Radsport: Wie bereits während der diesjährigen Tour angekündigt hat Chris Froome nun seine Leistungsdaten aus dieser Saison veröffentlicht. Bereits kurz danach melden sich Experten, Analysten und Trainer zu Wort – die einen kritisieren fehlende Werte, wieder andere bejubeln den Schritt des Toursiegers. Marketingcoup oder ultimative Transparenz? Wir haben uns die Daten angeschaut und kommen zum Schluss – es ist wohl ein bisschen von beidem.
Viel wurde in diesem Jahr während der Tour geschrieben – über Chris Froome, über seine teils fast unmenschlich wirkende Leistung und über Dopingvorwürfe von Zuschauern und Experten (ja, auch von uns). Unrühmlicher Höhepunkt war sicherlich, als ein Zuschauer den 30-jährigen während der 14. Etappe mit einem Urinbecher bewarf und ihn des Dopings bezichtigte. In der folgenden Pressekonferenz äußerte sich Froome damals zu den Vorwürfen und versprach, im Laufe des Jahres seine Leistungsdaten zu veröffentlichen. Das hat der Brite nun getan.
In der Männerzeitschrift Esquire wurden nun diese Daten veröffentlicht, über die Teams und Fahrer für gewöhnlich den Mantel des Schweigens hüllen. Direkt nach seinem Toursieg unterzog sich Froome im August in einem Londoner Leistungslabor einem ausführlichen Test. Sein Gewicht wird zu dieser Zeit mit 69,9kg angegeben – knapp 3kg mehr als zu Beginn der Tour. Deshalb ergeben sich auch zwei unterschiedliche Werte für gewichtsabhängige Daten. Zudem bekommen wir in dem Artikel auch die Leistungsdaten des Briten aus dem Jahre 2007, also vom Anfang seiner Karriere.
Von 2007 bis 2015: Froome, der geborene Toursieger?
Die größte Bedeutung hat sicherlich der VO2 max Wert des zweimaligen Toursiegers – vereinfacht gesagt beschreibt dieser Wert die maximale Sauerstoff-Kapazität des Blutes und wird folglich auch in ml/kg/min angegeben. Zu Beginn seiner Karriere, also 2007, hatte Froome ein VO2 max von 80,2 – in den Labortests 2015 kam der 30-jährige auf einen Wert von 84,6, während der Tour wegen des geringeren Gewichts sogar auf 88,2. Zum Vergleich: Ein gut trainierter Hobbysportler kommt auf einen VO2 max Wert von ca. 60. Experten unterstreichen jedoch immer wieder, dass die maximale Sauerstoffkapazität vor allem durch Veranlagung und Genetik beeinflusst und nur bedingt trainierbar ist. Die Daten aus dem Jahr 2007 zeigen also, dass Froome sehr gute Voraussetzungen für den Ausdauersport in die Wiege gelegt bekommen hat.
Ein weiterer interessanter Wert ist die gewichtsbezogene Leistung des zweimaligen Toursiegers. Im Labortest 2015 trat Froome einen Maximalwert von 525W und im Dauertest 20-40 Minuten kam er auf unglaubliche 419 Watt. Das entspricht einer durchschnittlichen spezifischen Leistung von 5,98W pro Kilo, bzw. 6,25W pro Kilo während der Tour. Die Power in den Beinen hatte der Sky-Profi auch schon 2007, wie die damaligen Daten beweisen: Mit 540 Watt lag der Spitzenwert vor 8 Jahren sogar noch höher – die durchschnittliche Leistung von 420 Watt entsprach der von heute.
Froomes Leistungsdaten im Überblick
Doch was fangen wir mit diesen Daten nun an? Zu aller erst unterstreichen sie, dass Chris Froome ein hervorragender Ausdauersportler mit fast perfekten körperlichen Voraussetzungen ist – nun, für diese Erkenntnis hätte es streng genommen diese Daten nicht gebraucht, das hat wohl jeder Radsportfan in den letzten Jahren mitbekommen. Richtig interessant werden die Werte aber vor allem, wenn man sie mit jenen von 2007 vergleicht: Hier zeigt sich nämlich, dass sich der Leistungsgewinn seitdem völlig im Rahmen und innerhalb eines normalen Bereichs für einen Profisportler bewegt. Außerdem werden die exzellenten genetischen Voraussetzungen des Briten deutlich.
Natürlich ist dieser Vorstoß von Froome und seines Teams kein Beweis für oder gegen Doping. Man könnte freilich auch kritisieren, dass der eine oder andere nicht ganz unwichtige Wert fehlt – beispielsweise die maximale Herzfrequenz oder jegliche Laktatwerte. So wie beispielsweise der renommierte französische Sportwissenschaftler Frédéric Grappe, der unter anderem auch für das Team FDJ arbeitet. Die Werte ließen „keine Rückschlüsse auf das Gesamtbild“ zu, moniert Grappe. Um die Vorwürfe auszuräumen, seien zusätzliche Daten und ein ausführliches Leistungsprofil nötig, wettert der Experte weiter.
Experten kritisieren veröffentlichte Werte
Sicherlich trifft Grappe mit Teilen seiner Kritik ins Schwarze, und Froome bzw. sein Team sollten sich durchaus den Fragen stellen, weshalb diese teils essentiellen Werte in dem Bericht fehlen. Andererseits: Selbst dann würde es Zweifler und Kritiker geben, die an ihren Vorwürfen bzw. Vermutungen festhalten würden. Auch Sky-Chef Dave Brailsford spielte darauf an, als er in einer Pressekonferenz kurz vor Veröffentlichung der Werte sagte: „Man kann nicht jeden einzelnen Skeptiker überzeugen, das geht einfach nicht. Aber man kann es versuchen – das schadet sicherlich nicht.“ Er sehe keinen Grund, weshalb man diese Werte nicht veröffentlichen sollte, sieht darin aber auch kein Allheilmittel: „Das ist nicht die ultimative Lösung.“
Mit einer Aussage hat der Team Sky-Boss sicherlich recht: Von der Veröffentlichung solcher Daten kann der Radsport nur profitieren, sorgt es doch – zumindest teilweise – für die von allen Seiten so oft geforderte Transparenz. Jedoch profitiert in diesem einen, durchaus besonderen Fall natürlich auch Froome und sein Team: Man kann sich mit den Federn schmücken, diesen mutigen Schritt gewagt zu haben und sich als Vorkämpfer für mehr Transparenz inszenieren. Deshalb: Ja, sicherlich ist die Publizierung von Froomes Leistungsdaten auch ein Marketingcoup für ihn und sein Team, doch eben auch einer, der für mehr Transparenz im Radsport sorgt.
Konstruktive Kritik wie jene von Frédéric Grappe ist deshalb wichtig und nötig, doch täten Experten, Trainer, Fahrer, Presse und Fans sicherlich gut daran, diesen Vorstoß nicht kaputtzureden. Viel mehr sollte man darin einen ersten Schritt sehen und vielleicht auch ein Beispiel, dem zukünftig hoffentlich noch weitere Profis und Teams folgen werden.