Ratgeber: Light E-MTB oder Full Power E-MTB? Nie zuvor dürften sich mehr E-Mountainbiker diese Frage gestellt haben. Aus diesem Grund waren wir mit zwei E-MTBs von Pivot, dem Shuttle SL und dem Shuttle LT, einmal Light, einmal Full Power, am Gardasee unterwegs und haben auch auf dem Prüfstand nachgemessen. Es zeigte sich: Die Unterschiede sind deutlich, wenngleich vielleicht kleiner als man auf den ersten Blick ahnen würde.
2023 scheint das Jahr der Light E-MTBs zu sein. Nach der Vorstellung neuer Antriebssysteme wie dem Fazua Ride 60 und dem TQ HPR50 im vergangenen Spätjahr sprießen die neuen Modelle seit Jahresbeginn geradezu aus dem Boden – nie war die Auswahl so groß. Entsprechend dürften sich mehr E-Mountainbiker denn je die Frage stellen, ob ein Light E-MTB nicht eine echte Alternative sein könnte. Um dieser Frage nachzugehen und die Unterschiede der beiden Radgattungen genauer unter die Lupe zu nehmen, waren wir mit je einem E-MTB – einmal Light, einmal Full Power – für eine Woche am Gardasee und zudem auf dem Prüfstand.
Pivot Shuttle – Leichte SL Variante oder kräftiges LT Modell?
Vor einigen Jahren wagte Premium-Hersteller Pivot mit dem Shuttle den Schritt hin zum E-MTB – absolutes Neuland für die US-Amerikaner. Doch das Bike konnte nicht nur bei uns, sondern auch bei den Kollegen und den E-Bikern weltweit überzeugen. Es ist sicherlich auch diesem Erfolg zu verdanken, dass der Name Shuttle im Portfolio von Pivot seit vergangenem Spätsommer nun nicht mehr nur für ein einziges Modell, sondern für eine Familie aus E-MTBs steht. Die beiden Mitglieder hören auf die Namen Shuttle SL und Shuttle LT – während Ersteres mit dem Fazua Ride 60 auf einen aktuellen Light Motor setzt, steckt in der Long Travel (=LT) Variante nicht nur der bewährte, 85 Nm kräftige Shimano EP8 Motor, sondern auch ein großer 726 Wh Akku. Mehr Federweg gibt es obendrein.
Pivot Shuttle SL: Technische Eckdaten
Das Pivot Shuttle SL war eines der ersten E-MTBs, die mit dem neuen Fazua Ride 60 Antrieb im letzten Jahr vorgestellt wurden. Das Bike sorgte direkt für einiges an Aufsehen: Neben seiner enorm schlanken Optik konnte auch das Gewicht beeindrucken: 16,5 kg gibt Pivot für die leichteste Konfiguration an – in den anderen Ausstattungsvarianten bringt das Rad aber wohl ca. zwei Kilo mehr auf die Waage, wie sich auch bei unserem Testbike bestätigt. Ein solches Gewicht und ein so schlankes Unterrohr trotz für ein Light E-MTB recht üppigem 430 Wh Akku waren nur mit einem fest integrierten Energiespeicher möglich.
Rahmenmaterial: Carbon
Federweg: 150 / 132 mm
Einsatzgebiet: Trail+
Antrieb: Fazua Ride 60
Akku: 430 Wh (fest integriert)
Gewicht: ab 16,5 kg
Preis: ab 9.499 Euro
Das Pivot Shuttle SL ist ein waschechtes Trailbike mit 150 mm Federweg an der Front und 132 mm am Heck und einer dazu passenden, progressiven Geometrie. Wenig überraschend muss man für so viel High-Tech tief in die Tasche greifen: Die Preise für das Edel E-MTB starten bei 9.499 Euro.
Pivot Shuttle LT: Technische Eckdaten
Das Pivot Shuttle LT hat deutlich mehr Gemeinsamkeiten mit dem „Ur-Shuttle“ als sein leichtes Schwestermodell. Mit seinen 170 bzw. 160mm Federweg ist es fest im Enduro-Segment verortet und bringt eine entsprechende Geometrie mit. Der Shimano EP8 Antrieb passt hervorragend zum sportlichen Charakter des Bikes und macht es durch sein verhältnismäßig geringes Gewicht erst möglich, dass die Waage trotz des entnehmbaren 726 Wh Akkus im Unterrohr bei deutlich unter 23 kg stehen bleibt.
