BMC Urs LT One Test: Das Schweizer Gravelbike mit Federung lehnt sich technologisch und mit seiner Geometrie ans Mountainbike an – gerade für ambitionierte Offroader ist das interessant. Dabei ist es sehr vielseitig und erlaubt auch in Sachen Sitzposition großen Spielraum. Velomotion hat den kernigen Graveller auf anspruchsvollen Trails getestet.
„Gravelbike“ ist längst zu einem Gattungsbegriff geworden, unter dem sich höchst unterschiedliche Konzepte versammeln. Kleinste gemeinsame Nenner gibt es eigentlich nur zwei: den Rennlenker und die Möglichkeit, mindestens 40 mm breite Reifen zu montieren. Und so kann ein Gravelbike ebenso leichter, reduzierter Offroad-Renner sein wie solider Bikepacking-Allrounder mit zahllosen Gewindebohrungen, oder vollgefedertes Trailbike mit breiten 650B-Reifen. Oder es heißt BMC Urs und ist ein bisschen von allem.
BMC Urs LT One – Softtail mit flachem Lenkwinkel
Die Eidgenossen nutzen den kernigen Schweizer Vornamen als Kürzel für „unrestricted“, also „uneingeschränkt“, was wohl schon auf die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten des mit Carbon- oder Alu-Rahmen verfügbaren Modells hinweisen soll. Als das Rad 2019 vorgestellt wurde, war vor allem seine Nähe zum Mountainbike eine kleine Sensation: Vom BMC Teamlite übernahm das Urs den flachen Lenkwinkel, womit es eines der ersten Gravelbikes mit ans MTB angelehnter Geometrie war. Dazu statteten die Schweizer ihren Gravel-Erstling mit dem Softtail-Hinterbau des (inzwischen eingestellten) Teamlite aus: Zwischen Sitzstreben und Sitzrohr befindet sich ein Elastomer, der mit 10 mm Federweg Stöße und Vibrationen abfedern soll. Zusätzlichen Flex soll die D-förmige Sattelstütze bieten. Am Urs LT kommt nun eine veritable Federgabel hinzu, die immerhin 20 mm Weg zur Verfügung stellt, und damit ist das Rad quasi ein Fully. Das macht neugierig und wirft viele Fragen auf: Braucht man das? Und spürt man so kurze Federwege überhaupt?
Gut integrierte Federung
Erst einmal fällt auf, dass die Federelemente kaum sichtbar ins Rad integriert sind. Am Hinterbau, der die für BMC typischen tief angebrachten Sitzstreben aufweist, bemerkt man eigentlich nur die Kappen, die die Verbindungsschrauben abdecken. Und vorne gleitet der Gabelkopf ein Stück weit in den Kragen an der Unterseite des Steuerrohrs, sodass man die kompletten 20 mm Federweg gar nicht sieht. Im Vergleich zu einer Teleskopfedergabel, wie sie RockShox auch mit 30 mm Weg anbietet, ist das System von BMC nahezu unsichtbar. Da ist nur noch der Drehknauf zum Blockieren der Federung, der 10 mm hoch ist und auch direkt auf dem Vorbau sitzen könnte, wenn man den Gabelschaft entsprechend ablängt. Das ist nämlich ohne weiteres möglich, und auch der Vorbau lässt sich wie gewohnt wechseln.
Hier kommt auch die Vielseitigkeit des Urs ins Spiel: Auf dem Testrad in Größe L sitzt man mit 603 mm Stack und 20 mm Spacern vergleichsweise aufrecht. Doch beim Reach liegen zwischen den vier angebotenen Rahmengrößen nur jeweils 4 bis 13 mm – und so könnte man sich über die Größenempfehlungen des Herstellers hinwegsetzen und einen kleineren Rahmen wählen, der dann gleich mal gut 30 mm weniger hoch baut. Zur MTB-Geometrie des Urs gehört auch ein langer Reach zwischen 403 (Größe S) und 429 mm (Größe XL) – man sitzt also durchaus gestreckt, auch wenn am Testrad in Größe L ein 90 mm kurzer Vorbau montiert ist.
