SRAM Red AXS: Die neue Highend-Komponentengruppe der Amerikaner macht einen deutlichen Schritt nach vorne; die große Überraschung ist dabei die neue Form der Bremsschalthebel. Nach der Erstvorstellung und einem eingehenden Praxistest ist die Sache klar: Bessere „Controls“ gab es noch nie vorn SRAM.
Acht Jahre sind in der Fahrradbranche eine lange Zeit – und fast so lange war die SRAM Red eTap in weitgehend unveränderter Form am Markt. Die kabellose elektronische 2×11-Schaltgruppe mit hydraulischen Scheibenbremsen, genannt Red eTap HRD, wurde im Spätsommer 2016 vorgestellt und folgte damit knapp auf die elektronische Schaltgruppe mit mechanischen Felgenbremsen. Anfang 2019 kam mit der Red AXS eine Zwölffach-Version auf den Markt, deren Neuheit vor allem in den ungewöhnlichen Kettenblatt-Abstufungen lag; dazu gab es Direct-mount-Kettenblätter statt des alten Kurbelsterns. Die Form der Bremsschalthebel blieb allerdings praktisch unverändert. Zeitgleich zur aktualisierten Red kam 2019 eine weitgehend funktionsgleiche SRAM Force AXS auf den Markt.
Es dauerte weitere zwei Jahre, bis ein neuer hydraulisch-elektronischer Hebel fertig war – und den stellte SRAM 2021 in Form der Rival AXS vor, der Nummer drei in der Gruppen-Hierarchie. Deren Design wurde 2023 auf SRAM Force und Apex übertragen; nur die Topgruppe Red blieb auf dem Stand von 2016.
SRAM Red AXS mit komplett neuer Hebelform
Erst im Mai dieses Jahres war eine neue Generation der Red marktreif – und die ist am wichtigsten Kontaktpunkt von Mensch und Maschine komplett neu designt worden. Mit langem Anlauf überspringt die Topgruppe die aktuelle Modellgeneration von Force, Rival und Apex; in Formgebung und Ergonomie sind ihre Hebel noch einmal deutlich verbessert worden. Was auch bedeutet, dass man die SRAM Red 2024 gleich doppelt vergleichen kann – mit dem Vorgänger aus dem Jahr 2016 sowie mit den aktuellen Force & Co.
Wobei sich der Vergleich mit der alten Red fast verbietet: Deren eTap-Hebel wirken im direkten Vergleich klobig; der vergleichsweise kurze Griffkörper lässt den Fingern wenig Platz, wenn man den Hebel umgreift. Immerhin bietet der deutlich ausgeprägte „Knauf“ eine praktische Griffposition, wenn man sich in Bremsgriffhaltung im Gegenwind kleinmachen will. Gänzlich abgemeldet ist der alte Red-Hebel allerdings nicht – immer noch sind viele Gravelbikes und Rennräder mit der entsprechenden Komplettgruppe am Markt erhältlich, teils zu deutlich reduzierten Preisen.
Im Vergleich mit einem aktuellen Force-Hebel wird dann deutlich, wieso die neue Red so ein großer Wurf ist: Aus der Fahrerperspektive betrachtet, also von oben, sind sich die beiden Griffe eigentlich ziemlich ähnlich, abgesehen davon, dass der neue ein paar Millimeter länger ist. Von vorne sieht man, dass der Griffkörper bei der neuen Red weniger weit hinuntergezogen ist. Der große Unterschied zeigt sich von der Seite: Der Bremshebel der Red ist im oberen Bereich weiter nach vorne orientiert und dann stärker zurückgebogen. Dadurch ergibt sich deutlich mehr Platz für die Finger an der Unterseite des Griffkörpers – diese ist mit gut 7 cm ganze 2 cm länger als beim Force-Hebel. Während es beim Force schon für drei Finger eng wird, kann man den Red-Hebel mit allen vier Fingern angenehm umfassen. Was aber noch wichtiger ist: Dadurch, dass der Raum zwischen Griffkörper, Lenker und Bremshebel deutlich größer ist, kann es jetzt nicht mehr passieren, dass man sich beim Ziehen des Hebels die Finger einklemmt bzw. dass die Finger im Weg sind und man nicht richtig bremsen kann.
