Radsport: Die Diskussion um die Lizenzvergabe an Astana begann eigentlich bereits im Sommer des letzten Jahres und den Dopingfällen der Iglinskiy-Brüder. Trotzdem wurde dem kasachischen Rennstall die Lizenz für 2015 erteilt. Es folgten Anschuldigungen, deutliche Stellungnahmen von UCI-Präsident Cookson und es kam zur neuerlichen Anhörung vor der Lizenzkommission. Nun ist klar, Astana wird seine Rennlizenz behalten – vorerst. In dieser unsäglichen Geschichte gab keiner der Beteiligten eine glückliche Figur ab – Leidtragender ist einmal mehr der Radsport.
Das Kontrollgremium des ISSUL
Ein kurzer Rückblick in den Dezember letzten Jahres. Nicht ganz unerwartet erteilte die UCI Astana trotz mehrerer im Umkreis des Rennstalls bekannt gewordener Dopingfälle erneut die WorldTour-Lizenz für 2015. Präsident Brian Cookson spricht damals von einer Vergabe auf Bewährung und verweist fortwährend auf die andauernden Padua-Untersuchungen rund um Dopingarzt Michele Ferrari. Der britische Vorsitzende der UCI macht auch keinen Hehl daraus, dass die Vergabe der Lizenz nicht unbedingt in seinem Sinne ist, doch stellt auch klar, dass ihm angesichts der Entscheidung der Kommission die Hände gebunden seien. In einem Interview mit der Gazzetta dello Sport sagte er damals: „Ich konnte meine Enttäuschung am Tag der Lizenzvergabe nicht verbergen. Es war eine frustrierende Angelegenheit für mich, aber wir mussten uns an die Vorgaben halten und das muss ich akzeptieren.“
Die „Bewährung“ des kasachischen Teams rund um Manager Alexander Winokurow bestand darin, sich einem Kontrollgremium des Instituts für Sportwissenschaft an der Universität Lausanne (ISSUL) zu verpflichten, an dessen Bericht der Fortbestand der Lizenz gebunden sei. Neben Astana verpflichteten sich auch andere Teams freiwillig, mit dem Gremium zusammenzuarbeiten, darunter beispielsweise Trek Factory Racing oder Giant-Alpecin, doch nur für den Kasachischen Rennstall hängt die Lizenz an dem Urteil des ISSUL. Bis 2017 plant die UCI das Verfahren für alle WorldTour Teams verpflichtend einzuführen.
Cookson und UCI gehen auf Kollisionskurs
Ende Februar diesen Jahres folgt dann der (nicht mehr ganz so laute) Paukenschlag: Die UCI veröffentlicht eine Pressemeldung, in der sie offen und direkt den Lizenzentzug für Astana fordert. Hintergrund sind neben den Ergebnissen des Kontrollgremiums auch die inzwischen teilweise veröffentlichten Unterlagen der Padua-Untersuchung, in denen anscheinend mehreren Astana-Fahrern Beziehungen zu Michele Ferrari nachgewiesen wurden. Die Lizenzkommission kündigt an, sich erneut mit der Angelegenheit zu befassen, bei Astana hält man sich bedeckt doch zeigt sich zuversichtlich.
Bewährung zur Bewährung ausgesetzt
Nach unzähligen Wasserstandsmeldungen, die beinahe täglich durch die Presse geisterten, verkündete die Kommission nun vergangene Woche, dass Astana seine Lizenz behalten würde – unter weiter verschärften Auflagen. Worin diese letztendlich bestehen, geht aus der Mitteilung nicht hervor – lediglich, dass sie zusammen mit dem ISSUL ausgearbeitet wurden und Astana dem Vorschlag wenig überraschend zustimmte. Ebenso hüllt man den Mantel des Schweigens über den gesamten Entscheidungsprozess, der zu diesem Ergebnis führte. Die Padua-Akten werden mit keiner Silbe erwähnt und man fragt sich unweigerlich, ob diese überhaupt mit in die Entscheidung einbezogen wurden.
Die Entscheidung der Lizenzkommission – ob gerechtfertigt oder nicht – ist in jedem Fall eine schallende Ohrfeige für UCI-Präsident Brian Cookson, der nach seinem mutigen Vorstoß im Februar nun wie ein begossener Pudel im Regen steht und einmal mehr seine Machtlosigkeit bei derartigen Entscheidungen schonungslos vor Augen geführt bekam.
Nebenkriegsschauplatz Twitter
Kaum machte die Entscheidung der Lizenzkommission die Runde, wurde beim Nachrichtendienst Twitter auch schon der erste Nebenkriegsschauplatz eröffnet. Der Neuseeländische Lotto-Soudal Fahrer Greg Henderson beschuldigte dort Astana-Profi Fabio Aru indirekt des Dopings – nachdem sich selbst Tour de France-Sieger und Arus Teamkollege Vincenzo Nibali in die hitzige Diskussion einschaltete, folgte nur wenige Stunden später bereits eine Entschuldigung von Henderson. Seine ursprünglichen Tweets hat er inzwischen gelöscht.
Trotzdem erwägen Aru und sein Rennstall rechtliche Schritte gegen den Neuseeländer, wie der Berater des Italienischen Profis gegenüber dem Portal cyclingnews.com bestätigte: „Ein berühmter Sportler wie Greg Henderson mit mehr als 30.000 Followern bei Twitter kann jemandem wie Fabio, Astana und dem ganzen Sport erheblichen Schaden zufügen. Unsere Anwälte beschäftigten sich mit der Angelegenheit und erwägen rechtliche Schritte.“
In jedem Fall ist die Geschichte des Radsports um ein weiteres, unrühmliches und trauriges Kapitel reicher. Wäre es nicht so ernst, man könnte beinahe darüber lachen.