Spektrum: Wer sich nicht gerade ein Falt- oder Kompaktrad ausgesucht hat, muss sich irgendwann die Frage nach der Fahrradgröße stellen. Was es dabei zu beachten gibt, führen wir im Folgenden aus.
Was für einen Fahrradtyp man wollte, war schon vor der Kaufentscheidung klar. Nun hat man sich für ein Modell entschieden, die Ausstattung ausgewählt und die Farbe festgelegt – sofern es Wahlmöglichkeiten gibt. Doch eine Hürde muss noch genommen werden: die Wahl der richtigen Rahmengröße.
Das klingt erst einmal gar nicht so schwierig – vor allem dann nicht, wenn man im Radladen probesitzen kann. Immerhin gibt es relativ klare Angaben dazu, wie man optimalerweise auf dem Rad positioniert sein sollte. Die vielleicht wichtigste davon betrifft die Sitzhöhe, also den Abstand zwischen der Mitte der Tretlagerwelle und der Oberfläche des Sattels. Um diese genau zu bestimmen, hat sich die Formel „Innenbeinlänge x 0,885“ bewährt. Bei einer Schrittlänge von 87 cm kommt man damit auf eine Sitzhöhe von 77 cm – passt.
Dies ist jedoch nur ein grober Anhaltspunkt, denn je nach Fahrradtyp und Fahrweise kann die optimale Sitzhöhe variieren. Radsportler sitzen in der Regel eher hoch, um eine möglichst große Beinstreckung zu erreichen – so schonen sie bei kraftvollen Tritten ihre Knie. Eine zu hohe Sitzposition kann allerdings zu Problemen im unteren Rücken führen und erhöht unter Umständen den Druck im Sitzbereich.
Die Einstellung der Sattelhöhe nach der Formel ist auch deshalb nicht immer exakt, weil sie Komponenten und Zubehör außer Acht lässt. Bei weichen Sätteln gibt die Oberfläche beim Draufsetzen deutlich nach und man ist tiefer positioniert; auch unterschiedlich hoch bauende Pedale oder längere Tretkurbeln wirken sich auf die Sitzhöhe aus. Beim Alltagsrad macht sich auch das Schuhwerk bemerkbar – mit dünner Sommer-Sadalette muss man die Beine gerne mal einen Zentimeter mehr strecken als mit Winterstiefeln.
Allerdings: Diesen Zentimeter bemerkt der Durchschnittsradler kaum; eine millimetergenaue Höhenanpassung ist ohnehin nur im sportlichen Bereich nötig. Noch leichter haben es die E-Biker: Aufgrund der Motorunterstützung können sie es sich leisten, nicht ganz optimal zu sitzen. Dann wandert der Sattel gerne etwas nach unten, um das Anhalten zu erleichtern – und da man beim Antreten nicht so viel Kraft aufwenden braucht, muss man sich dennoch keine Sorgen um die Knie machen.
Die richtige Fahrradgröße: Eine Frage des Einsatzgebiets
Zurück zur Eingangsfrage: Wie ist es denn nun mit der Rahmengröße? Diese kann in Zentimetern angegeben werden, wobei hier für gewöhnlich die Länge des Sitzrohres gemeint ist – und das ist sehr praktisch, weil es auch dafür eine Formel gibt. „Sitzhöhe x 0,66 = Rahmenhöhe in cm“, lautet diese; für unsere 87er Innenbeinlänge soll also ein Sitzrohr von 57,5 cm Länge optimal sein. Das kommt hin, denn so ist genug Spielraum, um den Sattel nach oben oder nach unten zu verstellen. Aber Achtung: All das gilt nur für konventionelle Rahmengeometrien. Modelle mit abfallendem Oberrohr weisen deutlich kürzere Sitzrohre auf; hier kommt man mit dieser Formel also nicht weiter. Auch Citybikes, die mit einer gefederten Sattelstütze ausgestattet sind, verfügen über ein eher kurzes Sitzrohr. Eine ganz besondere Ausnahme bilden moderne Mountainbikes.
Zwar gibt es auch für die Geländeräder eine schlaue Formel: „Sitzhöhe x 0,226 = Rahmenhöhe in Zoll“. Wiederum auf unsere 87 cm Innenbeinlänge bezogen, ergibt sich eine Rahmenhöhe von knapp 20 Zoll, also etwa 50 cm. Dieses Ergebnis ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, da sich in den letzten Jahren bei den MTB-Geometrien viel getan hat. Die Sitzrohre werden immer kürzer, um den Sattel im Gelände weiter absenken zu können. So kommen viele moderne Räder selbst in der größten Rahmengröße nicht mehr auf Sitzrohre, die länger als 49 oder 50cm sind.
