Test 12-fach Campagnolo Super Record und Record: 2009 überraschte Campagnolo die Fachwelt mit der ersten 11-fach-Rennradschaltung, und nun haben die Italiener einmal mehr die Nase vorn: Mit zwei mal zwölf Gängen bieten die neuen Gruppen Record und Super Record 2019 eine ungeahnte Übersetzungsbandbreite. Was sonst noch neu ist, konnte Velomotion beim Pressecamp auf Gran Canaria aus erster Hand erfahren und intensiv testen.
Im Reigen der Komponentenanbieter hat Campagnolo die wohl geringste Präsenz am Markt. Dabei ist das Familienunternehmen aus Vicenza seit Jahrzehnten eine Innovationsmaschine in Sachen Rennrad; mit Lotto Soudal, Cofidis und Movistar setzen nach wie vor große Teams auf die italienischen Komponenten. Und wenn mit Nairo Quinatana einer der weltbesten Bergfahrer ebenso auf die italienischen Komponenten setzt wie 2.000-Watt Sprinter André Greipel, ist jedenfalls eines klar: Was Campagnolo liefert, ist im Radsport auf höchstem Niveau tausendfach bewährt. Und neben Faktoren wie der sehr guten Funktion, der Reparierbarkeit vieler Bauteile und der edlen Optik spricht noch etwas anderes für Chorus, Record & Co.: Aus dem Fernost-Allerlei ragt das traditionsbewusste Material mit Stil und Individualität hervor.
12-fach Campagnolo: Innovation made in Italy
Genug der Vorrede – in Vicenza ruht man sich nicht auf den Lorbeeren des Unternehmens aus, und die zwei neuen Gruppen, die Campagnolo Ende März auf Gran Canaria vorstellte, zeugen von der Innovationskraft des Unternehmens. Also Vorhang auf für die 12-fach Campagnolo Record und Super Record der neuen Generation: die ersten Rennradgruppen mit zwei mal zwölf Gängen. Eine neue „Magische Zahl“ also, die im Vergleich zu allen vorherigen Zusatz-Gängen (Elffach gibt es bei Campagnolo seit 2009) nun aber wirklich einen großen Vorteil hat: Mit den zwei Kassetten 11-29 und 11-32, die Campagnolo zur Wahl stellt, entfällt endgültig die Notwendigkeit, je nach Terrain auf eine andere Übersetzung umzurüsten. Denn mit Einersprüngen von 11 bis 17 sind die Kassetten im schnellen Bereich wie gewohnt eng abgestuft; danach geht es immer noch ohne auffällig große Stufen weiter bis nahe an den 1:1-Bereich.
Bekanntlich ist dies nicht die erste Zwölffach-Schaltung; fürs Mountainbike gibt es derartiges bereits – mit einem gigantischen Übersetzungsumfang, der erst den Verzicht aufs Mehrfachkettenblatt möglich macht, allerdings zulasten einer feinen Abstufung geht, wie sie beim Rennradfahren unumgänglich ist. Allerdings ist mit der neuen 12-fach Campagnolo das Kunststück gelungen, das zwölfte Ritzel unterzubringen, ohne die Baubreite der Kassette zu erhöhen; ein spezieller Freilaufkörper oder gar eine größere Einbaubreite sind also nicht nötig. Aktuelle Laufräder und Rahmen sind mit dem neuen System also voll kompatibel.
12-fach Campagnolo: Die Kassette wird nicht breiter
Wie bisher sind die größten Ritzel der Kassette zu zwei Dreierblöcken zusammengefasst, die jedoch nicht mehr genietet, sondern aus dem Vollen gefräst sind. Ob das leichter und steifer ist, sei dahingestellt; die Optik dieser „Cluster“ ist jedenfalls faszinierend. Beide Gruppen – Record und Super Record – werden mit den gleichen Kassetten ausgeliefert.
