Besser Radfahren: Tubeless?! Bei der Option den Luftdruck und damit die Fahreigenschaften des Rades stärker variieren zu können und zusätzlich noch die Pannensicherheit zu erhöhen, müsste jeder Radfahrer Hurra schreien. Trotzdem findet die Schlauchlos-Technik noch nicht den Weg in die Breite Masse. Sollte sie aber, oder?
Eigentlich ist Tubeless, also schlauchlos Fahren, total normal. Kein Mensch braucht einen Schlauch im Reifen…. Fast jeder in Europa hat einen PKW-Führerschein, und macht sich wenig Gedanken um die Luft im Reifen eines Autos. Da ist im Regelfall kein Schlauch verbaut. Warum haben viele Radler noch immer Berührungsängste mit dem Thema? Was bei vielen Mountainbikern immer mehr zum Standard gehört, das funktioniert auch am Rennrad oder eBike. Gerade beim Gravelbike, mit dem man auch mal weniger gute Wege fährt und einen Platten riskiert oder auch beim Pendeln mit dem eBike macht Tubeless viel Sinn.
Was hat ein Tubeless System für Vorteile, und wie wird es benutzt?
Wie schon erwähnt, ist ein Fahrrad Schlauchlos-System im Wesentlichen mit dem beim PKW vergleichbar. Auch hier sitzt ein Reifen direkt auf der Felge, in die ein Ventil eingesetzt ist, auf dem Schlauch wird verzichtet. Damit das System dicht hält wird sowohl beim PKW wie auch beim Fahrrad einen entsprechend geformte Kontaktfläche am Reifen und der Felge benötigt.
In zwei Punkten unterscheiden sich Fahrrad und Auto diesbezüglich jedoch. Die Fahrrad-Felge hat im Regelfall Bohrungen für die Speichen, welche mit einem speziellen Felgenband, meist als eine Art Klebeband ausgeführt, verschlossen werden müssen. Weiter kommt beim Fahrrad eine Dichtmilch zum Einsatz die das Austreten von Milch verhindern und auch bei Beschädigungen des Reifens abdichten soll. Auf die Dichtflüssigkeit kann beim PKW verzichtet werden, da Felgen und Reifen wesentlich massiver konstruiert werden können, was Dichtheit gewährleistet. Dieses große Mehrgewicht spart man beim Fahrrad ein.
Der vielleicht größte Vorteil beim Fahren mit schlauchlosen Reifen ist der deutlich verbesserte Pannenschutz. Ein kleineres Loch wird von der Flüssigkeit schnell wieder verschlossen. Zusätzlich lassen sich mit einem Tubeless-Setup deutlich geringere Drücke fahren, ohne damit mehr unverhältnismäßig viele Pannen zu riskieren . Sehr viele Pannen beim Fahren mit Schlauch resultieren aus Durchschlägen, wenn beispielsweise beim Überfahren eines Bordsteins der Schlauch zwischen Reifen und Felge eingequetscht wird. Durch den verringerten Druck bekommt man ein Mehr an Komfort bzw. an Traktion. Übrigens: Die Dichtflüssigkeit wird umgangssprachlich als Milch bezeichnet. Das hat rein optische Gründe – echte Milch ist unseres Wissens nach nicht enthalten.
Was sind die Voraussetzungen für Tubeless?
- Geeignete Felgen. Inzwischen sind diese an hochwertigen Rädern weit verbreitet und meist entsprechend gekennzeichnet.
- Ein Tubeless-taugliches Felgenband, das zur Felgenbreite passen muss. Es soll das komplette Felgenbett abdecken ohne die Felgenwand zu belegen.
- Ein zur Felge passendes Tubeless Ventil muss verbaut werden, es gibt diese mit unterschiedlich geformten Dichtungen.
- Ein Tubeless Reifen. Diese gibt es inzwischen in praktisch allen Kategorien, auch sie sind entsprechend gekennzeichnet.
- Eine zum Reifenvolumen passende Menge Dichtmilch muss eingefüllt werden. Für die sehr weit verbreitete Dichtmilch von Stan’s wird folgende Empfehlung gegeben:
Auch Trekkingräder, Citybikes und eBikes lassen sich hier einordnen, entsprechend der Reifengrößen.
Auch ein konventioneller Laufradsatz lässt sich unter Umständen Tubeless fahren:
https://www.velomotion.de/magazin/2015/01/schwalbe-tubeless/
Welche Dichtflüssigkeiten gibt es? Was sagen ihre Hersteller darüber? Und was ist drin?
Jede Tubelessflüssigkeit funktioniert auf die gleiche Weise. Darin befinden sich Fasern bzw. Partikel, die überall wo sie Kontakt zur Umgebungsluft haben, verkleben und zu einer gummiartigen Konsistenz aushärten. Doch auch ohne Reifendefekte wird die Milch im Reifen mit der Zeit zäh und verliert an Dichtwirkung. Deshalb muss sie nach einer gewissen Zeit ausgetauscht werden.
