Tour de France Geschichte: Im Radsport werden Helden geboren, tragische Figuren gemacht und spannende Geschichten geschrieben. In den kommenden drei Wochen blicken wir auf verschiedenste Ereignisse der Tour de France zurück. Den Anfang macht heute Richard Virenque. Der mittlerweile 49-jährige Franzose fuhr genau vor 27 Jahren in die Herzen der französischen Fans. Der streitbare Charakter und die sich nach Erfolg sehnenden Zuschauer begannen ihre mit vielen Ups and Downs gespickte Liebesbeziehung.
Von 0 auf 100: Virenque wurde sofort zum Publikumsliebling
Wir schreiben die Tour de France 1992. Seit 1985 warteten die Franzosen auf ihren nächsten Helden. Für die erfolgsverwöhnten Zuschauer waren sechs Jahre ohne einheimischen Toursieger eine lange Zeit. Hätten sie damals bereits gewusst, dass sie auch 27 Jahre später noch immer auf den Nachfolger von Bernard Hinault warten müssen, wäre vielleicht auch die Karriere von Richard Virenque anders verlaufen. Denn die an ihn gestellten Erwartungen wuchsen rasant an. 1991 startete der in Casablanca geborene Bergspezialist seine Karriere. Ein Jahr später gab er sein Debüt bei der Frankreich-Rundfahrt. Sofort gelang es ihm, sich in die Herzen der Fans zu fahren. Mit seinem aggressiven und offensiven Fahrstil sorgte er für ein Spektakel. Genau das war es, was die französischen Fans sehen wollten. Und sie bekamen mehr: Denn Richard Virenque sollte direkt bei seiner ersten Tour de France ins Gelbe Trikot stürmen.
Gelb: Richard Virenque jubelt in Pau über Rang 2
1992 startete die Tour de France in Spanien. So wurde auch die zweite Etappe in San Sebastián gestartet. Auf dem Weg nach Pau wurde es bergig. Ungewohnt früh mussten sich also die Klassement- und Bergfahrer präsentieren. Richard Virenque schlich sich in die Ausreißergruppe des Tages. Der gerade einmal 22-Jährige war für das kleine Team RMO unterwegs und im Fahrerfeld noch ein unbeschriebenes Blatt. Doch am 6. Juli 1992 machte er sich einen Namen. Gemeinsam mit dem Spanier Javier Murguialday löst er sich aus dem Hauptfeld und rettete rund fünf Minuten Vorsprung ins Ziel. Zwar gelang Richard Virenque der Etappensieg nicht, aber dennoch jubelte er beim Überqueren der Ziellinie. Was er nämlich bereits wusste: Das Gelbe Trikot gehört ihm! Auf den letzten Kilometern fuhr Richard Virenque um jede Sekunde. Nach der Etappe führte er die Gesamtwertung mit einem Vorsprung von 4:34 Minuten auf Miguel Indurain an.
1994: Durchbruch zu einem Top-Bergfahrer
Leider durfte Richard Virenque das Gelbe Trikot nur einen Tag tragen. Denn auf der dritten Etappe wurde er Opfer der eigenen Teamtaktik. Sein Kollege und Landsmann Pascal Lino schlich sich in die Ausreißergruppe des Tages, so dass die Mannschaft RMO keine Nachführarbeit im Hauptfeld verrichten musste. Schließlich fand sich keine andere Equipe, um die Lücke zu schließen und Pascal Lino lag in der Gesamtwertung plötzlich knapp zwei Minuten vor Richard Virenque. Fortan wurde natürlich für ihn gefahren. Mit vereinen Kräften gelang es, das Gelbe Trikot weitere elf Tage zu tragen, ehe Vorjahressieger Miguel Indurain das Zepter übernahm. Richard Virenque wurde am Ende 25. der Gesamtwertung. Sein zweiter Rang in der Bergwertung sollte schon damals ein Fingerzeig sein. 1994 gelang ihm endgültig der Durchbruch. Mit Rang fünf in der Gesamtwertung und seinem ersten Gewinn des Bergtrikots stieg er auf zu einem der besten Fahrer der Welt. Und der schöne Teil seiner Tour de France Geschichte nahm seinen Lauf.
Gepunktet statt Gelb: Virenque beginnt die Jagd
Schon zu seinen Anfangszeiten war deutlich ersichtlich, dass die Schwächen des Franzosen im Kampf gegen die Uhr zu finden sind. Doch da er in den Bergen immer stärker wurde, konnte er diese Defizite mit seiner offensiven Fahrweise schlichtweg ausgleichen. 1996 und 1997 gelangen ihm die besten Resultate. In der Gesamtwertung wurde er nur vom Team Telekom geschlagen. Zunächst gewann Bjarne Riis, dann Jan Ullrich. Die Ära von Miguel Indurain war vorbei und die französischen Fans sahen in Richard Virenque nun ihre größte Chance, endlich wieder die Tour de France zu gewinnen. Doch Virenque blickte parallel zumindest mit einem Auge immer auch auf das Gepunktete Trikot. Er gewann das Bergtrikot in seiner Karriere insgesamt siebenmal. Genauso oft durfte er über Etappensiege jubeln. Sein Markenzeichen: Ein senkrecht nach oben gestreckter Arm und Zeigefinger.
Der tiefe Fall: Virenque wird zum Gesicht des Festina-Skandals
Nach seinem zweiten und dritten Platz in den Jahren zuvor, ging Richard Virenque 1998 als ein Favorit in die Tour de France. In Frankreich stellte man sich nicht die Frage, OB Virenque die Tour de France gewinnen wird, sondern nur WANN. Endlich sollte die Durststrecke ein Ende haben. Doch es kam anders – ganz anders. Denn statt den lang ersehnten nächsten französischen Toursieg zu feiern, wurde die Tour de France 1998 zur Tour de Farce. In den Medien war die Rede von der „rollenden Apotheke“ und der Sport geriet in den Hintergrund. Im Fokus stand vor allem das Team Festina. Pfleger Willy Voet, Sportdirektor Bruno Roussel und Mannschaftsarzt Eric Ryckaert wurden in Gewahrsam genommen. Am 23. Juli verhörte die Polizei auch die Fahrer. Richard Virenque beteuerte unter Tränen seine Unschuld. Die Tour ging ohne ihn und seine Mannschaft zu Ende. Es gewann Marco Pantani vor Jan Ullrich.
Das Comeback: Virenque kommt als Geläuterter zurück
Da Richard Virenque weiterhin seine Unschuld beteuerte und er nie positiv getestet wurde, konnte man den Franzosen nicht sperren. So gewann er 1999 ein weiteres Mal die Bergwertung und eine Etappe bei der Tour de France. Die französischen Fans waren gespalten. Einige sahen in ihm den Lügner und Sünder, die anderen wiederum den unschuldigen, hochtalentierten künftigen Toursieger. Doch nachdem die systematische Dopingpraxis im Team Festina aufgeklärt wurde und Richard Virenque geständig war, wurde er für sieben Monate aus dem Verkehr gezogen. Bei seinem Comeback waren die Fans erneut gespalten: verzeihen oder nicht? Durch seine aktive Fahrweise, seine deutlich schwächeren Resultate und sein ehrlich und authentisch wirkendes Erscheinungsbild wurde der verlorene Sohn aber wieder mit offenen Armen empfangen. Er galt als geläuterter Profi. Als Mensch, der einen Fehler gemacht hat und daraus lernen durfte. 2004 beendete Richard Virenque seine aktive Laufbahn. Seitdem arbeitet er für Eurosport Frankreich. Und die Fans warten seit 1985 noch immer auf den nächsten französischen Toursieger.