Test Ritchey Outback: Die zweite Version des Ritchey-Gravelbikes ist ein alter Bekannter, freilich aufgefrischt durch eine neue Lackierung und die erste mechanische 1×12-Gruppe von SRAM. Garniert mit den Komponenten der Marke, entsteht ein klassisch anmutender, dabei topmodern ausgestatteter Gelände-Renner, der ebenso Bikepacking-tauglich wie sportlich ist.
Als Rahmenbauer ist Tom Ritchey schon seit einem halben Jahrhundert im Geschäft. Dem Material seiner Anfangsjahre ist er in dieser Zeit weitgehend treu geblieben; mit wenigen Ausnahmen tragen nur Stahlrahmen sein Logo. Und auch wenn Ritchey heute vor allem als Anbieter von Anbauteilen bekannt ist, lohnt es sich gerade aus der Gravel-Perspektive, ab und zu einen Blick auf sein Sortiment zu werfen, das sich freilich nur langsam verändert.
Man nehme das Ritchey Outback: Ende 2017 als erstes Gravelbike von der Marke vorgestellt, war es so manchem Bikepacker damals zu sportlich. Die Geometrie orientierte sich stark am Crosser, und Anbaumöglichkeiten waren Mangelware. Rund zwei Jahre später kam dann die neue Version auf den Markt, an der sich bis heute nichts geändert hat – abgesehen davon, dass Ritchey im Frühjahr 2023 eine Sonderlackierung zum 50. Firmenjubiläum lancierte. Eine gute Gelegenheit, sich das Outback mal wieder anzusehen!
Ritchey Outback – Stahl-Gravelbike mit vielen Montagepunkten
Die neue Version des Stahl-Gravelbikes hat zahlreiche Montagepunkte erhalten, sodass man nun Gabelhalterungen, Schutzbleche und einen Gepäckträger montieren kann. Und die Geometrie hat sich von der ersten zur zweiten Modellgeneration so stark geändert, dass man fast von einem neuen Rahmen sprechen kann. Sitz- und Lenkwinkel sind flacher geworden, der Radstand ist um rund 30 mm gewachsen, was zur Hälfte auf die nun satte 453 mm langen Kettenstreben zurückzuführen ist. Bei den meisten Gravelbikes fallen sie 2 bis 3 cm kürzer aus. Die Reifenfreiheit wird mit 48/51 mm angegeben (28/27,5 Zoll). Auf 650B-Bereifung (27,5 Zoll) ist die Tretlagerhöhe zugeschnitten, die um einige Millimeter größer ausfällt als bei den meisten anderen Rahmen. So befindet sich das Tretlager auch bei einem kleineren Laufraddurchmesser hoch genug über dem Boden.
All diese Daten sprechen für ein laufruhiges Tourenrad für Bikepacking-Einsätze. In der Tat rollt das Outback gerade bei hohem Tempo extrem stabil geradeaus, wobei es sich auf schlechtem Untergrund auch von Längsrinnen nicht aus der Bahn werfen lässt. Doch das ist nur die eine Seite. Das Ritchey ist nämlich gleichzeitig ausgesprochen handlich, reagiert willig auf Lenkbefehle und fühlt sich auch beim Beschleunigen ausgesprochen flott an. Bei langsamem Tempo um Steinbrocken auf dem Pfad herumzuzirkeln ist kein Problem; am Berg bei Fußgängertempo fährt das Rad sauber geradeaus, ohne dass man korrigierend eingreifen muss.
Sehr steigfähig dank langer Kettenstreben
An Steilstücken kommt auch der lange Radstand gelegen, der dafür sorgt, dass man eher „im“ als auf dem Rad sitzt. Durch die langen Kettenstreben liegt der Fahrerschwerpunkt etwas weiter vorne – bei zweistelliger Steigung und kräftigem Tritt neigt das Vorderrad also weniger stark dazu, den Bodenkontakt zu verlieren, als bei kürzeren Rahmen.
Auf kräftige Antritte reagiert das Ritchey mit solidem Vortrieb, wobei sich das Rad natürlich nicht ganz so trocken beschleunigen lässt wie ein leichtes, supersteifes Carbon-Modell. Für ein Gravelbike ist das Outback aber allemal steif genug. Nicht zuletzt werden die Stahlrahmen der Marke bis heute beim Cyclocross eingesetzt, wo man permanent mit voller Kraft antritt.