Viele Veränderungen gibt es an den Schaltkomponenten der 12-fach Campagnolo. Besonders das Schaltwerk hat sich optisch und technisch vom bedächtig weiterentwickelten 11-fach-Modell entfernt: Auf den ersten Blick fällt auf, dass Record und Super Record nun für Direct-Mount-Ausfallenden optimiert sind; bis sich dieses Prinzip auf breiter Front bei den Rahmenherstellern durchgesetzt hat, wird das Schaltwerk mit Hilfe eines Alu-Zwischenstücks am Rahmen befestigt. Ein Direct-Mount-Ausfallende befreit den Rahmenbauer von den Zwängen, die ihm das klassische Ausfallende auferlegt, und die im Zeitalter von Scheibenbremsen und Steckachsen eigentlich nicht mehr sein müssen. Dabei ist die Aufhängung des Schaltwerks der 12-fach Campagnolo weiter nach hinten orientiert, was letztlich auch den Laufradwechsel erleichtert. Aktuell haben beispielsweise BMC und Scott Rennmaschinen mit Direct-Mount im Programm; andere Hersteller dürften nach und nach folgen.
Interessant ist, dass Campagnolo selbst in den frühen 1960er Jahren die derzeit üblichen Ausfallenden forcierte. Davor (und auch noch lange danach, vor allem bei einfachen Rahmen) war es üblich, an den Rahmen einen Direktmontage-Adapter zu schrauben, der seinerseits das Schaltwerk aufnahm.
Das neue Schaltwerk muss natürlich mehr leisten als seine Vorgänger. Bei 11-32 gilt es, viel Kette einzuholen und stets einen ausreichend großen Umschlingungswinkel sicherzustellen, damit immer genug Zähne im Eingriff sind. Wie sich zeigt, steht das obere Schaltröllchen selbst bei extremem Schräglauf und „groß-groß“ mittig unter der Kassette; bei „klein-klein“ ist andererseits immer noch genug Spannung auf der Kette.
12-fach Campagnolo: Ein bisschen mehr Titan und Carbon bei der Super Record
Damit es mit dem großem Umfang der Kassette klarkommt, hat Campagnolo dem Schaltwerk eine lange Schaltschwinge (72,5 mm) sowie zwölf Zähne große Schaltröllchen mitgegeben. Eine kürzere Schwinge wird nicht angeboten; ohnehin wirken Super-Record- wie Record-Schaltwerk nicht übertrieben groß. Wie üblich liegen die Unterschiede zwischen den zwei Highend-Gruppen im Detail: Bei der Super Record besteht die Schaltschwinge aus Carbon statt aus Aluminium, außerdem kommen Titan-Kleinteile zum Einsatz und die Schaltröllchen sind hochwertiger gelagert. Überschliffene Schaltzüge und reibungsmindernde Außenhüllen sorgen für eine leichtgängige Ansteuerung der Schaltkomponenten und dürften eine dauerhaft präzise Funktion des Systems sicherstellen.
Auch die Umwerfer beider Gruppen der 12-fach Campagnolo unterscheiden sich im Material; in der SR-Version kommt am äußeren Leitblech Carbon zum Einsatz. Neu am Schaltmechanismus ist ein zusätzliches Gelenk am Kraftarm, das für einen sanfteren Schwenk nach außen sorgen soll. Ziemlich innovativ ist außerdem, dass die Zugklemmschraube nun auch von vorne eingesetzt werden kann. Das könnte kostbare Millimeter bringen, wenn besonders breite Reifen verwendet werden.
12-fach Campagnolo: Ergopower wie gehabt
Angesteuert werden Umwerfer wie Schaltwerk von den bewährten Ergopower-Hebeln, die für mechanischen wie für hydraulische Bremsen erhältlich sind und sich in Sachen Innenleben damit natürlich deutlich voneinander unterscheiden. Der Hydraulikhebel ist 8 mm höher und fällt im Bereich des Griffhöckers etwas voluminöser aus. Beide Hebel sind recht schlank geraten und lassen sich damit gut umgreifen; ein haptischer Unterschied ist kaum zu spüren. Überarbeitet wurde die Ergonomie der Hebel: Die Bremsgriffe sind nun leicht nach außen orientiert; der Hebel zum Runterschalten ist größer geworden, ebenso die Daumentaste. Letztere ist nun im hinteren Bereich abgeschrägt und lässt sich damit in Unterlenkerposition besser auslösen. Ein neues Feature, auf das man eigentlich schon früher hätte kommen können, ist der zur Griffweitenverstellung mutierte Öffnungsmechanismus für die mechanische Bremse.