Flexibilität bei der Sitzposition
Was das alles bedeutet? Einfach, dass man auf dem BMC Urs wahlweise bequem aufrecht-kompakt oder sportlich tief-gestreckt sitzen kann. Dazu muss man nur einen entsprechend größeren oder kleineren Rahmen wählen und einen etwas kürzeren bzw. längeren Vorbau montieren. Und im schlimmsten Fall muss man noch eine längere Sattelstütze ordern, da BMC diese bei den Rahmengrößen S, M und L in 50-mm-Schritten verbaut und eine Einstecktiefe von 80 mm vorgibt.
Das sind schon eimal gute Voraussetzungen, um mit dem Urs sehr glücklich zu werden – wenn es denn so gut fährt, wie man es sich von diesem Achteinhalbtausend-Euro-Graveller erhofft. Also los: Wer auf dem Sattel geht und kräftig antritt, merkt gleich, wie er (bzw. sie) die Federgabel nach unten drückt. Kein Problem, man kann sie ja komplett blockieren – aber auch, wenn sie aktiviert ist, ist der Effekt nicht störend. Den gedämpften Hinterbau spürt man erst einmal nicht; wenn man es jedoch drauf anlegt und ein Schlagloch oder eine Kante „aussitzt“, merkt man, wie das System erst den Stoß dämpft und dem Fahrer dann beim Ausfedern einen kleinen Schubs versetzt. Eine aktive Fahrweise ist also auch am Softtail erforderlich. Wer an Steilstücken im Sitzen kräftig am Lenker reißt, zieht die Federung deutlich wahrnehmbar auseinander, was aber wiederum angesichts des kurzen Federwegs nicht störend ist. Von der versprochenen hydraulischen Dämpfung ist am Testrad freilich nichts zu spüren.
Volldampf auf dem Wurzelteppich
Wenn es über Wurzelteppiche, ausgefahrene Wege oder kantige Steine geht, ist die Federung dann in ihrem Element. Auf schweren Strecken kann man mit dem BMC Urs LT One deutlich aggressiver fahren als mit einem konventionellen Gravelbike; das Fahrwerk bügelt viel von dem glatt, was man sonst durch aktives Hochziehen von Vorder- und Hinterrad überwinden muss. Gleichzeitig ist das Rad trotz hoher Laufruhe ziemlich handlich; was auf dem Trail zu hoch für eine direkte Konfrontation ist, lässt sich flowig umzirkeln. Bei cyclocross-mäßigen Vollgas-Antritten aus dem Sattel führt sich das Neuneinhalb-Kilo-Rad keineswegs träge an – hier hat man eher den Eindruck, dass der Softtail-Hinterbau für etwas mehr Traktion sorgt.
Am kantigen Carbonrahmen im coolen Senfgelb montieren die Schweizer durchweg edles Material: Eine Sram Force AXS mit Eagle-Schaltwerk ist dran, außerdem ein Radsatz mit gravelspezifischen Carbonfelgen: 40 mm tief und mit 23 mm Innenweite auf breite Reifen zugeschnitten. Die Naben sehen nach DT Swiss aus, allerdings fällt auf, dass ein konventioneller Klinkenfreilauf zum Einsatz kommt – akustisch betrachtet wäre das Surren eines Zahnscheibenfreilaufs dem hochpreisigen Rad eher angemessen. Der Radsatz wiegt „nackt“ schlanke 1.600 Gramm, fahrfertig sind es solide 3.470 Gramm. Die 40er WTB-Reifen sind bereits tubeless montiert; sie vereinen bissige Schulterstollen mit einer auf Asphalt leicht rollenden, dabei griffigen Lauffläche. Für ein ans MTB angelehnte Gravelbike sind die Reifen eher schmal, und allzu viel mehr geht nicht: BMC gibt Rahmen und Gabel für maximal 45 mm breite Reifen frei. Das klingt wenig im Vergleich zu manchen Anbietern, die bis zu 60 mm breite (B650-) Pneus zulassen, wobei man sich natürlich fragen kann, ob man so viel Volumen überhaupt braucht. Schließlich ist das Urs bereits im Auslieferungszustand überaus kompetent, wenn’s ins Gelände geht.