Stan’s NoTubes
Stan’s ist das ursprüngliche, erste wirklich bekannt gewordene, auf Dichtmilch basierende Tubeless-System. Stan’s hat neben der Dichtmilch auch eigene Felgen im Programm. Die patentierte BST Felgenform soll zu jeder Zeit eine einfache und schnelle Tubeless-Montage ermöglichen. Das bekannte gelbe Felgenband von Stan’s lässt sich einfach auf sämtlichen Felgen anbringen, das können wir aus Erfahrung bestätigen. Es ist zudem wasserdicht und sehr leicht. Es liefert eine sehr gute Basis für eine funktionierende Tubeless-Montage, aber funktioniert auch beim Gebrauch von Schläuchen.
Das Reifendichtmittel von Stan’s NoTubes ist bereits seit über 20 Jahren erhältlich und hat sich auf dem Top Level des Radsports bewährt. Das auf Naturlatex basierende Sealant ist in zwei Versionen, dem Standard- und dem Race-Sealant erhältlich. Das Race Sealant verschließt laut Stan’s Löcher bis 8 Millimeter, während das Standard-Dichtmittel bis 6 Millimeter schaffen soll. Letzteres soll dafür etwas länger haltbar sein.
Continental RevoSealant
Continental behauptet von seinem RevoSealant, es könne kleine Schnitte oder Stiche im Reifen verschließen. Es soll dabei auf den Luftdruck ankommen, wie groß die Beschädigungen des Reifens sein dürfen. Bis zu 2 mm beim Road-Einsatz, wo mit höherem Druck gefahren wird und bis zu ~4mm beim MTB. Das Continental RevoSealant kommt, im Gegensatz zu vielen anderen Produkten am Markt, ohne natürliches Latex und Ammoniak aus. Somit schont es laut Continental die Umwelt, insbesondere auch dann, wenn Sealant austreten sollte. Auch für Allergiker soll RevoSealant besser geeignet sein und es soll Carbon-/Alu-Felgen besonders wenig beanspruchen.
Maxalami Wurstwasser
Pepi’s Tire Noodle ist für Reifeneinlagen in der Mountainbike-Welt bekannt. Diese „Gummiwürste“ liegen im Reifeninneren und sollen Reifen und Felge schützen. Vertrieben werden die Teile von Maxalami, und da gibt es ein passendes Dichtmittel, das sogennannte Wurstwasser. Es ist für die Verwendung von Reifeneinlagen angeblich besonders geeignet, weil es sich, im Gegensatz zu Produkten aus Naturlatex, nicht in seine Bestandteile trennt. Außerdem soll es bei Naturlatex verstärkt zu einer Kristall-Bälle-Bildung kommen, welche die Reifeneinlage zerstören kann.
Maxalami deklariert das Wurstwasser als kompatibel mit CO2-Kartuschen und hautfreundlich. Das Wurstwasser Hi-Fibre leistet laut Maxalami einen deutlichen Beitrag zum Umweltschutz, da für die Gewinnung von Natur-Latex immer mehr Regenwälder gerodet würden. Wurstwasser ist nach internationalen Richtlinien als nicht gefährdend eingestuft. Es hält nach Kundenangaben deutlich länger als Produkte aus Naturlatex. Durch die einfache Wasserverdünnbarkeit soll sich die Haltbarkeit deutlich erhöhen lassen.
Schwalbe DocBlue
Der Reifenriese Schwalbe hat natürlich auch eine Dichtmilch im Programm. Das DocBlue Professional ist eine latexbasierte Dichtmilch, ebenfalls produziert von Stan’s NoTubes. Es lässt sich sehr leicht über das Ventil einfüllen, wirkt je nach Einsatzbereich zwischen 2 bis 7 Monaten und verklebt den Reifen nicht. Mit dem DocBlue Professional hat Schwalbe aktuell ein sehr gutes Sealant, das sowohl für niedrige Luftdrücke beim MTB als auch bei Hochdruckanwendungen wie im Rennrad funktioniert. Worauf Schwalbe hinweist, das empfehlen wir für Dichtmilch aller Marken: „Vor dem Einfüllen unbedingt gut schütteln, damit sich die Schwebestoffe gut in der Flüssigkeit verteilen.“
Muc-Off No Pucture Hassle
Muc-Off ist als Spezialist für Reinigungs und Pflegeprodukte sehr erfolgreich geworden. Seit einiger Zeit gibt es mit der No Puncture Hassle auch Dichtmilch vom Hersteller mit dem grell-pinken Design. Das Entwicklungsteam sagt, das Sealant seit mit zahlreichen Athleten rund um den Globus getestet worden. Ganze drei Jahre Entwicklungszeit sollen in der Milch stecken. So habe man die Dichtleistung auf ein neues Niveau heben können. Mikrofasermoleküle in der Flüssigkeit sind für die Dichtleistung zuständig und sollen Löcher von bis zu 6mm verschließen können. Die flüssigen Komponenten sollen biologisch abbaubar sein, die Haut nicht reizen und mit warmem Wasser leicht abzuwaschen sein. Die Mikrofasern im in No Puncture Hassle sind übrigens Aramid Fasern aus recycelten Reifen. Sie helfen, die größeren Löcher zu versiegeln indem sie sich verflechten, um eine dauerhafte, starke Versiegelung zu bilden.