Rahmenmaterial: Carbon
Federweg: 170 / 160 mm
Einsatzgebiet: Enduro
Antrieb: Shimano EP8
Akku: 726 Wh
Gewicht: ab 22,5 kg
Preis: ab 9.999 Euro
Ist leichter immer besser? Die Sache mit dem Gewicht
Der namensgebende Unterschied zwischen einem regulären „Full-Power“ E-MTB und den etwas jüngeren Light E-MTBs ist das Gewicht. Im Falle unserer beiden Beispielräder von Pivot liegen satte 4,5 kg dazwischen – das sind drei volle 1,5l Wasserflaschen! Natürlich ist ein solcher Gewichtsunterschied zu jedem Zeitpunkt spürbar. Interessant: Die Diskrepanz zwischen den beiden E-MTBs ist größer als zwischen dem Shuttle SL und einem regulären Enduro MTB ohne Motor.
Tiefer Schwerpunkt kann für sattes Fahrgefühl sorgen
Man ist geneigt, dem leichteren Bike grundsätzlich die besseren Fahreigenschaften auf dem Trail zuzuschreiben. Schließlich ist das doch das Kaufargument? Ganz so einfach ist die Angelegenheit dann aber (wie so oft) doch nicht. Das liegt auch daran, dass reguläre E-MTBs mit einem Gewicht von 23 kg oder mehr in den vergangenen Jahren riesige Fortschritte gemacht haben. Bessere Fahrwerke, steifere Federgabeln und vor allem ein tiefer Schwerpunkt wie am Pivot Shuttle LT haben dazu geführt, dass sich diese Bikes in der Abfahrt häufig nicht so schwer anfühlen, teilweise profitieren sie sogar von ihrem Gewichtsplus.
Es ist dabei vor allem der tiefe Schwerpunkt, der sich positiv bemerkbar macht. Dadurch liegt ein 25 kg E-MTB gerade bei hohem Tempo und durchschnittlich fordernden Trails oft satter als ein leichteres Bike. Anders sieht es in Kurven, bei Sprüngen oder generell einem aktiven Fahrstil aus. Hier muss der Fahrer das Gewichtsplus „einfangen“ und wird sich auf einem Light E-MTB tendenziell etwas leichter tun. Ähnliches gilt bei Drops und Sprüngen: Auch hier ist ein leichteres Rad meist einfacher zu kontrollieren.
Den Alltag nicht vergessen
Was bei der Diskussion um das Fahrradgewicht oft außer Acht gelassen wird – man sitzt nicht immer auf dem Sattel des Bikes. Gerade das Handling im Alltag (Fahrradträger, Fahrradkeller, Kofferraum etc.) fällt leichter mit jedem Kilogramm, das ein Bike weniger auf die Waage bringt. Auch Trage- oder Schiebepassagen im Gelände sind so einfacher zu meistern. Klar, das ist nicht für jeden Relevant, sollte aber bei der Kaufentscheidung mit einbezogen werden.
Eine Frage des Antriebs? Fazua Ride 60 und Shimano EP8 im Vergleich
Der Hauptgrund für den großen Gewichtsunterschied liegt natürlich im jeweils verwendeten Antriebssystem. In unserem Falle ein Shimano EP8 im Pivot Shuttle LT und ein Fazua Ride 60 im Shuttle SL. Dabei macht schon ein Blick auf die technischen Daten der jeweiligen Systeme deutlich, wie groß die Unterschiede sind – zumindest theoretisch. 85 Nm maximales Drehmoment beim EP8, „nur“ 60 (bzw. 59 Nm) beim Fazua Ride 60, satte 726 Wh Akkukapazität beim Shuttle LT, lediglich 430 Wh im schlanken Unterrohr des Shuttle SL. Bei Letzterem ist der Energiespeicher zudem auch noch fest verbaut, was je nach Situation im Alltag durchaus umständlich sein kann.
