Doping im (Rad-)Sport und seine Rolle
DR: Zurück zum Doping. Würdest du es wieder tun?
LA: Das ist eine komplizierte Frage und meine Antwort wird nicht gut ankommen. Wäre ich ein Fahrer im Jahr 2015: Nein, ich würde es nicht wieder tun, weil ich denke, dass man es nicht muss. Würde man mich aber wieder zurück ins Jahr 1995 schicken, als es einfach allgegenwärtig war, würde ich es vielleicht wieder tun. Die Leute wollen das nicht hören.
DR: Ist das aber einfach eine ehrliche Antwort?
LA: Ja, das ist eine ehrliche Antwort. Aber lass es mich erklären.
Als ich diese Entscheidung traf, als meine Teamkollegen und das gesamte Peloton diese Entscheidung traf… es war kein weiser Entschluss und eine ungute Zeit. Aber es ist passiert.
Ich weiß was passierte, als Lance Armstrong tat was er tat. Ich habe gesehen, was zwischen 1999 und 2005 mit dem Radsport passiert ist. Ich war Zeuge dieses Wachstums. Ich habe die Entwicklung der Fahrradindustrie miterlebt. Ich weiß, was mit Trek Bicycles passiert ist, deren Verkaufseinnahmen von 100 Millionen Dollar auf eine Milliarde gestiegen sind. Ich habe auch gesehen, was mit meiner Stiftung passiert ist. Am Anfang habe ich keinen Cent gesammelt und am Ende waren es 500 Millionen, die drei Millionen Menschen zu Gute kamen. Sollen wir das alles einfach streichen? Ich glaube niemand würde dies mit einem ‚Ja‘ beantworten.
Ich werde dir sagen, was ich tun will. Ich würde gerne den Menschen ädern, der diese Dinge getan hat. Nicht, dass er es getan hat, aber wie er sich verhielt. Wie er mit anderen Menschen umgegangen ist, wie er einfach alles zum Wettkampf gemacht hat. Das ist okay im Training und im Rennen, aber doch nicht auf der Pressekonferenz, einem Interview oder sogar im persönlichen Gespräch. Ich würde das auch hier jetzt mit dir tun – dich herausfordern.
Dieser Mensch musste sich verändern und darf auch nicht wieder zurückkommen. Es ist also wirklich keine Einfache Frage und ich will ehrlich mit dir sein. Es wird keine beliebte Antwort sein, aber was sich ändern musste, war die Art und Weise wie ich gehandelt habe.
DR: Schau dir die Gelben Trikots hier an der Wand an. Hältst du noch immer an der Aussage fest, es sei damals ein fairer Wettbewerb gewesen?
LA: Ja, das tue ich. Aber diese Frage solltest du meinen damaligen Konkurrenten stellen. Frag‘ doch Jan Ullrich oder Zülle. Frag‘ die 200 Fahrer jedes Jahr für sieben Jahre lang.
DR: Ich sage aber, es war kein fairer Wettbewerb. Das ist doch das Kernproblem von Doping, von EPO. Man braucht entsprechende Behandlungen und sehr gute Ärzte, um entsprechende Ergebnisse zu erzielen. Das ist alles sehr kostspielig. Wir wissen also nicht, wer wirklich der beste Fahrer war.
LA: Ich denke nach wie vor, dass es ein fairer Wettbewerb war, so traurig es klingen mag. Unser System war recht konservativ. Bei meinem ersten Toursieg hatte ich die Startnummer 181 und ging mit einer Wildcard an den Start. Es war ein kleines Team mit schmalem Budget – das waren nicht die New York Yankees. Am Ende – okay, da war es ein riesiges Team. Aber das ist über die Zeit so gewachsen.
DR: Irgendwie passt das nicht ganz zu den Aussagen der Usada bezüglich des „professionellsten und erfolgreichsten“ Dopingsystems.
LA: Stimmt, aber es entspricht auch nicht der Wahrheit. Lance Armstrong war nicht der größte Betrüger in der Geschichte des Sports. US Postal hatte nicht das professionellste Dopingprogramm. Man muss sich nur mal die Geschichten über die ehemalige DDR, Westdeutschland, die Türken oder die UDSSR vor Augen halten und auch was heute noch in den ganz großen Ligen des Profisports abläuft.
Ich hab‘ es schon verstanden. Travis Tygart und die Usada haben etwas Aufwind gebraucht und da waren diese Worte Gold wert, gerade für die PR. Sie entsprechen aber nicht der Wahrheit. Ja, Doping hat stattgefunden, es war schmutzig und eine furchtbare Zeit. Aber diese Schlagzeilen sind nicht die Wahrheit.