12-fach Campagnolo: Viel Neues an den Felgenbremsen
Die bereits bekannten Discbrakes von Campagnolo haben sich nicht verändert, allerdings gibt es völlig neue Felgenbremsen, die sich vom altbekannten Skeleton-Modell deutlich unterscheiden. Der neue Stopper ist kantiger und massiver und soll mit mehr Steifigkeit bessere Verzögerungswerte bringen. Die Super-Record-Version ist kugelgelagert und dürfte damit besonders leichtgängig sein. Verfügbar ist nun auch eine Direct-Mount-Bremse für entsprechend ausgelegte Rahmen, die rückwärtig über eine Brücke in der Art eines „Brake Boosters“ verfügt. Dadurch wird verhindert, dass die Bremse Hinterbau bzw. Gabel auseinanderdrückt.
Eher eine Fortentwicklung der aktuellen Komponenten sind die Kurbelsätze der zwei Zwölffach-Gruppen. Campagnolo hat das Prinzip beibehalten, beide Kettenblätter separat auf einem eigenen Lochkreis zu befestigen. Wie bisher passen sämtliche Kettenblatt-Varianten – kompakt, semi-kompakt sowie 53/39 – auf ein und dieselbe rechte Kurbel. Diese fällt nun noch etwas flächiger aus, zumal das Loch der UltraTorque-Achse wegfällt. Die SR-Kurbeln sind wie vorher hohl, die Record-Version massiv; einen deutlich sichtbaren Unterschied zwischen beiden Gruppen stellen die „Brücken“ dar, die bei der Super Record je zwei der vier Arme miteinander verbinden. Dadurch soll im Bereich besonders großer Krafteinleitung die Last auf diese zwei Arme verteilt und damit Stabilität der Kurbel verbessert werden.
12-fach Campagnolo: So läufts auf der Straße
Viel Neues also bei Campagnolo, das sich auch in der Praxis bestens bewährt, wie wir beim Pressecamp auf Gran Canaria feststellen konnten. Mit großen Überraschungen ist natürlich nicht zu rechnen, das Schaltprinzip der Italiener ist schließlich bekannt. Mit welcher Präzision zwischen den zwölf Ritzeln der Kassette gewechselt werden kann, ist aber schon erstaunlich. Beim Runterschalten per Schwenkhebel sind die nötigen Handkräfte gering, aber groß genug, um ein Überschalten auszuschließen; mit knackigen Schaltschritten gibt das System immer ein klares Feedback. Bei der Daumentaste ist es ebenso – sie lässt sich leicht bedienen, der erforderliche Druck ist aber groß genug, um versehentliche Betätigung auszuschließen. Die Taste ist vom Bogen des Oberlenker aus sehr gut erreichbar, was einen kleinen Vorteil gegenüber anderen Systemen darstellt; ihre neue Form bewährt sich am Unterlenker. Wie bisher lassen sich per Tastendruck bis zu fünf Gänge in Richtung „schwer“ schalten, wobei sich sehr genau dosieren lässt, wie viel Ritzel man überspringen will. In umgekehrter Richtung können bis zu drei Gänge am Stück geschaltet werden. Machart und Größe der Kassette bedingt gerade auf den größeren Ritzeln einen metallischen Klang, der keineswegs unangenehm ist und zum sportlichen Charakter der Gruppe passt.
Mit Kettenschräglauf kommt die neue Schaltung insgesamt gut klar; nur wenn man es mit groß-groß auf die Spitze treibt (also etwa 50-32), wird der Antrieb etwas laut. Reibung am Leitblech des Umwerfers verhindern die zwei Trimmstufen des linken Hebels; bei diesen wären freilich etwas geringere Auslösekräfte wünschenswert – vom Unterlenker aus kann es vorkommen, dass man versehentlich aufs kleine Blatt schaltet, statt nur zu „trimmen“.
