Test Specialized Aethos: Nicht ganz fünf Jahre nach seiner Erstvorstellung ist das Leichtbau-Rad wohlmöglich noch einzigartiger in seiner Abkehr vom „Aero Road“-Trend. Die nach unten deutlich ausgeweitete Modellpalette macht es nun jedoch breiteren Kundenkreisen zugänglich. Höchste Zeit, sich das klassisch gestylte Rennrad mal wieder anzuschauen!
Ein neuer Trend ist es nicht mehr – aber einer, dem sich inzwischen so ziemlich alle Hersteller unterworfen haben: Rennrad heißt heute „Aero Road“ mit windschnittigen Rohrformen, ausgekehltem Sitzrohr, Abrisskanten, tief angesetzten Hinterbaustreben und flächigen Gabelbeinen. Viele Rennmaschinen mit diesen Merkmalen sehen sich ziemlich ähnlich; dabei kann man natürlich einwenden, dass auch die klassischen Stahlrahmen stilistisch wenig Abwechslung boten. Straßenräder, die nicht ins Aero-Schema passen, sind jedenfalls gerade in den oberen Preisbereichen selten geworden.
Specialized Aethos: Schnörkelloser Leichtbau-Renner
Die Fixierung auf aerodynamische Performance bei 45 km/h (dem typischen Geschwindigkeitsbereich bei Aero-Tests) geht allerdings an der Lebensrealität der meisten Rennradfahrer (-innen) vorbei. Wer eher mit einem 25er Schnitt nach hause kommt und viel Oberlenker fährt, braucht nicht mal tiefe Felgen. Und auch beim Fahren in der Gruppe zeigt sich, dass es eher die Fitness ist als das Material, was schneller macht. Nicht zuletzt könnte ein flächiger Renner in Profi-Optik Erwartungen wecken, die man mit seiner Form nicht erfüllen kann – und da liegt es nahe, sich nach einem Rad umzuschauen, das etwas dezenter ist und dabei den Fokus auf andere Eigenschaften als den Luftwiderstand legt.
Mit dem Aethos hat Specialized das bereits vor knapp fünf Jahren getan. Schon damals wirkte das Rad mit den schlanken Rundrohren leicht „retro“; der Fokus auf maximalen Leichtbau mit einem Rahmen, der unter 600 Gramm wog und damit der leichteste der Welt war, sorgte für einiges Aufsehen. Die zwei Kompletträder, die damals erhältlich waren, lagen freilich beide im fünfstelligen Bereich – für die meisten also höchstens Material zum Träumen.
Deutlich ausgeweitete Modellpalette
Das hat sich inzwischen jedoch geändert. Das Sortiment wurde nach und nach erweitert, und heute kostet die günstigste Ausführung nur 3.400 Euro. Neben dem Highend-Modell der „S-Works“-Reihe aus dem superleichten „FACT 12r“-Carbon gibt es Varianten mit „FACT 10r“-Rahmen, was rund 700 statt 600 Gramm Rahmengewicht bedeutet – also gerade mal 100 Gramm weniger, die beim Rahmenpreis bis zu 2.200 Euro ausmachen. Noch etwas schwerer ist das 2024 vorgestellte „FACT 9r“-Modell, das etwa beim günstigsten Aethos zum Einsatz kommt, dem „Sport“. Dessen Rahmen wiegt in Größe 56 mit Umwerfersockel, Schaltauge usw. aber auch nur 850 Gramm, die Gabel gut 300 Gramm, was immer noch extrem wenig ist.
Doch das ist gar nicht mal die Hauptsache. Viel wichtiger ist, dass man mit dem Aethos eine schlanke, schnörkellose Rennmaschine bekommt, bei der der Fokus einfach nur auf dem Fahrerlebnis liegt, weniger auf maximaler Performance bei möglichst geringem Leistungsaufwand. Die Vorsilbe „Renn-“ muss man von daher eigentlich streichen, denn mit diesem Rad wendet sich Specialized gerade nicht an Rennfahrer. Stattdessen bietet es all jenen, die Radfahren in Reinkultur genießen wollen, statt auf Sekundenjagd zu gehen, sozusagen die Essenz des Rennrades.
