Test KTM X-Strada 720: Es fällt auf und ist eigenständig, fährt sich gut und kostet nicht die Welt – damit dürfte das KTM X-Strada 720 viele Gravel-Fans begeistern. Und auch wenn es im Test hier und da Schwächen zeigte, hinterließ es einen insgesamt sehr angenehmen Eindruck.
Rennrad, Mountainbike, E-MTB – was sportliche Räder angeht, hat KTM einiges zu bieten. Einen Crosser gab es bislang jedoch nicht, der als Basis für ein Gravelbike hätte dienen können. Bei der Gestaltung des X-Strada starteten die Designer also sozusagen mit einem leeren Blatt.
Ungewöhnliches Design des KTM X-Strada 720
Entsprechend ungewöhnlich zeigt sich der Rahmen des Offroaders an einigen Stellen: Der Hinterbau mit den tief angesetzten, waagerecht ins Sitzrohr laufenden Streben scheint an ein Aero-Rennrad angelehnt, und die wuchtige Gabel mit ihrem Steg unter der Gabelkrone erweckt den Eindruck, als könne auch eine (kurzhubige) Federgabel eingebaut werden. Die Forke baut rund 5 cm höher als eine konventionelle Starrgabel; kein ganz abwegiger Gedanke also.
Neben diesen Besonderheiten findet sich viel Erfreuliches am orangeroten Alu-Rahmen: Züge und Leitungen sind komplett innenverlegt; so tritt der Umwerferzug erst knapp unterhalb des Wechslers zutage, und auch vom hinteren Schaltzug sieht man fast nichts. Das ist bei Aluminiumrahmen und in dieser Preisklasse keineswegs üblich. Das Sitzrohr ist nach unten aufgeweitet, das Unterrohr am Tretlager queroval ausgeformt – mehr Rahmensteifigkeit geht nicht. Dazu kommt ein Kurbelgehäuse für integrierte Pressfit-Lager, und selbstverständlich werden beide Laufräder mit Steckachsen befestigt, die per 6er Inbus eingeschraubt werden.
Geschnitten wie ein Querfeldeinrad
Unser 55er Testrad ist ausgewogen sportlich geschnitten; in Sachen Stack und Reach könnte es durchaus als Querfeldeinrad durchgehen. Der nur 90 mm kurze Vorbau sorgt für eine eher kompakte Haltung, sportliche Fahrer erreichen mit einem etwas längeren Exemplar eine angenehme Streckung. Das steile Sitzrohr positioniert den Piloten eher über als hinter dem Tretlager, womit man viel Druck aufs Pedal bringen kann.
All das sind Eigenschaften, die sich auch in der Lenkgeometrie gespiegelt finden. Das Handling ist neutral, dabei sehr agil – ein Rad, das sich beim Einlenken weder störrisch zeigt noch im Wiegetritt zum Abkippen neigt und damit immer genau den Lenkbefehlen des Fahrers folgt. Ein etwas längerer Vorbau dürfte diesen Charakter leicht beruhigen, ohne ihn groß zu verändern – damit können sich auch sportliche Naturen mit dem KTM X-Strada 720 anfreunden. Die werden sich auch schnell damit abfinden, dass das KTM eher hart austeilt – flächige Gabel und Alu-Sattelstütze haben mit Stoßdämpfung nichts am Hut.
Die Komplettierung: günstig, aber funktionell
Mit 1.699 Euro ist das KTM recht günstig ausgepreist, was man auch der Ausstattung anmerkt. Die einfachste Shimano GRX ist montiert, die RX 400, dazu konventionelle 32-Speichen-Laufräder und unspektakuläre Komponenten. Die funktionellen Nachteile sind überschaubar: Man muss mit 2×10 Gängen auskommen, die sich unter Last etwas hakelig schalten. Besonders der Wechsel aufs kleine Kettenblatt ist kritisch, wenn man gerade in ein Steilstück hineingefahren ist, es gilt also, vorausschauend zu schalten. Andererseits ist der Übersetzungsumfang riesig: 46/30 vorne und 11 bis 36 hinten bieten alles von der Untersetzung bis zum Schnellgang mit großer Entfaltung. Dass kein Gangsprung kleiner ist als zwei Zähne, fällt im Gelände auch nicht weiter auf.
Sehr angenehm sind die Bremsen, die sich gut dosieren lassen und bei stärkerem Zugriff nicht zu abrupt verzögern. Die Ergonomie der 400er STIs ist sehr gut, gerade im Zusammenspiel mit dem merklich, aber nicht übertrieben ausgestellten Lenker.
All das klingt nach viel Fahrspaß zum knappen Preis, doch eine negative Eigenschaft des KTM X-Strada 720 ist sein hohes Gewicht. Mit satten 11,33 Kilo ohne Pedale wiegt es ein bis anderthalb Kilo mehr als andere Gravelbikes dieser Preisklasse, und das ist beim Fahren deutlich spürbar. Beim Beschleunigen und im Wiegetritt wirkt das Rad behäbig; hat man einmal sein Reisetempo erreicht, tritt der Gewichtsnachteil immerhin in den Hintergrund. Die Verantwortung dafür ist gleichmäßig auf die einzelnen Komponenten verteilt: Der fahrfertige Radsatz wiegt mehr als 4,2 Kilo, ein paar Hundert Gramm weniger an dieser Stelle würden aber auch keinen allzu großen Unterschied ergeben. Die massige Gabel mit Alu-Schaft muss also ebenso Farbe bekennen wie der in Details sehr massiv ausgeführte Rahmen, der freilich maximale Stabilität verspricht – interessant etwa für Bikepacker, die „Anything Cage“-Halterungen an der Gabel ebenso anbringen können wie einen Heckträger.
Trotz des hohen Gewichts macht es mit dem KTM aber auch Spaß, einfach nur sportlich offroad zu fahren. Die 40er Schwalbe G-One Bite sind auf eher trockenem Untergrund unschlagbar, bieten von Geradeausfahrt bis Schräglage verlässliche Bodenhaftung und rollen auf Asphalt sehr leicht; die bereits beschriebenen Lenkeigenschaften sorgen gerade auf winkeligen Kursen für gute Laune. Trotz der generösen 23,5 mm Maulweite der Ryde Felgen bleiben die Schwalbe-Reifen mit 38 mm unterm Nennmaß; wer will, kann auf Tubeless umrüsten, zumal der G-One in der 470 Gramm leichten TLE-Variante montiert ist. So rollt das X-Strada noch leichter, wiegt aber immer noch nicht viel weniger, denn KTM hat hochwertige 115-Gramm-Schläuche spezifiziert.
Am Ende bleibt die Erinnerung an eine sehr angenehme, flotte Testrunde, an vorbildliches Handling und zufriedenstellende Funktionalität – und das Gefühl, dass all das mit einem Kilo weniger auf den Rippen noch mehr Spaß machen würde. Dennoch: Wer nicht viel mehr als 1.500 Euro ausgeben will, sollte sich das KTM X-Strada 720 genauer anschauen.