Kurzer Schnellgang, leichter Berggang
Das liegt auch an der Übersetzung, die für ein Bike mit Rennlenker kurz ausfällt: Mit 10 zu 38 Zähnen fällt der Schnellgang unter die magische 4:1-Schwelle, wobei die breiten Reifen für eine etwas größere Entfaltung (d.h. die pro Kurbelumdrehung zurückgelegte Strecke) sorgen. Dank 52er Ritzel gibt es dafür auf der anderen Seite einen ultraleichten Berggang, mit dem man so ziemlich überall hochkommt. Wer das Urs anders einsetzen will und auf einen Übersetzungsbereich von 520 % verzichten kann, hat beim 1×12-Antrieb von SRAM viele Optionen. Zum einen erlaubt der Rahmen die Verwendung von Kettenblättern bis zu 48 Zähnen, zum anderen könnte man eine 10-44er oder gar 10-36er Kassette montieren, wobei man mit letzterer immer noch einen knapp 1:1 übersetzten Berggang hätte.
Der vordere Force-Bremssattel verbeißt sich in einer 180er Scheibe, hinten kommt eine normal große 160-mm-Bremsscheibe zum Einsatz. Auch der große Rotor vorne ist eine Reminiszenz ans Mountainbike; ob man ihn braucht, sei dahingestellt – bitte schwere Fahrer in alpinem Gelände fragen! Keinen Zweifel gibt es bei zahlreichen nützlichen Details am Urs: Unterrohr und Tretlager sind durch eine Gummiabdeckung vor Steinschlag geschützt, dazu kommt eine Schutzfolie, die fast bis zum Steuerrohr reicht. Auch die Gabelspitzen sind gummiert, sodass man das Urs auch mal mit ausgebautem Vorderrad abstellen kann. Das Rad kann mit Schutzblechen und sogar einem Träger ausgestattet werden; durchs rechte Gabelbein lässt sich ein Dynamokabel leiten. Drei Flaschenhalter können montiert werden, dazu die typische Oberrohrtasche, und natürlich kann das Rad mit mechanischen Schaltsystemen aufgebaut werden (und wird ja auch so verkauft). Was freilich nicht geht, ist die Montage eines Umwerfers – das Carbon-Urs ist „One-by only“; ein Werfer lässt sich nur an der Alu-Variante verwenden. Die Federgabel wiederum kann nicht mit komplett innenverlegten Leitungen kombiniert werden, was aber eher gut ist, denn so ist der schon erwähnte Vorbauwechsel kein Problem.
Große Modellvielfalt beim Urs
BMC bietet das Urs in zehn Varianten an, davon drei mit Aluminiumrahmen. Diese sind gänzlich ungefedert, wogegen alle Carbonmodelle über den Softtail-Hinterbau verfügen. Die Federgabel findet sich nur an den zwei LT-Varianten, wobei es neben dem hier vorgestellten Urs LT One noch das LT Two mit SRAM Rival AXS und DT Swiss G1800 gibt, das mit 6.499 Euro immerhin zwei Tausender weniger kostet. Das günstigste URS Carbon kostet mit mechanischer SRAM Apex und DT Swiss C1850 angenehme 3.499 Euro. Und so hat man die Qual der Wahl: „Fully“ oder doch nur Softtail?
Wer vom Mountainbike kommt und ein Gravelbike für anspruchsvolles Gelände sucht, dürfte die LT-Variante besonders interessant finden und sich auf der anderen Seite nicht an den 800 Gramm Mehrgewicht der 20-mm-Forke stören – höchstens am hohen Preis. Ist man auf eher konventionellem Gravel-Terrain unterwegs, erhalt man mit dem Carbon-Urs in jedem Fall ein extrem komfortables, vielseitiges und dabei wirklich kerniges Fahrrad, das gar nicht mal teuer sein muss.
WEB: bmc-switzerland.com