Mit zunehmendem Alter hat das Aethos sein Profil nur geschärft, denn gerade von den großen Anbietern gibt es immer weniger vergleichbare Bikes. Am Cockpit außen geführten Bremsleitungen sind selbst in den günstigen Preisklassen selten geworden; die Klemmschelle ist allenthalben gegen eine integrierte Sattelklemme ausgetauscht worden. Am Specialized sorgt beides für die schlanke Optik, zu der klar vom Sitzrohr abgegrenzte Hinterbaustreben sowie der schlanke, runde Vorbau gehören. Dieser wirkt nicht zuletzt eleganter als die klobigen Vorbauten vieler Räder mit integrierten Leitungen. Arbeiten am Cockpit sind mit außen liegenden Bremsleitungen natürlich einfacher; am Tretlager gilt dasselbe dank des geschraubten BSA-Innenlagers. Beide Merkmale sind beim Selbstaufbau der Rahmensets interessant, die Specialized anbietet. Das BSA-Tretlager ist interessanterweise auch bei anderen Herstellern wieder im Kommen, zumal es in Sachen Wartung und Montage deutlich unkomplizierter ist als eingepresste Innenlager.
Hoher Fahrkomfort ohne unangenehmen Flex
Mit der grazilen Formgebung zielte der Hersteller nicht nur auf geringes Gewicht ab; auch in Sachen Fahrkomfort hat das Aethos viel zu bieten – und zwar ganz ohne Flex-Zonen oder Extravaganzien wie die Zertz-Einsätze älterer Specialized-Modelle. Die schlanke Gabel und die superleichte Sattelstütze (knapp 160 Gramm) machen sich bei der Stoß- und Vibrations natürlich besonders bemerkbar, wobei die Stütze kein bisschen wippt. Auch der Rahmen selbst wirkt sehr komfortabel, ohne dabei weich zu sein: Weder schleift im Wiegetritt die Bremsscheibe am Sattel, noch vibriert die Gabel, wenn man in die Eisen geht. Und auch bei hohem Tempo ist das Aethos angenehm fahrstabil und sicher.
Klar gibt es steifere Rahmen, doch auf Sprinter ist das Specialized schließlich auch nicht abgestimmt. Dass es kein „Renn-Rad“ ist, darf man aber auch nicht falsch verstehen: Die Rahmengeometrie entspricht 1:1 der des Specialized Tarmac SL8 und ist auf eine eher gestreckte Sitzhaltung mit tiefem Lenker zugeschnitten. Und dies ist eine weitere Besonderheit des Aethos: Es ist eben kein Endurance-Rad mit langem Steuerrohr und am besten noch Gewindeösen für Schutzbleche oder Zubehör. Die Sitzhaltung ist aggressiv (zumal man ja mangels integrierter Leitungen alle Spacer unterm Vorbau entfernen kann), das Handling mit dem eher kurzen Serien-Vorbau fast schon zu verspielt. Und immer dann, wenn man das Tempo anzieht, aus dem Sattel geht oder das Rad in die Kurve drückt, spürt man das geringe Gewicht des schlanken Specialized: Mit der neuen SRAM Red AXS und superleichtem Zipp-Radsatz wiegt das „S-Works“-Topmodell mitsamt Pedalen, Flaschenhaltern und Wahoo-Mount immer noch keine 6,8 Kilo.
Traumhaft leichtes Topmodell
Kunststück bei einem 14.000-Euro-Rad, kann man jetzt sagen – doch hier kommen die inzwischen verfügbaren günstigeren Versionen ins Spiel. Bis hinunter zum Einstiegsmodell, dem Aethos Sport mit mechanischer Shimano 105, kommen alle Ausführungen mit derselben Gabel und derselben Carbonstütze; auch Bauteile wie die extrem leichten Steckachsen und die Carbon-Spacer finden an allen Modellen Verwendung. Und da der Fahreindruck gerade in Sachen Komfort stark von Gabel und Stütze abhängt, fühlt sich das preiswerte Aethos Sport im direkten Vergleich wie das teuerste an – mal abgesehen vom Mehrgewicht und den Komponenten.
Eine Ausführung wie das Aethos Expert mit SRAM Rival AXS nebst Powermeter und Carbon-Radsatz ist mit glatt 6.000 Euro kaum teurer als vergleichbar ausgestattete Konkurrenzprodukte, dabei aber deutlich leichter als ähnlich ausgepreiste Bikes. Die Einstiegsmodelle „Sport“ und „Comp“ lassen sich derweil mit leichten Laufradsätzen in Sachen Gewicht und Fahrverhalten tunen. Dazu bietet Specialized ab 3.300 Euro Rahmensets an. Das einzige, was jetzt noch fehlt, ist ein Aethos mit Aluminiumrahmen – Vorbild wäre das Specialized Crux DSW, die Alu-Variante des superleichten Gravelbikes Crux.
Ach so, im Rennsport hat sich das Aethos natürlich auch schon bewährt: 2021 bestritt Sprinter Kasper Asgreen die erste Bergetappe der Tour de France auf dem Leichtbau-Rad statt auf dem gewohnten Tarmac SL. Klar, eine Marketing-Aktion – doch dass sich Specialized mit seinem Oldschool-Rad nur an Hobbyfahrer wendet, kann man seitdem nicht mehr behaupten.