Was also tun? Na klar, man kann sich in die teils äußerst komplexe Thematik rund um Geometrien einlesen bzw. einarbeiten. Das setzt aber viel Zeit voraus, die nicht jeder investieren kann oder möchte. Eine andere Option ist ein Blick auf die jeweilige Herstellerwebseite. Hier sind meist zu jedem Rad Größenempfehlungen angegeben. Diese zu konsultieren lohnt sich, vor allem dann, wenn der Anbieter die angelsächsischen Größenangaben S, M, L, XL und so weiter verwendet. Diese sind für sich genommen nämlich erst einmal nicht sehr aussagekräftig, da die exakten Größen von einer Marke zur anderen abweichen können. Der Vorteil: Innerhalb des Sortiments eines Herstellers kann der Kunde davon ausgehen, dass ihm alle beispielsweise als „M“ bezeichneten Bikes passen – unabhängig von Rahmenform und Sitzrohrlänge.
Die richtige Fahrradgröße: Eine Probefahrt ist durch keine Formel zu ersetzen
Überhaupt, die Größentabellen. Die sind natürlich von Hersteller zu Hersteller anders aufgebaut, geben unterschiedliche Bereiche für die Körpergröße an und bestimmen die Rahmengröße auf unterschiedliche Weise. Die Tabelle gilt also immer nur für die jeweiligen Marke. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten Anbieter verbindliche Angaben mit gutem Grund scheuen und die Körpergröße beispielsweise in 10-cm-Schritten jeweils zwei Rahmengrößen zuordnen. Die Entscheidung, welche davon besser passt, lässt sich vor dem Bildschirm kaum treffen.
Woran das liegt? Die richtige Sitzhöhe lässt sich durchaus mit unterschiedlichen Rahmengrößen realisieren – doch je nach Rahmengröße fallen auch die Steuerrohrlänge sowie die Länge des Rahmenvorderbaus unterschiedlich aus. Wählt der Kunde den kleineren Rahmen, lässt sich der Lenker eventuell nicht hoch genug positionieren; wählt er den größeren, sitzt er vielleicht zu gestreckt. Ohnehin kann die Sitzgeometrie von Hersteller zu Hersteller abweichen. Nehmen wir zwei ähnlich konzipierte Trekkingbikes mit Starrgabel von Centurion bzw. Stevens: Die Sitzrohrlänge ist gleich, doch auf den Stevens sitzt man 5 mm gestreckter und um 34 mm aufrechter. Aufrecht oder gebeugt, kompakt oder gestreckt? Die Rahmengröße allein gibt darüber keine Auskunft.
Beim Trekkingrad lassen sich solche Bauunterschiede zur Not mit besonders kurzen und/oder steil nach oben ragenden Lenkervorbauten ausgleichen; im sportlichen Segment ist es dagegen weniger einfach. Der Grund dafür ist, dass gerade die Länge des Vorbaus einen deutlichen Einfluss aufs Lenkverhalten hat – wird ein zu kurzer Rahmen durch einen extralangen Vorbau ausgeglichen, ist eine träge Lenkung zu erwarten. So kombinierten Trail-Mountainbikes lange Oberrohre mit ultrakurzen Vorbauten und steuern sich damit verspielt und wendig.
Damit Radsportler auf einen Blick abschätzen können, ob ein Rahmen bzw. Rad für sie in Frage kommt, wurden vor einigen Jahren die Maße „Stack“ und „Reach“ eingeführt. Sie geben den vertikalen bzw. horizontalen Abstand von der Tretlagermitte bis zur Oberkante des Steuerrohrs an. Mit diesen Maßen lassen sich auch unterschiedliche Fahrradtypen gut vergleichen, da der Stack (Bauhöhe) auch die Gabelhöhe mit einbezieht (wichtig bei aktuellen Crossern und Disc-Rennrädern, die über viel Reifenfreiheit verfügen, und natürlich bei Bikes mit Federgabel) und der Reach (Vorlagerung) unabhängig von Oberrohrlänge und Lenkwinkel ist.
Um die individuell optimalen Werte zu kennen und mit ihrer Hilfe einen gut passenden Rahmen auszuwählen, muss man freilich schon recht tief in der Materie drinstecken. Ob ein Rad „passt“ oder eben nicht, zeigt sich oft erst beim Probesitzen im Radshop. Und dort können auch die Grenzen der Anpassbarkeit von Sattel- und Lenkerhöhe ausgelotet werden, die am Ende darüber entscheiden, ob die Kaufentscheidung fällt.