Das Ziel von Campagnolos Flaggschiff war es schon immer die mechanische Schaltung zu perfektionieren. Kann der Jahrgang 2015 dem Erbe von Tullio Campagnolo gerecht werden? Peter Stuart vom Magazin Cyclist versucht das herauszufinden.
In den golden Zeiten des Radsports, als eigentlich alle robuste Stahlräder fuhren und alle Rahmen im Grunde gleich aussahen, war die Schaltung die Seele eines Renners. Damals war Campagnolo schon fast eine Religion. Heute sieht das anders aus und Campa-Komponenten liegen irgendwo zwischen High-Performance-Produkt und optischem Highlight. Doch in diesem Jahr hat man sich darauf konzentriert, sein Flaggschiff der mechanischen Schaltgruppen neu zu entwickeln, um zu verhindern, dass diese traditionsträchtigen Komponenten zum Relikt im Schatten der elektronischen Kontrahenten werden. Erstmals seit Campagnolo 2008 die 11-fach-Schaltung eingeführt hat, unterscheidet sich diese Gruppe optisch deutlich von seinem Vorgänger. Als erstes fällt die Kurbel ins Auge, die nur noch durch vier Arme mit den Kettenblättern verbunden ist. Ein Trend, der von Shimano, Rotor und FSA ins Leben gerufen wurde. Diese Optik polarisiert, doch sie hat auch einen praktischen Nutzen: Die Kurbel kann so drei verschiedene Kettenblatt-Kombinationen aufnehmen, 53/39 (Standard), 52/36 und 50/34 (beide Compact) – zuvor wäre der Kauf einer weiteren Kurbel notwendig gewesen. Auch Schaltwerk, Umwerfer und Schalthebel wurden überarbeitet. Doch anstatt hier über Einzelheiten wie Schraubendurchmesser und Federspannung zu schreiben, reden wir doch lieber über das, was wirklich wichtig ist: das Schaltgefühl.
Campagnolo wird vor allem von jenen gern genutzt, die einen knackigen Gangwechsel bevorzugen. Super Record war nie dafür bekannt, völlig geschmeidig die Kassette rauf- und runter schalten, sondern eher angenehme Stakkato-Wechsel zu vollziehen. Während viele mittlerweile eine elektronische Schaltung bevorzugen, machte ich mir Sorgen darum, dass Campagnolo sich weg von der markanten Schaltweise bewegen würde, um das geschmeidige Gefühl einer elektronischen Schaltung zu emulieren – das ist zum Glück nicht der Fall.
Der Bewegungsablauf des Schaltwerks wurde ein wenig verändert, sodass er sich nun eher horizontal bewegt (anstatt diagonal), auch geht der Gangwechsel nun sogar noch schneller vonstatten als bei vorherigen Modellen. Damit einher geht jedoch auch ein erhöhter Widerstand des Schalthebels, was Fahrer, die Shimano gewöhnt sind, möglicherweise irritierend finden. Ich hingegen finde den minimalen Anflug von Schwerfälligkeit rückversichernd. Man fühlt sich wirklich am Schaltvorgang beteiligt zu sein, statt nur der passive Auslöser zu sein.
Ein Nebeneffekt des neuen Schaltwerkdesigns ist, dass die Wechsel so akkurat sind, dass auch nur der kleinste Ausrichtungsfehler ein hörbare Störung zur Folge hat. Das Feintuning muss also perfekt sein, damit sich der Gangwechsel wirklich angenehm anfühlt.
Im Gegensatz dazu ist der Umwerfer leichter geworden, ebenso spricht er besser an – ein fast schon elektronisches Feeling. Eine willkommene Änderung, da so die Klicks zwischen dem kleinen und großen Kettenblatt leicht vonstatten gehen, aber selbst bei hartem Wiegetritt fühlbar bleiben.
Da es immer auch auf die Einstellung und die persönlichen Geschmack ankommt, kann der Vergleich von Schaltgruppen eine müßige Angelegenheit sein. Für mich aber ist der Hauptunterschied zwischen der 2015er Version der Super Record und der Dura-Ace 9000 der Charakter und nicht die Funktion. Während Shimanos Gruppen-Flaggschiff die kalte Effektivität des Todessterns ausstrahlt, hat die Super Record eher den unkonventionellen Charakter des Millennium Falken. Manchmal ist sie etwas temperamentvoll, doch Campagnolo bietet einem ein echtes Gefühl von Verbundenheit mit seinem Rad. Darüber hinaus versprüht das System eine beeindruckende Steifheit die mir stets versichert hat, dass zu jedem Zeitpunkt, selbst bei hektischem Schalten unter Last, die volle Kraft übertragen wird.
Was das Gewicht angeht, sind einige der Komponenten, wie etwa der Kurbelsatz, im Vergleich mit der vorherigen Generation minimal schwerer geworden; das Gesamtgewicht ist allerdings deutlich geringer. Ohne Kabel und Tretlagerschalen zeigte unsere Waage für die Compact-Ausführung 1.686 g an.
Hoffentlich wird für Campagnolo auch zukünftig deren althergebrachte Stärke im Fokus stehen: Ästhetik und Emotion. Mit Sicherheit ist es ein Risiko, dass man sich von der traditionellen Optik der Komponenten verabschiedet hat, insbesondere, wenn man sich den Kurbelsatz anschaut. Für mich beweist die Gruppe jedoch, dass man in Vicenza entschlossen ist, echte Innovationen hervorzubringen, anstatt nur optisch ansprechende Produkte zu entwickeln und so vermeiden kann in Schönheit zu sterben.