Test: Zu einem Preis von weit weniger als 1.500€ ist das Haro Shift R3 ein 120mm Fully, das weniger kostet als so manche Federgabel oder Laufradsatz. Wir haben das Bike auf den Trails am Gardasee auf einen harten Prüfstand gestellt – und wurden überrascht.
Mountainbiken ist ein teures Hobby. Für ein modernes Hardtail bezahlt man locker 1.000€, für ein Fully wird schnell das doppelte oder mehr fällig. Klar, es geht auch günstiger: Leider taugen diese günstigen Räder oft nicht zum sportlichen Einsatz, schon gar nicht in anspruchsvollem Gelände. Ein Dilemma für Einsteiger jeden Alters: Entweder richtig Geld in die Hand nehmen, ohne die Gewissheit zu haben, langfristig überhaupt bei diesem Sport zu bleiben. Oder beim Kauf sparen und jeglichen Spaß aufgrund mangelhaften Materials direkt im Keim zu ersticken.
Hin und wieder gibt es jedoch dann diese Räder, die das angesprochene Dilemma zu lösen vermögen. Genau ein solches verspricht US-Hersteller Haro mit dem Shift R3 im Programm zu haben. Für eine UVP von gerade einmal 1.349€ (bis Ende Mai direkt bei Haro sogar für unter 1.200€!) gibt es hier ein 120mm Fully mit einer durchaus vernünftigen und tauglichen Ausstattung – zudem verspricht man einen stabilen Rahmen, der auch Belastungen jenseits dessen, wofür ein 120mm Fully konstruiert wurde, aushalten soll.
Im Rahmen des Riva Bike Festivals haben wir uns ein Testbike des Haro Shift R3 ausgeliehen, um es im materialintensiven und extrem anspruchsvollen Gelände rund um den Gardasee zu testen. Selbst auf dem berühmt-berüchtigten #601 musste sich das günstige Fully beweisen.
Haro Shift R3 – Der Rahmen
Der Rahmen des Shift R3 besteht aus solidem Aluminium und bedient sich bei Hinterbau eines klassischen Viergelenkers. Auf Extravaganz muss man bei diesem Preisbereich zwar verzichten, aber die Verarbeitung ist durchweg solide bis hochwertig, sogar die Züge und Leitungen verlaufen komplett im Rahmeninneren. Der Rahmen ist für 27,5″ Laufräder ausgelegt, bei den Naben ist Platz für den modernen Boost Standard. Apropos Platz: Standardmäßig kommt das Shift R3 mit 2,25″ breiten Reifen, der Hinterbau bietet aber durchaus auch Platz für 2,35 bzw. 2,4″.
Auch wenn unser Testbike mit einem 1-fach Antrieb ausgestattet war, bietet der Rahmen auch die Montagemöglichkeit für einen Umwerfer samt entsprechender Zugführung. Gut gefallen haben uns Details wie beispielsweise der angepasste und integrierte Kettenstrebenschutz, der in dieser Preisklasse so ganz gewiss keine Selbstverständlichkeit ist.
Die Geometrie des Haro Shift R3 ist insgesamt durchaus modern – mit einer Ausnahme: Dem Lenkwinkel. Dieser fällt mit 68,5° steiler aus als bei so manch modernem Marathonrad und dürfte der Laufruhe nicht unbedingt zuträglich sein. Auf der Höhe der Zeit zeigt man sich jedoch bei den übrigen Abmessungen: Der Hauptrahmen ist schön lang und bietet genügend Bewegungsfreiheit, das Sitzrohr ist nicht zu lang.
Geometrie Haro Shift R3
XS | S | M | L | |
Sitzrohr (in mm) | 368 | 406 | 457 | 520 |
Oberrohr horizontal (in mm) | 565 | 585 | 615 | 630 |
Steuerrohr (in mm) | 100 | 110 | 120 | 130 |
Kettenstrebe (in mm) | 440 | 440 | 440 | 440 |
Radstand (in mm) | 1101 | 1123 | 1159 | 1179 |
Lenkwinkel (in °) | 68 | 68.5 | 68.5 | 68.5 |
Sitzwinkel (in °) | 75 | 75 | 75 | 75 |
Reach (in mm) | 390 | 413 | 445 | 461 |
Stack (in mm) | 582 | 593 | 603 | 612 |
Haro Shift R3 – Die Ausstattung
Rahmen | 6061-T6 Alloy |
Federgabel | RockShox Judy Silver 120mm |
Dämpfer | RockShox Monarch R |
Laufräder | Pivit Boost / Weinmann U-26 |
Reifen VR | Kenda Honey Badger 2,2 |
Reifen HR | Kenda Honey Badger 2,2 |
Schaltwerk | Shimano Deore M6000 |
Schalthebel | Shimano Deore M6000 |
Kurbel | Suntour Zeron Boost 30t |
Umwerfer | ohne |
Bremse | Shimano M365 |
Bremsscheiben | 180 / 160mm |
Sattelstütze | Pivit Alloy 31.6 |
Sattel | WTB Rocket Sport |
Vorbau | Pivit Alloy 55mm |
Lenker | Pivit Alloy 720mm |
Klar, angesichts des günstigen Preises muss man bei der Ausstattung des Haro Fullys Abstriche machen. Die Kunst liegt aber eben darin, an den richtigen Stellen zu sparen. Das RockShox Fahrwerk bestehend aus dem Monarch R Dämpfer im Heck und der Judy Silver Gabel vorn ist bereits um ein Vielfaches besser, als das, was man meist an vollgefederten Rädern in dieser Preisklasse bekommt. Natürlich ist beispielsweise die Dämpfung der Judy eher simpel, wegen der 32mm Standrohre ist sie zudem kein Steifigkeitswunder – beides dürfte aber gerade bei Einsteigern nicht allzu sehr ins Gewicht fallen.
