Radsport: Nach Milan-Sanremo und zahlreichen Halbklassikern sind nun auch die beiden mit Kopfsteinpflaster bestückten Monumente 2017 Geschichte. Mit Philippe Gilbert (Quick-Step Floors) und Greg Van Avermaet (BMC) konnten sich zwei Belgier durchsetzen. Ein weiterer Belgier stand auf Grund seines Karriereendes im Mittelpunkt: Tom Boonen. Wir freuen uns zwar bereits auf die Ardennen-Klassiker und im Mai auf die erste Grand Tour, doch blicken noch einmal zurück auf die Ronde van Vlaanderen und auf Paris-Roubaix. Welche Erkenntnisse konnten wir daraus gewinnen?
1. Greg Van Avermaet ist endgültig ein großer Siegfahrer
Wie oft hatten die Experten in den vergangenen Jahren Greg Van Avermaet als Siegkandidaten auf der Rechnung? Der Belgier gilt seit vielen Jahren als starker, zäher und endschneller Fahrer. Ein großer Sieg blieb ihm jedoch oft verwehrt. Bis zum Jahr 2015 waren seine größten Erfolge ein Etappensieg bei der Vuelta a Espana, zwei Gesamtsiege bei der Tour de Wallonie und Paris-Tours. 2015 gewann er nach seinem Erfolg bei der Tour de Belgique endlich seine erste Etappe bei der Tour de France. Sein Knoten schien zu platzen. Im Jahr 2016 feierte er zahlreiche Erfolge, unter anderem erneut einen Etappensieg bei der Tour de France mitsamt dem Tragen des Gelben Trikots. Omloop Het Nieuwsblad, Tirreno-Adriatico und den GP de Montréal sicherte er sich ebenso. Die Krönung war natürlich der Gewinn der Goldmedaille in Rio.
Ob dieses Jahr nur ein Ausreißer sein sollte oder nun seine neue Grundstärke an die Oberfläche schwappen ließ, fragten sich einige Experten. Die Antwort gab der Belgier direkt im ersten Saisonviertel. Er schnappte sich Platz eins bei den namhaften Klassikern Omloop Het Nieuwsblad, E3 Harelbeke, Gent-Wevelgem und Paris-Roubaix. Nach diesem Monument gibt es keine Zweifel: Greg Van Avermaet ist endgültig zu einem Siegfahrer gereift.
2. Belgien dominiert die Pavé-Klassiker
Dass Belgien eine Radsport-Nation ist, dürfte keinen Fan mehr überraschen. Dass unsere kleinen Nachbarn aber die Kopfsteinpflaster-Klassiker in diesem Jahr so dominieren würden, konnte wohl niemand ahnen. Durch seinen Sieg bei Kuurne-Brüssel-Kuurne konnte eigentlich nur Peter Sagan (Bora-hansgrohe) eine Ausnahme machen. Allein Olympiasieger Greg Van Avermaet (BMC) feierte mit seinen Siegen bei Omloop Het Nieuwsblad, E3 Harelbeke, Gent-Wevelgem und Paris-Roubaix vier Erfolge. Philippe Gilbert (Quick-Step Floors) sicherte sich die Ronde van Vlaanderen und die kleine Rundfahrt Driedaagse De Panne-Koksijde. Dwars door Vlaanderen ging natürlich ebenfalls an einen Belgier: Yves Lampaert (Quick-Step Floors).
3. Nicht jedem Profi ist das perfekte Karriereende vergönnt
Jeder Sportler träumt nach einer langen und erfolgreichen Karriere von einem perfekten Abschluss. Bei einem Radprofi wäre ein Sieg bei einem großen Rennen der beste Moment um aufzuhören. Fabian Cancellara hat diesen Moment perfekt abgepasst, als er im vergangenen Jahr die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen von Rio auf der Straße gewinnen konnte. Ähnliches erhofften sich die Fans von Tom Boonen für ihren Tommeke. Der Kopfsteinpflaster-Spezialist wollte bei seinen Lieblingsrennen Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix mit einem Sieg abtreten. Am Ende genügte es für die Plätze 37 und 13. Immerhin fuhr im März er in der Heimat bei Gent-Wevelgem und E3 Harelbeke in die Top 10. Seinen letzten Sieg feierte er am 24. Januar bei der Tour de San Luis. Obwohl im der perfekte Abschluss verwehrt blieb, gehört Tom Boonen zweifelsohne zu den prägendsten Fahrern unserer Zeit.