Die andere Seite ist der hohe Fahrkomfort des Outback. Das Rad fühlt sich extrem geschmeidig an und scheint Vibrationen spürbar zu dämpfen. Klar, dass ein schlanker Stahlrahmen weniger hart ist als ein Alu-Modell mit groß dimensionierten Rohren; auch die weit ausgezogene Carbon-Sattelstütze hat einen Anteil am komfortablen Charakter.
Ritchey-Bauteile und neue SRAM Apex 12
Die Stütze trägt wie so ziemlich alle Bauteile am Outback das Ritchey-Logo. Interessant ist der nicht allzu breite Lenker, der sich mit weniger tiefen, leicht abgewinkelten Lenkerbögen („Flare“) sowie etwas nach außen gebogenen Lenkerenden sehr angenehm und über längere Strecken am Unterlenker greifen lässt. Auch den Laufradsatz liefert Ritchey mit. Der WCS Zeta GX Disc kommt mit breiten, auf typische Gravel-Reifen zugeschnittenen Felgen (25 mm Innenweite) und wird mit klassisch gekröpften Rundspeichen von Hand aufgebaut – Aerodynamik ist hier kein großes Thema. Zu den guten Seiten des Radsatzes gehört ein Zahnscheibenfreilauf; im Zusammenspiel mit tubeless montierten, schnellen Schwalbe-Reifen geht auch das Gewicht in Ordnung.
Da Ritchey nur Rahmensets anbietet, steht jedes Komplettrad beispielhaft für die vielen Möglichkeiten, die der Aufbau bietet. Das Velomotion-Modell ist mit der neuen SRAM Apex 12 in der mechanischen Variante ausgestattet, die dem Oldschool-Charakter des Stahlrenners durchaus entgegenkommt. Mit modernisierter Hebelform, noch geschmeidigeren Gangwechseln und besserer Bremsperformance ist die preiswerte Gruppe eine sehr gute Wahl; 11-44er Kassette und 40er Kettenblatt ergeben einen großen Übersetzungsbereich. SRAM gibt die Schaltung auch für die 10-36er Kassette der 2×12-Schaltgruppen für Rennrad und Gravelbike frei und schließt damit die Lücke zwischen mechanischer und elektronischer Schaltung.
Inklusive Innenlager wiegt die neue Komponentengruppe knapp drei Kilo, was natürlich nicht gerade leicht ist. Der Ritchey-Rahmen wiegt gut 2,2 Kilo, die Gabel etwa 450 Gramm, der Laufradsatz bringt es ohne Kassette und Bremsscheiben auf etwa 2.900 Gramm. Ohne Pedale wiegt das Komplettrad damit knapp 9,8 Kilo – ein gutes Kilo mehr als vergleichbar ausgestattete Carbon-Graveller. Angesichts der hervorragenden Fahreigenschaften tritt dieser Aspekt freilich in den Hintergrund; außerdem könnte man das Rad natürlich mit leichteren Komponenten aufbauen.
Elektronische Schaltgruppen passen allerdings nicht so ganz ans Outback, womit wir zum einzigen Kritikpunkt kommen – der Verlegung des Schaltzuges. Diesen offen auf dem Oberrohr zu führen und dann an der Sitzstrebe entlang ist ein Relikt aus dem Querfeldeinsport, das am Gravelbike jedoch überhaupt keinen Sinn macht.
Ungünstige Verlegung des Schaltzuges
Die Montage einer Oberrohrtasche wird erschwert; durch die ungünstige Position des vorderen Gegenhalters am Oberrohr muss der Schaltzug entweder in einem engen Bogen verlegt werden oder er scheuert permanent am Oberrohr. Und schön sieht es auch nicht aus, wie der Zug an der schlanken Hinterbaustrebe entlang läuft. Es gäbe also gute Gründe dafür, den Schaltzug parallel zur Bremsleitung am Unterrohr zu führen, und auch die vordere Bremsleitung hätte man getrost durchs Gabelbein leiten können statt außen.
Wer auf dem Ritchey Outback sitzt, bekommt von all dem zum Glück nicht allzu viel mit, sondern kann sich auf die Strecke konzentrieren und am harmonischen Charakter des Stahl-Gravellers erfreuen. Die dazu nötige Investition? Das Rahmenset kostet knapp 1.600 Euro; für das getestete Komplettrad fallen etwa 3.500 Euro an. Mit anderen Komponenten und Laufrädern geht es natürlich auch günstiger – ein schönes Rad wird auf Basis des Ritchey Outback auf jeden Fall entstehen.