Beim Antrieb setzt man wie bereits erwähnt auf eine Lösung ohne Umwerfer – ebenfalls ungewöhnlich in dieser Preisklasse. Zum Einsatz kommt die neue M6000 Deore Gruppe mit der 11-42 Kassette und der neuen Suntour Zeron Kurbel mit einem 30t Kettenblatt. So bekommt man zwar kein Bandbreitenwunder, aber für das allermeiste Terrain dürfte die Kassette ausreichen, zumal man mit dem 30er Kettenblatt auch steilere Anstiege bezwingen sollte. Allemal besser, als ein günstiger Antrieb mit klapperndem und schlecht funktionierendem Umwerfer.
Auch die Bremsen kommen von Shimano und hier müssen wir das erste Mal etwas die Nase rümpfen: Die M365 zählt zu den günstigsten hydraulischen Stoppern der Japaner und ansonsten eher im Trekkingbereich zuhause. Mit 180mm vorn und 160mm hinten wählt man die für Tourenfullies üblichen Größen, die jedoch nicht allzu viel Spielraum bei Bremskraft und Fadingresistenz bieten.
Die Felgen bieten mit 25mm Breite genügend Halt auch für etwas breitere Reifen. Letztere kommen am Shift R3 von Kenda. Der Honey Badger ist ein bekannter Allrounder, der für ein Rad in dieser Federwegsklasse gut gewählt scheint. Beim Cockpit vertraut man auf OEM Teile von Pivit: Der Vorbau ist mit 55mm schön kurz, der Lenker fällt jedoch mit 720mm reichlich kurz aus. Gerade größere Fahrer werden hier wohl nachbessern müssen. Im Unterschied zur Serie war unser Testrad zudem mit einer 100mm Variostütze ausgestattet. Dieses Upgrade würden wir jedem Käufer empfehlen, der sich regelmäßig auf die Trails wagen möchte, zumal es inzwischen taugliche Dropper Posts schon für um die 150€ gibt.
Haro Shift R3 – Auf dem Trail
Wir geben es zu, so richtig wussten wir nicht, was wir vom Shift R3 auf dem Trail erwarten sollten. So tasteten wir uns langsam im schweren Gelände am Gardasee an immer größere Herausforderungen an Fahrer und Bike heran. Im Uphill schlug sich das Rad trotz seines doch recht hohen Gewichts mehr als ordentlich. Der Viergelenker-Hinterbau ist effizient, spätestens nach dem Betätigen des Dämpferlockouts ist auch bezüglich Wippen komplette Ruhe.
Die Sitzposition ist durchaus modern – man sitzt recht zentral auf dem Rad und bei abgesenktem Sattel hat man viel Spielraum um das Körpergewicht zu verlagern. Das war dann auch nötig, denn nach kurzem Abtasten wurde es ernst und wir nahmen den ersten felsigen und verblockten Trail unter die Räder. Das Haro schlug sich hier überraschend gut, das Fahrwerk war schön aktiv und lud sogar ein wenig zum Spielen ein. Negativ bemerkbar machte sich leider recht früh schon die steile Front, auf Grund derer das Rad sich bei hohem Tempo etwas nervös fuhr. Der schmale Lenker trug hier auch seinen Teil dazu bei: Einsteiger sollten hier auf jeden Fall ein breiteres Modell versuchen.
Rein gar nichts auszusetzen gab es hingegen am Antrieb, der sehr gut funktionierte und dem deutlich teurerer Räder in nichts nachstand. Dass man bei der Bandbreite Abstriche machen muss, fiel bei uns nicht allzu sehr ins Gewicht: Mit dem kleinsten Gang von 30-42t hat man Reserven für steile Rampen, bergab kann man zwar „nur“ bis 30km/h effektiv mittreten, aber wer braucht an einem MTB ernsthaft mehr?
Bei längeren Abfahrten gerieten zudem die Bremsen etwas an ihre Grenzen und die benötigten Handkräfte stiegen an. Positiv überrascht waren wir von dem sehr steifen Rahmen, der sich zu keiner Zeit unsicher anfühlte und auch bei Sprüngen genügend Sicherheit vermittelte. Angesichts des sehr positiven Eindrucks, den wir während unseres Tests vom Shift R3 hatten, durfte sich das 120mm Bike zum Abschluss sogar noch auf dem berüchtigten 601er Trail austoben.
Hohe Stufen, unzählige Felsen, loses Geröll: Hier kommt sogar das eine oder andere Enduro an seiner Grenzen. Das Haro war hier definitiv auch am Limit, blieb aber immer beherrschbar – auch wenn es dafür sicherlich einen entsprechend versierten Fahrer braucht. Die wichtigste Erkenntnis jedoch am Ende: Auch nach diesen Strapazen konnten wir überhaupt kein Spiel am Rahmen oder gar irgendwelche Schäden feststellen.