4. Es gibt keine jungen und alten Fahrer, nur gute und schlechte
Fußballtrainer Otto Rehhagel hat es bereits erkannt: Das Alter ist nicht entscheidend für die Qualitäten eines Sportlers. Sehen können wir dies nahezu bei jedem Radrennen. Bei harten und langen Eintagesklassikern tun sich die jungen Fahrer besonders schwer. Daher landen selten U25-Piloten in den Top 10. Gelungen ist das in diesem Jahr Dylan Van Baarle (Cannondale-Drapac) bei der Ronde van Vlaanderen mit den Rängen sechs und vier schon zum zweiten Mal in Folge. Bei Paris-Roubaix waren die kommenden Stars in diesem Jahr schon besonders stark. Mit Gianni Moscon (Sky) fuhr ein erst 22-jähriger auf Rang fünf und in Person von Jasper Stuyven (Trek-Segafredo) ein 24-jähriger auf Platz vier. Auch drei Piloten der Jahrgänge 90 und 91 landeten in den Top 10: Arnaud Demaré (FDJ), Edward Theuns (Trek-Segafredo) und Adrien Petit (Direct Energie).
5. Alle schlechten Dinge sind drei: Peter Sagan gleich dreimal im Pech
Keine Frage: Peter Sagan (Bora-hansgrohe) gehört zu den besten Fahrern der Welt. Nicht nur deshalb, weil er das Weltmeistertrikot bereits im zweiten Jahr in Folge auf seinen Schultern trägt, sondern auch, weil er in so vielen Rennen zu den Favoriten zählt. Oft hat der Slowake dann die Nase auch tatsächlich vorn. Häufig muss er sie jedoch davor auch ziemlich oft in den Wind strecken, da seine Weggefährten mit ihm zusammen nicht fahren wollen. So geschehen zum Beispiel zuletzt bei Milan-Sanremo. Michal Kwiatkowski (Sky) verweigerte die Mitarbeit und schlug Sagan dann im Sprint um den Sieg.
Auf eine andere Art und Weise Pech hatte Sagan bei den Kopfsteinpflaster-Klassikern. Während meist alle guten Dinge drei sind, standen bei Sagan direkt drei schlechte Erfahrungen auf dem Programm. Beim Halbklassiker E3 Harelbeke stürzte Sagan, bei der Flandern-Rundfahrt kam er ebenfalls zu Fall und bei Paris-Roubaix erlitt er gleich zweimal während einer Attacke einen Defekt. Das kann selbst Peter der Große nicht wegstecken. Umso beeindruckender ist die Tatsache, dass man dennoch von keinem Missglückten Saisonstart sprechen kann. Sagan gewann drei Rennen und landete weitere neunmal auf dem Podium.
6. Am Hinterrad lutschen führt nicht immer zum Erfolg
Neben vielen schönen und tragischen Geschichten, gab es bei Paris-Roubaix auch eine kontroverse zu beobachten. Auf den letzten Kilometern ackerte Greg Van Avermaet (BMC) für seinen Sieg, während es sich Zdenek Stybar (Quick-Step Floors) auf dessen Gepäckträger bequem machte. Noch bei der laufenden Übertragung wurde dieses Verhalten von einigen Experten scharf kritisiert. Nach dem Rennen war es so gut wie vergessen. Doch wie wäre die Beurteilung seines Sieges ausgefallen, wenn Stybar gewonnen hätte? Der Tscheche verweigerte die Mitarbeit auf den letzten Kilometern, weil sein Kapitän Tom Boonen in einer Gruppe dahinter unterwegs war. Diese war jedoch so weit abgeschlagen, dass sie keine realistische Chance mehr hatte. Auf die Frage, ob das Verhalten von Stybar die feine englische Art wäre, antwortete Eurosport-Kommentator Jean-Claude Leclercq gekonnt ausweichend „er ist ja kein Engländer“. Beurteilen wird die Situation sicher jeder Zuschauer individuell. Gut für den Radsport war es dennoch, dass Van Avermaet gewann.