Tune One Shot Dichtmilch
Tune will nicht sagen, was in ihrer Dichtmilch drin ist: „Ein guter Koch verrät natürlich nicht seine Geheimzutaten. Unsere Milch kommt jedoch ohne Ammoniak, Latex und anderen gängigen Additiven.“
Gibt es Besonderheiten im Umgang mit der Dichtmilch? Wie entsorgt man sie?
Milch tauschen? Nicht unbedingt!
Es hält sich hartnäckig das Gerücht, Dichtmilch müsste regelmäßig getauscht werden. Das stimmt so nicht. Die Milch trocknet am Reifen an und kann ihren Job nicht mehr machen, das stimmt. Ein Austausch ist aber nicht nötig – man muss nur nachfüllen. Das geht entweder über das Ventil oder über die Felgenflanke, wenn man den Reifen ein Stück herunterzieht. Das geht sehr einfach und sauber. wenn man etwas geübt ist.
Schadet Dichtmilch der Umwelt? Wie entsorge ich richtig?
Muc-Off bezieht ausführlich Stellung zur Umweltauswirkung ihres Dichtungsmaterials. Ihre Zusammensetzung macht den Reifen langlebiger und erhält länger seine Dichtheit. Wer weniger oft Reifen wechseln muss, schont die Umwelt. Verglichen mit dem Fahren ohne Dichtmilch hat eine unabhängige Studie auch die Verkleinerung des CO² Fußabdrucks dadurch bestätigt. Die Milch kann flüssig oder trocken im regulären Hausmüll entsorgt werden. Muc-Off weist außerdem explizit darauf hin, dass die Mich als ungiftig eingestuft wird und sie selbst wenn sie in Gewässer gerät, diese nicht kontaminiert.
Schwalbe und Stan’s teilen sich die Mich und somit auch die Tipps zur Entsorgung: „Wenn man ganz sicher gehen will, kann man bei der örtlichen Behörde nachfragen, wie sie entsorgt werden soll, aber eigentlich kann man es in der schwarzen Tonne (Restmüll) entsorgen. Beim Reifenwechsel kann die Milch mit einem Lappen aus dem Reifen gewischt und im Hausmüll entsorgt werden.“
Die Tune-milch soll man einfach mit warmem Wasser, etwas Seife und einer Bürste vollständig entfernen können. Die One Shot Milch soll sogar biologisch abbaubar sein, es soll keine speziellen Entsorgung notwendig sein.
Erfreuliches gibt es auch von Continental zu berichten. Der RevoSealant soll ganz einfach mit etwas Wasser aus dem Reifen herausgewaschen werden können und ist über den normalen Wertstoffkreislauf zu entsorgen. Hinweise dazu befinden sich auch direkt auf der Verpackung.
Wichtiger Tipp unsererseits: Beim Umgang mit Dichtmilch sollte man seine Kleidung gut schützen. Kommt etwas davon auf Textilien, so sind diese meist unrettbar verschmutzt.
Wo liegt der Anwendungsbereich für Tubeless Milch?
Schwalbe sieht in seiner DocBlue Milch ein gutes Mittel, um auch nicht explizit tubeless-fähige Reifen schlauchlos fahren zu können. Dies gelte für Mountainbikes und Rennräder gleichermaßen. Gerade im Triathlon wechseln nach Einschätzung von Schwalbe immer mehr Athleten vom klassischen Schlauchreifen zum Tubeless System. Auch zahlreiche Teams in der UCI Continental und Pro-Continental Liga haben angeblich mittlerweile 100% Vetrauen in das Tubeless Set-up.
2019 konnte Schwalbe die Siegerinnen beim Amstel Gold Race und der Strade Bianche in der WorldWomen Tour stellen, auf Schwalbe Pro One TLE. Dabei stellt Doc Blue Professional die Abdichtung des Tubeless Easy Reifens sicher, gleichzeitig bietet die Dichtmilch aber auch präventiven Schutz bei Pannen, denn kleine Einstiche sollen in Sekundenschnelle abgedichtet werden. Im Hinblick auf die Performance wie Rollwiderstand, Pannenprophylaxe sieht man bei Schwalbe das Tubeless-(Easy) System den „alten“ Schlauch- oder Schlauchreifen Set-ups weit überlegen.
