegt.
Anlass für das Interview war der ex-Katusha Profi Luca Paolini, der in der vergangenen Saison positiv auf Kokain getestet und folglich gesperrt wurde. Paolini gestand in diesen Tagen auch öffentlich sein Drogenproblem – der 38-jährige ist nicht nur von Kokain abhängig, sondern nutzt auch regelmäßig Medikamente wie Schlafmittel. Laut seinem ehemaligen Teamarzt Besnati ist Paolini allerdings keine Ausnahme und warnt davor, dass der Missbrauch solcher Substanzen überhand nimmt: „Ich wäre Pinocchio, würde ich sagen, der Kampf gegen Doping sei gewonnen – momentan ist der Gebrauch von Schlafmitteln allerdings schlimmer und wesentlich weiter verbreitet.“
Vor allem die Strapazen während der dreiwöchigen Rundfahrten würden so sehr an der Psyche und dem Körper der Athleten zehren, dass nur wenige von ihnen noch ohne entsprechende Medikamente einschlafen könnten. „Die Fahrer nehmen diese Präparate wegen des großen Stresses und der zunehmenden Erschöpfung während der Etappenrennen.“ Nachdem in den vergangenen Jahren die pharmazeutischen Produkte nach und nach verboten wurden, steigen laut Besnati immer mehr Fahrer auf pflanzliche Präparate um, die sie dazu noch mit Alkohol kombinieren, um die Wirkung zu verstärken. „Das ist eine explosive Mischung. Schrecklich.“
Der sehr erfahrene Sportmediziner geht auch auf den inneren Kampf ein, den sich viele Fahrer liefern. Es gäbe viele Fahrer, „die solche Methoden nicht anwenden möchten. Doch die haben dann Probleme sich ordentlich zu erholen. Wenn man zu müde ist, kann man kaum einschlafen. Schaut euch doch mal die Fahrer in der letzten Woche einer Rundfahrt an. Nur noch Haut und Knochen!“ Zudem berichtet Besnati auch von augenscheinlich legalen ‚Rauschmitteln‘, die von den Fahrern benutzt werden – vor allem Alkohol ist ein Problem. „Gerade unter den jungen Fahrern ist Alkoholmissbrauch sehr verbreitet. Sie trinken sehr viel.“
Ebenso greifen zahlreiche Profis auf das sogenannte ‚Snus‘ zurück – dabei handelt es sich um eine Form des Kautabaks, der in den Mund gesteckt wird und einen stimulierende Effekt hat. Während die Nebenwirkungen nicht so schwerwiegend sind wie bei Zigaretten, bekommen viele Snus-Konsumenten auf Dauer Probleme mit Zähnen und Zahnfleisch. „Wenn man genau hinschaut, sieht man bei vielen Fahrern rotes und geschwollenes Zahnfleisch,“ sagt Besnati. In Deutschland ist der Verkauf von Snus übrigens illegal – aber vor allem in Schweden und Norwegen ist der besondere Kautabak sehr beliebt.