Komplett neues Innenleben
Um die neue Hebelform zu realisieren, hat SRAM auch das Innenleben komplett überarbeitet. Der Hydraulikzylinder der Bremsanlage stand bisher über dem Bremshebel und machte den hohen Höcker notwendig. Nun ist er horizontal angeordnet, nimmt weniger Platz weg und ist überdies länger geworden. Auch der Drehpunkt des Bremshebels wurde verändert. Zusammen mit der veränderten Form der Bremssättel und -scheiben soll dies für eine deutlich reduzierte Handkraft sorgen – SRAM spricht von minus 80 % in Bremsgriffhaltung und minus 33 %, wenn man vom Unterlenker aus an der Spitze des Bremshebels zieht. Dazu haben beide Hebel zusammen 83 Gramm Gewicht verloren, was gut die Hälfte der Gewichtsersparnis der Komplettgruppe im Vergleich zur alten SRAM Red ist, die bei 153 Gramm liegen soll.
In der Tat ist die Performance der neuen Bremsanlage phänomenal. Den Zeigefinger oben auf den Bremshebel zu legen und leichten Druck auszuüben, reicht aus, um kontrolliert, stark und sicher zu verzögern; starker Zug an der Hebelspitze verbietet sich schon fast, will man nicht das Hinterrad zum Abheben bringen. Gleichzeitig kann man den Griffkörper mit den übrigen drei Fingern und dem Daumen sicher festhalten. Zum Bremsen die Position der Finger zu verändern oder den Griff zu lockern ist hier definitiv nicht nötig. Die starke Rückbiegung des Bremshebels führt dazu, dass dessen Spitze genauso weit vom Lenkerbogen entfernt ist wie bisher. Vom Unterlenker aus kann man bequem den Zeigefinger anlegen und bei Bedarf ziehen, ohne die Position der Hand am Lenker verändern zu müssen.
Die Schaltfunktion unterscheidet sich erst einmal nicht groß von jener der alten SRAM Red. Die Gangwechsel sind schnell und präzise; im Vergleich zum Vorgänger scheint der Umwerfer die Kette sauberer von einem Blatt aufs andere zu schieben. Hier hat SRAM bereits bei Force und Rival nachgebessert. Die neue automatische Trimmfunktion richtig die Gabel des Umwerfers zwei Mal aus, wenn man auf dem großen Kettenblatt die Kassette durchschaltet; auf dem kleinen Blatt ist das Trimmen nicht nötig. Super ist, dass die Einstellschrauben des Umwerfers nun mit „H“ und „L“ gekennzeichnet sind – ein Feature, das die aktuelle SRAM Force nicht aufweist.
Das Schaltpaddel wurde in Form, Größe und Textur verändert; ob es dadurch besser erreichbar ist, lässt sich schwer sagen. Interessanter ist, dass SRAM innen am Knauf des Hebels einen weiteren Schalter platziert hat, den Bonus Button. Dieser hat in der Standard-Konfiguration dieselbe Funktion wie das Schaltpaddel des jeweiligen Shifters, kann jedoch frei konfiguriert werden. So kann man ihn dazu nutzen, die Funktionen eines Radcomputers durchzuschalten; man kann die Tasten aber auch zum Schalten nutzen und quasi „über Kreuz“ belegen. So kann man mit dem Bonus Button des rechten Hebels runterschalten und umgekehrt, d. h. mit jeder Hand in beide Richtungen schalten. Das ist praktisch, wenn man Handzeichen gibt, eine Trinkflasche hält oder gerade in der Trikottasche kramt.
Bonus Button: neue Option zum Schalten oder Tacho-Bedienen
Ein kleines Viereck am Griffgummi erlaubt es, den Bonus Button zu ertasten, was mit Handschuhen aber nicht ganz einfach ist. Die Wireless Blips unterm Lenker hat man dagegen sofort im Griff. Wo man sie auch platziert – die Zusatzschalter sind einer der größten Vorzüge des elektronischen Schaltsystems, was die Bedienung angeht.