12-fach Campagnolo: Deutlich bessere Performance der Scheibenbremsen
Die neuen Felgenbremsen kamen auf den kurvigen Abfahrten Gran Canaria mit den hauseigenen „Bora Ultra“-Carbonlaufrädern hervorragend zurecht; die uns schon bestens bekannten Discbrakes konnten diesen Eindruck erwartungsgemäß deutlich toppen: Hervorragend dosierbar, im Notfall sehr bissig, dabei immer berechenbar – dass „Road Disc“ eine Zukunft hat, macht dieses Bremssystem eindrucksvoll deutlich.
Was die Funktion angeht, ist die 12-fach Campagnolo also nach wie vor eine interessante Alternative zu japanischen und US-Komponenten; mit ihrer 2×12-Schaltung haben die Italiener nun wieder einmal die Nase vorn. Hier allerdings setzt auch leise Kritik an: Wünschenswert wären Kassetten, die mit dem 12er Ritzel beginnen und damit Raum lassen für das praktische 18er, das an manchen aktuellen Elffach-Kassen für minimale Sprünge in einem kritischen Bereich sorgt. Ansonsten kann man die neuen Gruppen jedem empfehlen, der sich für ein topmodernes Rennrad mit Komponenten abseits des Mainstreams interessiert. Verfügbar dürfte derartiges Material von zahlreichen Herstellern sein, wie die Flotte der Testräder auf Gran Canaria bewies: Von BH bis Wilier mit Zwischenstopps bei Canyon, Cervélo, Cannondale, Cipollini sowie anderen Anbietern, die nicht mit „C“ anfangen (etwa Ridley und Bianchi) wird es Kompetträder mit Campagnolo Super Record und Record zwölffach geben.
12-fach Campagnolo: Die Preise – eine Super Record Kurbel kostet fast 1.000 Euro
Zu welchen Preisen, lässt sich bereits ahnen, denn die Preise für die 12-fach Campagnolo Gruppen stehen schon fest: Die Record mit Felgenbremsen wird 1.960 Euro kosten, mit Discbrakes 2.395 Euro; für die Super Record werden 2.915 bzw. 3.200 Euro fällig. Die Super Record ist damit ein gutes Stück teurer geworden, während der Preis für die Record merklich gesenkt worden ist; damit rücken die zwei Gruppen in ihrer Wertigkeit weiter auseinander.
Vergleicht man die Preise der Einzelkomponenten, zeigen sich von Fall zu Fall deutliche Unterschiede. Bei den Discbrake-Gruppen beträgt der Preisunterschied zwischen den Bremsanlagen (Hebel + Bremssättel) keine 100 Euro (1.074 vs. 982 €); die Ergopower-Hebel für Felgenbremsen sind bei der Super Record auch nur gut 100 Euro teurer (498 vs. 390 €). Besonders große Preisunterschiede zeigen sich beim Kurbelsatz (Record: 537 €; Super Record: 962 €) und bei den Schaltwerken (240 vs. 450 €). Die Kassette wird nur in SR-Qualität geliefert und kostet 339 Euro.
Dass mit den neuen Gruppen ausgestattete Kompletträder der absoluten Oberklasse angehören werden, ist also klar, doch wenn man sich eines der Testräder im Campagnolo-Pool anschaut, kommt Hoffnung auf: Eine Record, montiert an Cannondales exzellenten CAAD12-Alurahmen und garniert mit nicht ganz so teuren Laufrädern, ließe sich für rund 4.500 Euro machen.
12-fach Campagnolo: Ab Mai geht’s los!
Mit der Auslieferung der neuen Komponenten ist ab Mai bis Juli zu rechnen; Campa-Kompletträder dürften dann auch der Eurobike 2018 zu bestaunen sein (der Campagnolo in diesem Jahr fern bleiben wird). Wie es dann mit zwölffach weitergeht, bleibt abzuwarten: Früher oder später sind elektronische EPS-Varianten zu erwarten, und irgendwann dürfte die neue Technik auch an die günstigen Gruppen der Marke weitergegeben werden, allen voran die bewährte Chorus. Spätestens dann, so ist zu hoffen, wird man wieder mehr Rennmaschinen mit hochwertiger Technik aus Vicenza auf den Straßen sehen.