7. Zu viel Taktiererei auf der Schlussrunde kann teuer werden
Die Schlussphase bei Paris-Roubaix war packend. BMC bereitete den Sieg von Van Avermaet perfekt mit Daniel Oss vor, Peter Sagan erleidet im entscheidenden Moment eine Panne und Zdenek Stybar verweigert die Mitarbeit. Als wäre das alles noch nicht dramatisch genug, haben sich die drei führenden auf der Schlussrunde im Vélodrom von Roubaix dazu entschlossen, fast stehen zu bleiben. So konnten die beiden abgehängten Gianni Moscon und Jasper Stuyven sogar den Anschluss wiederherstellen. Genügend Kraft zum Mitsprinten hatten sie jedoch dann nicht mehr. Die Nerven verlor zuerst Stybar. Van Avermaet sprang an sein Hinterrad und gewann.
8. Philippe Gilbert kann doch noch gewinnen
Wer hätte damit gerechnet? Zweifelsohne gehört Philippe Gilbert zu den erfolgreichsten Fahrern unserer Zeit. Dennoch war es um ihn in den vergangenen Jahren ruhig geworden. 2014 gewann er mit dem Amstel Gold Race sein letztes großes Rennen. Seine Zeit schien bereits vorbei zu sein. Aber wir wissen: Todgesagte leben länger! Gilbert wechselte vor dieser Saison zu Quick-Step Floors. Viele Experten erwarteten ihn hier nur als gutbezahlten und namhaften Helfer. Doch Gilbert wollte es noch einmal wissen. Zuerst gewann er die kleine Rundfahrt Driedaagse De Panne-Koksijde, um dann auch bei der Ronde van Vlaanderen zu triumphieren. Auf einen Start bei Paris-Roubaix verzichtete er dann, um bei den Ardennen-Klassikern topfit am Start zu stehen. Hier wird er erneut zu den großen Favoriten zählen.
9. André Greipel hätte die rote Rückennummer verdient
Der Deutsche Meister André Greipel (Lotto Soudal) ist ein klassischer Sprinter. Reden wir von einem Fahrer aus Deutschland, der einen Pavé-Klassiker gewinnen kann, ist oft nur die rede von John Degenkolb (Trek-Segafredo). Zum sechsten Mal stand André Greipel bei Paris-Roubaix am Start. Mit seinem siebten Platz fuhr er sein bestes Resultat ein. Mit etwas mehr Glück hätte er vielleicht sogar um den Sieg mitsprinten können. Besonders im Gedächtnis bleiben wird Greipel den Zuschauern jedoch auf Grund seiner aktiven Fahrweise. Diese sehen wir auf Grund seiner Sprintqualitäten nämlich ansonsten kaum. Sowohl bei der Ronde Van Vlaanderen, als auch bei Paris-Roubaix hätte er mit Sicherheit die rote Rückennummer für den kämpferischsten Fahrer gewonnen – wenn die Rennen Teil der Tour de France wären.
10. Peter Sagan ist auch als Verlierer ein echter Gewinner
Auch wenn Peter Sagan mit seiner Klassiker-Saison sicher nicht zufrieden ist, gehört er dennoch zu den Gewinnern. Das liegt nicht nur an seinen vielen vorderen Platzierungen, sondern vor allem an seiner offensiven Fahrweise. Der Weltmeister attackierte ständig, forcierte das Tempo und war sich nicht zu schade, etwas früh zu probieren. Obwohl er durch mehrere Stürze und Pannen eigentlich aus dem Konzept gebracht wurde, sprintete er bei der Ronde Van Vlaanderen am Ende sogar noch um einen unbedeutenden 27. Platz. Peter Sagan ist bei den Radsportfans auch deshalb so beliebt, weil er uns immer wieder zeigt, wie sehr er diesen Sport selbst liebt.