Das Breezer Thunder sollte nicht nur Stahl-Fans und Retro-Jünger begeistern. Mit vielfältigen Befestigungsmöglichkeiten ist es auch für Bikepacking-Abenteuer interessant. Und irgendwie hat es mir auch verdeutlicht, was früher besser war.
Wie? Früher war alles besser?! Stimmt nicht. Aber vieles war früher schon ziemlich gut, und auf alle Fälle einfacher. Das gilt auch für die Geburtsstunde des Mountainbikes. Joe Breeze baute bereits 1977, also vor meiner Geburt, Mountainbikes. Damals natürlich aus Stahl, das war damals nicht nur das gängige, sondern das praktisch einzige Rahmenmaterial. Joe durfte ich mal kennen lernen, in seinem Bike-Museum in Fairfax, zwischen Burger und Motel, so wie das auf einem US Trip halt so ist. Kitschig, oder? Ja, schon ein bisschen viel Stereotyp und Schublade. Passt aber. Besonders zu diesem Artikel, denn die Fahrten auf dem Thunder sind für mich ein bisschen auch ein Ritt auf einem Zeitstrahl. Die Fahrten werfen Fragen auf, über das Radfahren an sich und auch über die Motivation hinter mancher technischer Entwicklung. Und am Ende steht ein fast romantisches Gefühl und auch ein wenig Selbsterkenntnis. Was für eine Schnulze….
Breezer Thunder – klassisch modern
Das Thunder gibt es in Europa in 3 Gößen (17, 19 und 20,5 Zoll) und somit ist es vielen Menschen zugänglich. Nur sehr kleine Menschen müssen wohl in Übersee, z.B. den USA, ein 15 Zoll Rad bestellen. Die Geometrie ist dabei unaufgeregt aber nicht altbacken. Der Lenkwinkel ist mit 67,7 Grad für ein ungefedertes Rad dieser Art eher flach und der Sitzwinkel ist (je nach Rahmengröße zwischen 74 und 75 Grad) eher steil. Das Oberrohr ist nicht zu kurz aber auch nicht superlang, wie es im Fully-Sektor gerade im Trend liegt. Der Hinterbau ist mit 450 Millimetern allerdings schon eher lang, das ist zum einen der Freiheit für große 29 Zoll Laufräder mit Reifen bis zu 2,8 Zoll Breite geschuldet, vermutlich aber auch dem Wunsch nach Laufruhe, was gerade bei Langstrecke mit viel Gepäck an Bord Sinn macht.
Der breite 780mm Lowriser Lenker und der Kurze Vorbau würden auch einem Enduro gut stehen. Das gilt auch für die Teleskopstütze von Kind Shox. Und da sind wir auch schon mitten im modernen Part des Thunder. Es gibt eine Steckachse vorne und hinten und solide Boost Laufräder mit 30 Millimeter Felgen-Innenweite. Geschaltet wird mit einer kompletten Shimano 12Gang Deore und 10-51 Kasette. Damit kommt man überall hin, wenn man will und die passenden Shimano Scheibenbremsen ( BL-MT501 Hebel mit BR-MT500Sattel) reichen immer um sicher zum stehen zu kommen. Hier ist vorne eine 180er und hinten eine 160er Scheibe verbaut. Da kann man sich bei hohem Körpergewicht und mit Gepäck schon größere Scheiben wünschen. Im ruppigen Geläuf will man ja ein Bike ohne Federung doch mal etwas zügeln. Traktion und auch Komfort erzeugen WTB Vigilante Reifen in 2,5 stets reichlich und tragen mit ihrer hellen Seitenwand zu einer gelungenen Optik bei. Auch die anderen WTB Anbauteile, Griffe und der Sattel sind sehr funktionell und gefallen mir. Sogar der Sattelschnellspanner ist sehr wertig, ergonomisch und kommt ohne Kunststoff aus.
Was erwähnt werden will ist, dass Breezer nicht mit Gewindeösen gespart hat. Schutzbleche vorne und hinten und ein Gepäckträger sind kein Problem. Im Hauptrahmen ist Platz für 2 Flaschenhalter und zusätzlich gibt es beidseitig an der Gabel und an einer Seite des Hinterbaus die „Tripple Cage Mounts“. Das sind Flaschenhaltergewinde, aber statt zwei, gibt es drei davon in bekannter Ausführung und gewohntem Abstand. So lassen sich diverse Taschen, oder Plattformen anbauen um alles Mögliche auf das nächste Overnighter-Abenteuer mitzunehmen. Das Thunder hat sogar auf dem Oberrohr, vorne am Vorbau, zwei dieser Ösen für eine Tasche.
Oldschool ist das Thunder also nur auf den ersten Blick. Es ist eben ungefedert und somit ungewöhnlich für eine modernes Mountainbike. Aber alle Moderne Standards werden berücksichtigt, insofern sie sinnvoll sind. Es gibt Boost-Maße und Steckachsen, Scheibenbremsen und eine 1×12 Schaltung.
Wie fühlt sich das Thunder an?
