Bei Mavic dreht sich seit rund 100 Jahren alles ums Laufrad. Die innovativen Franzosen treiben seit Jahrzehnten die Entwicklung der Alu-Felge voran und haben sich nebenbei einen Namen mit aerodynamischen Carbonlaufrädern gemacht, von Entwicklungen wie der ersten elektronischen Rennradschaltung gar nicht zu reden. Unter neuer Führung soll der Traditionshersteller nun zu alter Größe zurückfinden – höchste Zeit für einen Blick in die Geschichte und auf das aktuelle Produktsortiment von Mavic.
So mancher Hersteller fängt mit Produkten an, die recht wenig mit dem zu tun haben, was ihn schließlich bekannt macht. Bei Mavic zum Beispiel denkt man nicht unbedingt an Schutzbleche, doch als Charles Idoux und Lucien Chanel ihre Firma Manufacture d’Articles Vélocipediques Idoux et Chanel gründeten – kurz MAVIC –, waren die Schützer das wichtigste ihrer Zubehörprodukte für Radfahrer. Es dauerte viele Jahre (und bis dahin hatte Henri Gormand das Unternehmen übernommen), bis Mavic das fertigte, wofür die Firma bis heute bekannt ist: Felgen aus Aluminium. Nicht die ersten, jedoch solche, die sich schnell im Rennsport durchsetzten, auch wenn sie die Radprofis anfangs braun anpinselten, da zu jener Zeit bei der Tour de France nur Holzfelgen erlaubt waren.
1934 meldeten zwei Firmen nahezu zeitgleich ein innovatives Produkt zum Patent an: Die doppelt geöste Hohlkammerfelge, bei der Hülsen aus Messing (oder einem anderen Metall) die Zugkräfte der Speichen auf beide Felgenböden verteilen. Durch diesen Kunstgriff wurden die Felgen deutlich stabiler und konnten in der Folge immer leichter werden. Der Legende nach war der Italiener Longhi zwei Stunden früher auf dem Patentamt als Mavic, doch er erlaubte es dem französischen Mitbewerber, die neue Technologie zu lizenzieren, bis das Patent ausgelaufen war.
Zu jener Zeit werden im Radsport die auf die Felge geklebten Schlauchreifen verwendet, und daran ändert sich noch ganze vier Jahrzehnte nichts. Konventionelle Fahrräder sind derweil mit Tiefbettfelgen aus Stahl ausgestattet. Doch 1975 stellt Mavic die Module E vor, eine Hohlkammerfelge speziell für einen neuartigen, schmalen Drahtreifen, den Michelin Elan. Die schmale Hakenfelge soll hohen Druck erlauben, sodass Radsportlern wie Tourenfahrern nun eine Alternative zu den Schlauchreifen zur Verfügung steht, die umständlich zu montieren und schwer zu reparieren sind.
Felgen und viele andere Komponenten
Auch wenn diverse Wettbewerber schnell mit Konkurrenzprodukten am Start sind, ist Mavic auf lange Sicht der Name, wenn es um Rennradfelgen geht. Dabei haben die Franzosen noch viel mehr drauf: Seit den 70er Jahren bietet Mavic Komplettgruppen an, die es bis zum Tour-de-France-Sieg 1989 mit Greg LeMond bringen. Drei Jahre später wird eine elektromechanische Kettenschaltung vorgestellt, die 1999 sogar drahtlos wird, sich jedoch nicht am Markt behaupten kann.
Früher Einstieg ins Carbon-Segment
Anfang der 90er stellt Mavic bereits Carbonlaufräder fürs Zeitfahren her. Das 3G-Dreispeichenrad ist mit einer „Nabenpatrone“ ausgestattet, sodass das Laufrad vorne wie hinten verwendet werden kann. An einen größeren Käuferkreis richten sich freilich die Systemlaufräder, die Mavic ab 1994 mit dem Cosmic anbietet. Sie sind nicht ganz die Ersten ihrer Art – schon seit 1977 gibt es vom kleinen Hersteller Roval Laufradsätze aus optimal aufeinander abgestimmten Bauteilen, die aber extrem teuer sind. Doch mit dem Aero-Laufrad Cosmic und den für damalige Verhältnisse superleichten Helium-Rädern kann Mavic einen Markt umkrempeln, der von individuell aufgebauten Laufrädern dominiert wird. Flankiert werden die Franzosen dabei von Campagnolo, dem berühmten Komponentenhersteller, dessen Laufräder allerdings vor allem für jene attraktiv sind, die auch Campa-Teile am Rad haben.
Triumphzug der Systemlaufräder von Mavic
Mit dem Laufradsatz Ksyrium, den Mavic um die Jahrtausendwende vorstellt, gelingt dem Unternehmen ein ebenso unverwechselbares wie innovatives Produkt, das sich bald am Markt durchsetzt, zumal es durchaus bezahlbar ist. Im Mountainbike-Bereich hat Mavic 1996 den Crossmax eingeführt, das erste MTB-Systemlaufrad, das anfangs noch stark an die leichten Heliums angelehnt ist. Auf diesem Gebiet arbeitet Mavic ab 1999 auch an einer Technologie, die heute längst etabliert ist: Zusammen mit den Reifenherstellern Michelin und Hutchinson entsteht das erste Tubeless-System fürs Fahrrad, genannt UST. Ein wichtiger Aspekt dabei ist das geschlossene Felgenbett („Fore“), das Mavic bei seinen Top-Laufrädern verwendet. So sind die Felgen auch ohne eingeklebtes Felgenband absolut luftdicht. Auch bei Rennrad-Laufrädern kommt diese Techologie zum Einsatz, dabei ist „Road tubeless“ noch Zukunftsmusik. Mit dem Laufradsatz „Speedcity“ wendet sich Mavic dem wachsenden Urban-Bike-Segment zu – Besonderheit der sportlichen, recht leichten Laufräder ist, dass sie ebenso mit Felgen- wie mit Scheibenbremsen genutzt werden können.
