Test: Der Klassiker im Programm der US-Marke ist so aktuell wie nie, denn während Stahlrahmen vor 20 Jahren eine Notwendigkeit waren, liebt man sie heute um ihrer Selbst willen. Vor allem, wenn sie Disc-tauglich sind.
Auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag – als „retro“ muss sich dieses Rad nun wirklich nicht bezeichnen lassen. Vielmehr ist es im Grunde schon immer dagewesen; seine Geschichte beginnt vor nahezu 20 Jahren oder länger, je nachdem, wo man den Anfang setzt.
Tom Ritchey gehört zu jenen Mountainbike-Pionieren, die noch wirklich etwas herzustellen wussten. Der Mann mit dem markanten Schnauzbart ist nicht nur Ideengeber und Entwickler, sondern war auch als Rahmenbauer und ein echter Handwerker. Längst ist diese Facette seines Unternehmens hinter ein riesiges Komponenten-Sortiment gerutscht und wird nicht mehr so wahrgenommen, wie es ihr gebührt. Und das ist vielleicht der Grund dafür, dass ein Rad wie das Ritchey Swiss Cross Disc erst einmal in eine Reihe mit den diversen Scheibenbremsen-Stahlrahmen-Kreationen gestellt wird, die in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind – trendy und retro eben.
Doch das Ritchey Swiss Cross hat Geschichte. Es ist eng verbunden mit Thomas Frischknecht, der Schweizer Mountainbike-Legende, den Ritchey Mitte der 1990er Jahre mit Material ausstattete. Zu jener Zeit war es völlig normal, auf Stahl-Hardtails zu starten, und jene des Schweizers wurden von Tom Ritchey gefertigt. Und da Frischknecht immer zwischen den zwei Disziplinen Mountainbike und Querfeldein pendelte, war es logisch, dass der Amerikaner ihn auch mit Crossrädern versorgte. Seinen wohl größten internationalen Erfolg landete Frischknecht 1997 als Zweiter der Cross-WM, mal abgesehen vom Weltcup-Sieg in Zeddam zwei Jahre später.
Seit jener Zeit hat es in der Modellpalette von Ritchey immer ein Querfeldeinrad aus Stahl gegeben; die Großhersteller dagegen haben längst auf Aluminium und Carbon umgestellt. Und da Tom Ritchey selbstverständlich mit der Zeit geht, ist das Swiss Cross nun eben auch mit Scheibenbremsen erhältlich.
Was fällt beim Betrachten des Ritchey Swiss Cross Disc als Erstes auf? Natürlich die schlanken Formen des Rahmens, der teils gemufft, teils geschweißt ist und etliche schöne Details bietet. Ein Ritchey-Klassiker ist die Sattelmuffe, bei der die Hinterstreben in der Klemme zusammenlaufen – so etwas sah man früher nur bei wirklich edlen Stahlrahmen. Auch die eingezogenen Ausfallenden sind sehenswert (rechts mit Ritchey-Logo versehen), ebenso der Sockel für den Bremssattel, der über eine Verstärkungsbrücke verfügt. Um Platz für die Bremse zu machen, ist die linke Hinterstrebe geschwungen.
Vorne fällt das „Sanduhr“-Steuerrohr ins Auge, das auf einen semiintegrierten Steuersatz zugeschnitten ist. Eine klassische Variante wäre vielleicht schöner, würde sich aber nicht mit der 1 1/8-Zoll-Gabel vertragen. Diese besteht natürlich aus Carbon und bildet optisch einen deutlichen Gegensatz zum Rahmen. Unwillkürlich fragt man sich, ob eine Stahlgabel nicht besser passen würde, zumal das Material an dieser Stelle auch einen wahrnehmbaren Komfort-Faktor bieten könnte. Das Ritchey Swiss Cross fühlt sich nämlich wie so ziemlich jeder Crosser aus einem anderen Rahmenmaterial an: beim Antritt ziemlich steif, was natürlich zum Teil vom „Feeling“ der Bereifung überlagert wird, und dabei so komfortabel, wie ein Diamantrahmen eben sein kann, der mit einer immerhin recht schlanken, weit ausgezogenen Alu-Stütze ausgestattet ist – nicht sehr komfortabel eben, wobei natürlich auch hier wieder die Reifen ins Spiel kommen.
Tom Ritchey bietet keine kompletten Bikes an, sondern nur Rahmensets; die Bestückung mit Shimano Ultegra seitens des Importeurs ist eine naheliegende, wenn auch nicht sehr originelle Wahl. Die Funktion der Gruppe ist wie üblich perfekt – weiche, exakte Schaltvorgänge und eine Bremsperformance, die mit feiner Modulation begeistert und viel Sicherheit vermittelt. Zu scharf ist die Shimano-Disc nämlich nicht; dass man im Eifer des Gefechts das Vorderrad blockiert, ist eher unwahrscheinlich.