Continental sagt, die Dichtmilch biete einen Instant-Schutz und helfe bei kleinen Defekten weiterzukommen und die Tour oder das Rennen nicht unterbrechen zu müssen. Allerdings sind auch mit Dichtmilch und Tubeless Reifenpannen nicht gänzlich ausgeschlossen. Continental gibt den Tipp: „Man sollte immer noch die gängigen Reifenheber, Ersatzschlauch und Pumpe mitführen, besonders wenn man auf einer langen Tour unterwegs ist.“
Muc-Off sieht tubeless als die beste Lösung für jeden Fahrradtyp. Die Idee: Mehr Zeit zum Fahren, weniger Nerven vergeuden, weniger Zeit in der Werkstatt verbringen. Stan’s sieht zwar den etablierten Anwendungsbereich von Tubeless-Milch beim Mountain Bike und dem Gravel-Rad. Hier sind die Vorteile auch am deutlichsten: Mehr Traktion, da mit weniger Luftdruck gefahren werden kann, weniger Rollwiderstand, weniger Pannenanfälligkeit, geringeres Gewicht, mehr Fahrkomfort. Aber nur weil hier die Vorteile am größten sind, bedeutet dies nicht, dass man nicht auch andere Radtypen ohne tubeless fahren könnte.
Wir schließen uns da an: Jedem, der gute Fahreigenschaften und hohe Pannensicherheit schätzt, für den macht es Sinn ein Schlauchlos-System auszuprobieren.
Warum ist Tubeless im e-Bike und Road Bereich noch nicht angekommen?
Aktuelle Zahlen verschiedener Partner zeigen laut Muc-Off, dass immer mehr Fahrer aus verschiedenen Bereichen sich für Tubeless öffnen. Fahrrad-, Reifen- und Komponenten-Hersteller unterstützen das: Die meisten hochwertigen modernen Straßenräder sind zum Beispiel bereit für schlauchloses Fahren ganz oder teilweise vorbereitet.
Schwalbe sieht den Roadbike Bereich als sehr konservativ. Er adaptiere neue Technologien nur sehr langsam. Das haben wir auch bei der Discbrake so erlebt. Man will weiterhin Überzeugungsarbeit leisten um die Angst vor der Montage und Handhabung abzubauen. Der Performance-orientiere E-Bike Fahrer greift laut Schwalbe insbesondere im MTB Segment schon zur Tubeless-Bereifung. Bei der breiten Masse sei das System aufgrund der aufwendigen Montage, im Vergleich zum „normalen“ Reifen noch nicht angekommen. Auch gibt Schwabe einen interessanten Hinweis: Rein rechtlich dürfen Tubeless Reifen nur auf Pedelecs mit max. 25km/h verbaut werden. nicht auf Speed Pedelecs.
Continental hat ebenfalls eine Meinung zu Tubeless in Kombination mit dem Thema eBike: „Der Grund, warum diese Technologie bei eMTB-Fahrern womöglich noch nicht angekommen ist, liegt wahrscheinlich in dem vermeintlich höheren Set-Up Aufwand begründet. In unseren Try&Buy-Aktionen, die wir dieses Jahr vermehrt auf Endkunden-Events durchgeführt haben, bieten wir unseren Kunden an, ihre neuen Reifen ebenfalls mit einem Tubeless-Set-Up zu versehen. Nachdem sie gesehen haben, wie einfach ein Tubeless-Set-Up zu erreichen ist, sind meistens die Berührungsängste vorbei und die Kunden führen die nächste Montage direkt selbst durch.“
Unwissenheit und Scheu vorm Installieren sieht man auch bei Stan’s als Hindernis. „eBikes sind recht schwer, dabei sollte eigentlich Tubeless besonders für eBikes interessant sein. Schließlich ist es mühseliger einen Schlauch bei einem schweren eBike zu tauschen, als Milch nachzufüllen.“ Laut Stan’s ist Tubeless mittlerweile auch im Rennrad- und eBike Bereich angekommen. Fast alle eBikes und Rennräder im mittleren und höheren Bereich sind bereits mit Tubeless-Ready-Felgen und viele davon sogar schon mit Tubeless-Reifen ausgestattet. Das heißt: In den meisten Fällen genügt für die Umrüstung auf Tubeless nur Tubeless-Felgenband, Ventile und Dichtmilch.
Unser Fazit
Egal ob man sehr sportlich fährt, ob man sich ab und zu über einen Platten ärgert oder ob man einfach gern was Neues ausprobiert. Für jeden, der etwas handwerkliches Geschick hat, lohnt es sich Tubeless auszuprobieren.