Mavic: Bekleidung, Schuhe und mehr
2008 stellt das Unternehmen eine erste Bekleidungskollektion vor, außerdem Rennschuhe, die bald im Profiradsport verbreitet und in der Hausfarbe Gelb kaum zu übersehen sind. Es folgen Helme, und während technische Produkte wie Radcomputer und Pedale nicht allzu lange Bestand haben, ist die Fahrerausstattung ein echter Renner, der zeitweise 20 % des Gesamtumsatzes ausmacht.
Fast 70 Jahre lang hat die Familie Gormand die Geschicke von Mavic gelenkt. Dann kommt Bruno Gormand, der Sohn von Henri, 1985 bei einem Autounfall ums Leben, und seine Frau Cecile führt das Unternehmen weiter. Fünf Jahre später stimmt Cecile Gormand einem Management-Buyout zu, und das Unternehmen wird von vier Führungskräften übernommen, die einen Geldgeber mitbringen. 1994 wird Mavic vom französische Sportartikelhersteller Salomon erworben, der weitere vier Jahre später mit Adidas zu Adidas-Salomon fusioniert. Doch für die Marke mit den drei Streifen läuft der Deal nicht wie geplant, sodass Salomon und damit auch Mavic 2005 in den Besitz der finnischen Firma Amer Sports übergeht.
In jene Zeit fallen zahlreiche Innovationen wie die Bekleidungskollektion und die Weiterentwicklung des Laufrad-Sortiments. Neben dem Allrounder Ksyrium stehen vor allem aerodynamische Carbon-Laufräder im Fokus: Im Windkanal entsteht ein Laufrad-Reifen-System, zu dem auch eine Gummilippe gehört („CX10 Aero Blade“), die den Spalt zwischen beiden Bauteilen verschließt (aber vom Radsport-Weltverband leider verboten wird).
Gravel-Laufräder mit breiter Hookless-Felge von Mavic
Mit der Allroad-Serie wird schließlich die Lücke zwischen Rennrad und Mountainbike geschlossen: Der Laufradsatz fürs Gravelbike, der aber ebenso am Querfeldein- wie am Rennrad genutzt werden kann, ist mit der hakenlosen Felge aus Carbon oder Aluminium perfekt auf breitere Tubeless-Reifen zugeschnitten. Wie alle Laufradsätze bis auf die ganz günstigen Modelle sind auch die Allroads mit dem innovativen „Instand Drive 360“-Zahnscheibenfreilauf ausgestattet, der mit sonorem Klang und großflächigem Kraftschluss erfreut. Neben den Systemlaufrädern wendet sich Mavic auch wieder dem klassisch von Hand eingespeichten Laufrad zu: Neuerdings sind wieder einzelne Naben erhältlich, die individuell aufgebaut werden können.
Leicht hat es das Unternehmen trotz all dieser Innovationen nicht, denn der Markt hat sich dramatisch verändert. Viele Fahrradhersteller haben sich Eigenmarken zugelegt, um sich von Zulieferern unabhängig zu machen; dazu bringen immer mehr Anbieter Systemlaufräder auf den Markt, die aus zugekauften Komponenten bestehen und keine eigene Fertigung mehr nötig machen. Bei Mavic dagegen geht es in vieler Hinsicht traditionell zu: In Saint Trivier sur Moignans nördlich von Lyon stellt das Unternehmen alle Aluminiumfelgen her; auch die Top-Carbonfelgen werden in Frankreich gefertigt. Dazu unterhält Mavic eine eigene Fabrik in Rumänien, in der Laufräder aufgebaut und Naben sowie Carbonfelgen gefertigt werden. Am Firmensitz in Annecy findet die komplette Produktentwicklung statt, und auch Prototypen und Vorserien entstehen hier.
Der Ansatz „Made in Europe“ ist auch den neuen Eigentümern von Mavic wichtig – der Familie Bourrelier, die das insolvente Unternehmen vor zwei Jahren übernahm und wieder unabhängig machte. Nach einer umfangreichen Neuaufstellung, wozu Bereiche wie Finanzen, IT und Vertrieb gehörten, soll nun kräftig investiert werden – in drei Jahren so viel wie in den 15 Jahren davor, so Mitgeschäftsführer Michel Bourrelier.
Anfang des Jahres zog Mavic in ein neues Firmengebäude in Annecy um; die Produktionskapazitäten wurden ausgebaut und nicht zuletzt sind neue Produkte geplant: Für Alltagsfahrer ist neuerdings ein Helm namens Speedcity im Programm, der durch das große integrierte Visier auffällt, geplant sind außerdem dazu passende Laufradsätze für E-Bikes. Auch das gesamte Softgoods-Segment (Footwear, Helme, Textilien & Acessoires) soll ausgebaut, in Europa entwickelt und gefertigt werden. Gravelbiker können sich demnächst vielleicht auf eine Aero-Variante der Allroad-Laufräder freuen; Endurofahrer sollten die neue Deemax Linie im Auge behalten. Im Zentrum der Aktivitäten steht freilich immer noch die Alu-Felge „Made in France“ – und damit ist sich Mavic trotz aller Veränderungen vergangener Jahrzehnte treu geblieben.