DR: Wird Doping auch in Zukunft zum Sport dazugehören?
LA: Die Versuchung, eine Abkürzung zu nehmen, wird immer da sein. Gerade bei einer Veranstaltung wie der Tour de France. Es ist unglaublich hart. Es ist wunderschön, aber eben auch extrem hart.
Ich will hier nicht der Spielverderber sein, der sagt, dass es Doping immer geben wird – doch die Versuchung wird immer da sein.
Der Schlüssel ist das Umdenken, das 2006 stattgefunden hat – wie ausdauernd ist es? Es wird auf eine harte Probe gestellt werden. Wenn nicht durch EPO, dann eben durch XYZ oder ABC, ganz egal. Es wird so kommen und dieses Umdenken auf die Probe stellen.
Diese 200 Männer auf ihren Fahrrädern, sind sie eine echte Gemeinschaft? Gibt es diesen Konsens, der besagt ‚Nein, wird dopen nicht, hau ab.‘? So wird es nämlich kommen. Es braucht nur eine Hand voll Skandale und der Sport kommt in riesige Schwierigkeiten.
DR: Hat dieses Umdenken nicht längst stattgefunden? Hat sich diese neue Kultur nicht bereits etabliert?
LA: Noch ist es nicht so weit, weil die nötigen Strukturen fehlen. Die UCI hat nur sehr wenig Macht und ASO dagegen hat die Zügel in der Hand. Dann gibt es noch die Besitzer der Teams, die Sponsorenverträge haben, die inzwischen kaum noch drei Jahre halten. Und natürlich sind da noch die Fahrer die Monat für Monat, Jahr für Jahr auf dem Rad sitzen.
Bevor es keine Zusammenarbeit in irgendeiner Form gibt, eine Partnerschaft und eine gerechte Teilung der Gewinne, wird es immer Stimmen geben, die sagen ‚Ich mache was ich will!‘. Aber es ist nicht aussichtslos, wir können das ändern.
DR: Du hast viele Sponsoren verloren. Wie hoch war die finanzielle Zeche, die du für dein Verhalten zahlen musstest? Kannst du eine Zahl nennen?
LA: Vielleicht könnte ich das, aber spielt es eine Rolle? Es war eine ganze Menge, aber das ist mein Leben. Niemand hätte Mitleid mit mir, wenn ich 100 Millionen verloren hätte. Ich schaue auf die Zukunft.
DR: Dir steht noch eine große Gerichtsverhandlung wegen Vertragsbruch mit US Postal bevor. Wie zuversichtlich bist du diesbezüglich?
LA: Zuversichtlich bin ich diesbezüglich nicht unbedingt. Es gibt zwölf Juroren, die entscheiden, ob US Postal ein Schaden von 30 Millionen entstanden ist. Ich glaube aber nach wie vor, dass sie als Sponsor von der Zusammenarbeit profitiert haben.
Ich bin im übrigen stolz auf diese Zusammenarbeit. Ich bin stolz drauf, was wir getan haben. Hätte man 1998 jemand auf der Straße zum Postal Service gefragt, hätte man wohl keine positive Reaktion bekommen. Ebenso bei den Mitarbeitern. Zwischen 1999 und 2004 sah das ganz anders aus.
Es gab unzählige Aufzeichnungen darüber, dass Gewalt früher dort zum Arbeitsalltag gehörte, eine echte Tragödie. Zwischen 1999 und 2004 gibt es keinerlei Hinweise mehr darauf. Sie waren stolz auf das, was sie taten und in den Zeitungen weltweit präsent.
Ich bin wirklich gerne für diese Leute gefahren, sowohl ganz oben als auch ganz unten waren es feine Menschen. Ich weiß nicht, was diese zwölf Leute dazu sagen werden. Ich werde mich verteidigen so gut es geht und das Urteil der Jury abwarten.
DR: Vorhin hast du gesagt, dass wir inzwischen bald soweit sind, um die Angelegenheit zumindest etwas zu den Akten zu legen. Sicherlich werden einige Leute argumentieren, dass das das falsche Signal wäre.
LA: Und all die anderen? Den Tausenden, denen man vergeben hat? Muss man wirklich ein Exempel statuieren? Wenn das wirklich sein muss, dann bin wohl ich der Leidtragende. Ich glaube niemand möchte das. Aber wenn der Konsens wirklich so ist, dass einer für die Taten aller hängen soll – her mit der Schlinge.