Nun also zum romantischen Teil meiner Affäre mit dem Breezer Thunder. Es ist gekommen um zu blieben. Aus einem geplanten „One Night Ride“ wurde eine Dauer-Beziehung. Ich habe nach ein paar Fahrten zum Telefon gegriffen und um eine Rechnung für das Rad gebeten. Warum? Das hat mehrere Gründe. Nein, ich habe mich nicht Hals über Kopf verknallt! Das passiert mir eher bei irgendeinem Race Enduro mit Bling Bling Teilen. Aber wir waren uns gleich sympathisch und ich habe Kurbelumdrehung für Kurbelumdrehung erkannt, das mich das Thunder nicht im Stich lassen würde. Darauf kommt es doch an, oder? Eine Leidenschaftliche Bekanntschaft kann uns zwar entflammen, aber ehrliche und tiefe Freundschaft trägt auf Dauer.
Die Geometrie empfinde ich insgesamt als sehr ausgewogen. Irgendwie berechenbar, also sicher und doch nicht langweilig. Klettern klappt ohne Probleme, da machen sich traktionsstarke Reifen, der Verzicht auf Federung und die 12 Gänge mit 51 Zähne-Rettungs-Ritzel positiv bemerkbar. Das lässt vergessen, das man es nicht mit einem leichten Carbon-Racer zu tun hat, sondern mit einem über 14 Kilo schweren Allrounder. Man kann auch durch ruppigere Stücke im Sitzen ganz gut durch pedalieren, ohne mit der Kurbel aufzusetzen. Aufsetzer gibt es auch in der Abfahrt eher keine, trotzdem will auf dem Trail die Linienwahl gut überlegt sein. Es kommen keine Überschlags-Gefühle auf, die Gewichtsverteilung stimmt und auch die Front ist hoch und der Lenkwinkel Flach genug. Aber die Federung fehlt eben und bei höherem Tempo rumpelt es ordentlich. Doch die Laufräder sind solide und die dicken Pneus halten die Spur. Für ein Hardtail mit starrer Gabel fährt es sich dann doch recht souverän.
Womit ich mich sehr angefreundet habe sind der WTB Sattel und die Griffe aus gleichem Hause. Die mussten nur weichen weil mir das Rad mal umgekippt ist und den Hang hinunter purzelte. Das war sozusagen ein ungeplanter Crash-Test. Der Sattel war verbogen und ein Griff aufgerissen. Auch diese Unachtsamkeit hat mir das Breezer verziehen und ist brav mit mir die Tour zu Ende „gehumpelt“. Auf unseren letzen Fahrten kam dann sogar ein Hauch von Fatbike-Feeling auf. Ich habe die WTB Reifen mit ihrem ausgeprägten Profil gegen Terravail Corronado in 2.8er Breite getauscht. Etwas mehr Volumen und etwas weniger grobe Stollen, das war der Plan. Ideal für die vielen Schotter- und Wiesen-Wege auf denen es mich begleitet. Der Plan geht auf, so würde ich auch auf eine längere Reise gehen.
Worüber man einfach nicht viele Worte verlieren muss, das ist die aktuelle Shimano 12-fach Deore. Ganz viel Funktion für einen Überschaubaren Preis. Ähnlich ist es mit den Bremsen: Unspektakulär! Man denkt einfach nicht drüber nach, weil man weder überfordert wird, noch vermisst man etwas. Ausser man ist sehr schwer, dann könnte man vielleicht über größere Scheiben nachdenken. Aber auch nur vielleicht.
Die WTB Vigilante sind doch eher was für kernige Trails, und die fahre ich mit anderen Bikes lieber. Aber „no offense“, die Ausstattung ist wirklich hochwertig und durchdacht. Der Lenker wurde von mir gegen einen Chromag mit mehr Rise getauscht, das ist aber eine ganz persönliche Präferenz. Nur der Lack hat mich etwas enttäuscht. Die Qualität ist nicht unbedingt überdurchschnittlich. Der Bremshebel hat die Farbe am Oberohr angeritzt, weil der Lenker sich eingedreht hat und am Unterrohr sind sichtbare Spuren von einer Autobahnfahrt auf der Ladefläche eines Pickups, und das trotz Polster. Aber wer nimmt seinem Freund schon übel, wenn er Falten bekommt? Niemand! Erlebnisse schweißen zusammen und ich bin mir sicher, das Thunder wird mich noch auf einige begleiten. Und was ist mit der Angekündigten Selbsterkenntnis? Ich gebe es nicht unbedingt gern zu… aber dieses Rad für gute anderthalb tausend Euro macht mir wirklich viel Spaß. Ich frage mich, ob ich wirklich immer so viel Technik und teure Teile brauchte, wie ich manchmal meinte. Das pure und ungefilterte Fahrgefühl eines Rades wie das Thunder eins ist, versetzt mich zurück zu meinen ersten Mountainbike-Gehversuchen.
Früher war nicht alles besser… aber einfacher und manchmal fühlt sich einfacher einfach besser an. Weniger ist mehr, so zu sagen. Total analoges Radfahren. Man braucht kein Ladegerät für einen Akku, man braucht kein Fahrwerks-Setup… Reduce to the Max?! Zu plakativ? Ja, vielleicht schon. Aber Du weist was ich meine? Einfach Rad fahren!