Bei den neuen Force/Rival/Apex-Hebeln verzichtete SRAM auf die „Contact point adjustment“ genannte Einstellbarkeit des Druckpunktes, bei der neuen Red gibt es dieses Feature wieder. An der Innenseite des Griffkörpers findet sich eine Schraube, die in insgesamt vier Stufen den Leerweg des Bremshebels vergrößert. Genau – die Einstellung funktioniert nur in diese Richtung. Hat das System etwa durch fehlerhafte Befüllung zu viel Leerweg, lässt sich das nicht mit der Einstellschraube ändern. Richtig sinnvoll erscheint dieses Feature also nicht, zumal man beim neuen Hebel die Griffweite sehr einfach, nämlich von vorne statt von unten verstellen kann. Hierbei rückt der Hebel mehr als 2 cm näher an den Lenker, Was für Leute mit kleinen Händen / kurzen Fingern praktisch ist. Der Leerweg des Hebels wandert beim Verstellen allerdings mit.
Filigran und etwas kantiger wirken die Bremssättel, die die Rotoren auf einem etwas größeren Umfang in die Zange nehmen. Die bisherigen Bremsscheiben sind allerdings mit den neuen Sätteln kompatibel. Der Kurbelsatz wurde optisch nur behutsam weiterentwickelt; am Schaltwerk fällt das große untere Röllchen auf, das effizienter sein soll. Der Wechsler kann bis zu 36 Zähne schalten, ein Schaltwerk mit kürzerer Schwinge (bis 33 Zähne) gibt es nicht mehr.
Hebelsatz + Bremsen als Upgrade erhältlich
Wer sich in den letzten anderthalb Jahren eine Rennmaschine mit SRAM Red oder eine Red-Gruppe kaufte, könnte angesichts der extremen Weiterentwicklung der Schalthebel schlechte Laune kriegen. Hier kommt jedoch ein weiteres Merkmal der AXS-Gruppen zum tragen: Alle elektronischen Komponenten aus dem SRAM-Kosmos sind miteinander kompatibel. Um in den Genuss der neuen Haptik und der stärkeren Bremsen zu kommen, muss man also nicht die komplette Gruppe erwerben, die in der Grundkonfiguration knapp 4.300 Euro kostet – der Hebelsatz inkl. Bremssätteln reicht. Und der ist im Versandhandel aktuell für rund 1.300 Euro erhältlich (UVP 755 € x 2). Auch SRAM Force und Rival AXS lassen sich damit bedienen, ebenso natürlich die Schaltkomponenten von Red und Force 2019. Da Bauteile wie Kurbelsatz und Schaltwerk nur behutsam weiterentwickelt wurden, kann man die neuen Hebel plus Bremssättel prima mit älteren SRAM-Red-Komponenten kombinieren. Ein Upgrade, das sich definitiv lohnt.
Oder darf es ein Komplettrad mit der neuen SRAM Red AXS sein? Eine Rennmaschine wie das Specialized S-Works Aethos, das uns SRAM in Kooperation mit Specialized DACH zur Verfügung stellte, dürfte der Traum aller Fans geschmeidigen Rennradfahrens sein. Mit Pedalen, Flaschenhalter und Wahoo-Mount am Lenker wiegt das 56er Rad unter 6,8 Kilo, wozu die komplette Gruppe knapp 2,5 Kilo beiträgt. Zusammen mit ausreichend hoher Steifigkeit einerseits und angenehmem Komfort andererseits sorgt die geringe Masse für große Handlichkeit und maximale Fahrdynamik. Und auch wenn des Aethos auf aerodynamische Merkmale verzichtet und sich sogar freiliegende Bremsleitungen zwischen Lenker und Rahmen leistet, fühlt es sich mit seinen „Zipp 353 NSW“-Laufrädern im Gegenwind extrem schnell an.
Natürlich ist so ein Rad ziemlich hochpreisig – zählt man alle Bauteile zusammen, kommt man auf rund 14.500 Euro. Immerhin: Ein Aethos Expert Rival für 6000 Euro dürfte dem Topmodell in Sachen Fahreigenschaften sehr ähnlich sein – jetzt noch den Hebelsatz der SRAM Red AXS 2024 dazukaufen, und schon hat man zum halbe Preis eine kaum weniger begeisternde Rennmaschine…