Sämtliche Anbauteile tragen Tom Ritcheys WCS-Logo, das für hohe Qualität und niedriges Gewicht steht. Zu den Parts gehört der Monorail-Sattel mit entsprechender Stütze, eine Kombination, die in Längsrichtung einen ungewöhnlich großen Verstellbereich aufweist und natürlich stufenlos in der Neigung justierbar ist. Ebenfalls ungewöhnlich ist der Kompaktlenker mit nach außen gestellten Bögen. Diese sorgen dafür, dass die Bremsgriffe leicht schräg stehen, was sich aber durchaus angenehm anfühlt.
Auch der Laufradsatz stammt von Ritchey; montiert ist ein WCS Zeta Disc mit 24 Speichen und 24 mm breiten Felgen, die wiederum mit den hauseigenen „Shield“-Reifen in WCS-Qualität besohlt sind.
Und diese Pneus sind es, mit denen der Fahrspaß auf dem Ritchey Swiss Cross anfängt. Da uns das Testrad mit einem platten Reifen erreichte, montierten wir flugs Latexschläuche vorne und hinten – beim Faltreifen-Crosser angeraten, wenn man mit niedrigem Luftdruck fahren will. Mit nur 2,2 bar loszulegen erschien uns anfangs riskant aufgrund der Durchschlagsgefahr, doch alle Sorgen waren unbegründet. Stattdessen bot der Shield einerseits extrem guten Grip auf nassem, rutschigem Untergrund, andererseits rollte er hervorragend ab. Die große Stunde des Reifens schlug dann auf einem Reitweg mit tiefer Split-Schicht, in die sich 32 Schlauchreifen tief eindrücken und ins Schlingern kommen, was das Fortkommen ziemlich erschwert. Der 37 mm breite Shield jedoch schwamm regelrecht auf dem tiefen Belag und hielt sauber die Spur. Seitliches Wegknicken in scharf gefahrenen Kurven, wie es angesichts des geringen Luftdrucks zu erwarten war, mussten wir auch nicht beobachten. Klar, Puristen und Querfeldeinfahrer der alten Schule gehen mit Faltreifen nur ungern ins Gelände. Dieser Pneu lässt einen jedoch ins Grübeln kommen…
Auch ein Blick in die Geometrietabelle macht nachdenklich. Dort stellt man nämlich fest, dass das Swiss Cross mit seinen Maßen irgendwo zwischen klassischem Crosser und Straßenrennrad liegt. Der Lenkwinkel beträgt bei den größeren Ausführungen 72 Grad; beim 57er Rahmen misst das Oberrohr horizontal 568 mm, das Steuerrohr 170 mm. Das führt zu einer ausgewogen-sportlichen Sitzposition und einem gutmütig-agilen Handling, mit dem man auf der Straße wie im Gelände gut zurechtkommen kann. Damit ist das Swiss Cross also durchaus ein Allrounder, der mit einem schlichten Reifenwechsel für ganz unterschiedliche Einsatzzwecke fit gemacht werden kann. Und zwischen Querfeldein und Straße gibt es ja auch noch Gravel…
Hat Tom Ritcheys Scheibencrosser naben all diesen guten Seiten auch noch ein paar Nachteile? Gelegentliche Schleifgeräusche unterm Gabelkopf wiesen uns darauf hin, dass der Durchlauf an dieser Stelle recht knapp bemessen ist; hier können sich Matsch und Laub ansammeln. Die komplett außen geführten Züge und Leitungen wiederum mögen zwar die Wartung erleichtern, stören aber etwas die schlanken Linien des Crossers. Eine Innenverlegung im Rahmendreieck wäre ein Traum und würde auch das Reinigen und Tragen erleichtern.
Apropos: Beim Schultern des Ritchey Swiss Cross merkt man dann doch, dass man ein Stahlrad fährt. Ohne Pedale wiegt das Bike 9,1 Kilo (Rh. 55), und mit dem schlanken runden Oberrohr drückt es beim Tragen dann schon etwas. Dies ist dann aber auch der einzige Nachteil, den man in Kauf nehmen muss, wenn man diesen modernen Klassiker fahren will, der übrigens ausgesprochen bezahlbar ist: 1.099 Euro kostet das Rahmenset offiziell. Wer ein Rad sucht, das zu den aktuellen Trends passt, sie aber längst vorweggenommen hat – hier ist es.
Fazit
Tom Ritcheys Klassiker ist gerade mit Scheibenbremsen hochaktuell. Das schlanke Stahlrad fährt sich super, Ritchey-Bauteile wie die Reifen sollten auch bei individueller Bestückung gewählt werden.
Pro
- Schöner, traditionsreicher Stahlrahmen mit sportlicher Allround-Geometrie
- Viele hochwertige Ritchey-Anbauteile
- Top funktionierende Schaltung und Bremsen am Testrad
Contra
- Zugführung könnte eleganter sein
- Naturgemäß nicht superleicht
Preis und Web
- 1.099 Euro (Rahmenset)
- www.ritcheylogic.com