Leistung
Beide Bikes durchliefen bei uns verschiedene Prüfstandstests. Hier haben wir uns unter anderem auch die Leistung der Antriebssysteme angesehen – und wurden durchaus überrascht. Bei der maximalen Leistung war der Unterschied zwischen Shimano EP8 und Fazua Ride 60 kleiner als erwartet. Dass der EP8 zu den eher schwächeren „ausgewachsenen“ Mittelmotoren zählt, wussten wir zum einen aus der Praxis, aber auch von früheren Labortests. Dass ihm der neue Ride 60 von Fazua aber so nahe kommt, hätten wir nicht gedacht. Klar, ca. 130 W Unterschied sind noch immer eine Hausnummer, aber die Lücke ist doch deutlich kleiner als bei älteren Light Antrieben.
Etwas größer fällt der Leistungsunterschied aus, wenn wir uns die Abgabe bei nur 100 W Fahrerinput ansehen. Das entspricht einem lockeren Treten in der Ebene. Hier geht der Ride 60 dann doch deutlich gemächlicher zu Werke, was jedoch auch daran liegt, dass der EP8 hier bereits überdurchschnittlich stark unterstützt. Zur Einordnung: Ein Bosch Performance CX gibt hier nur unwesentlich mehr Leistung ab als der Fazua Motor. Dieses Verhalten ist also eher eine Frage der Antriebscharakteristik und spiegelt weniger die Leistungsfähigkeit wider. Über die Fazua App lässt sich hier eventuell auch noch mehr aus dem Motor herauskitzeln.
Energieverbrauch und Reichweite
Gemessen haben wir nicht nur die Leistung, sondern auch den Energieverbrauch und damit auch die Reichweite der beiden Bikes. Bei den Messungen in der Ebene (100 W Input, 0% Steigung, höchste Unterstützungsstufe) geht der Shimano EP8 klar effizienter zu Werke und verbraucht weniger Strom. Zusammen mit dem deutlich größeren Akku im Pivot Shuttle LT bedeutet das, dass das Full Power E-MTB über doppelt so weit kommt. Am Berg ist die Diskrepanz nicht ganz so groß, da beide Antriebssysteme hier ungefähr gleich viel Energie verbrauchen – die unterschiedlichen Akkukapazitäten machen sich aber natürlich bemerkbar.
Pivot Shuttle LT | Pivot Shuttle SL | |
---|---|---|
Shimano EP8 / 726 Wh | Fazua Ride 60 / 430 Wh | |
Verbrauch Ebene | 4,9 Wh/km | 5,7 Wh/km |
Verbrauch Berg | 33,8 Wh/km | 33,9 Wh/km |
Reichweite Ebene | 155 km | 75 km |
Reichweite Berg | 2.120 hm | 1.275 hm |
Eindrücke aus der Praxis
Wir waren mit beiden Bikes einige Tage am Gardasee unterwegs, wo auch unterschiedliche Testfahrer mit verschiedenen Hintergründen und Vorlieben darauf Platz nahmen. Was schnell klar wurde: Wer ansonsten meist auf einem Mountainbike ohne Motor unterwegs ist, kann sich schnell auf das Fahrgefühl des Pivot Shuttle SL einstellen ohne sich entscheidend umgewöhnen zu müssen. Der „Sprung“ zum Full Power E-MTB Shuttle LT ist hier deutlich größer und verlangt gerade von aktiven Fahrern eine stärkere Umgewöhnung.
Ebenso schnell zeigte sich: Wer ein Light E-MTB im Uphill zum Traileinstieg fährt wie ein reguläres E-MTB, könnte schnell enttäuscht werden. Selbst in der höchsten Unterstützungsstufe ist der Leistungsunterschied spürbar, zudem reicht dann der Akku vielleicht für eine Halbtagestour, bevor das Bike an die Steckdose muss. Wer also die Vorzüge eines Light E-MTBs wirklich nutzen möchte, wird mit dem Akku haushalten müssen, sprich: Unterstützung reduzieren. Selbst in den niedrigeren Leistungsstufen ist man noch immer deutlich schneller unterwegs als am unmotorisierten MTB, dafür steigt der Puls dann auch deutlich an. Wer also ein E-MTB sucht, auf dem man selbst im Uphill nicht ins Schwitzen kommt, sollte beim regulären Full Power E-MTB bleiben.
Im technischen Uphill können beide Räder überzeugen, zumal das Shuttle SL hier noch die Option auf den zeitlich begrenzten Turbo-Modus des Ride 60 Antriebs hat. Generell lässt sich der leichte Antrieb durch seine etwas geringere Unterstützungsleistung auch leichter dosieren, was gerade bei nicht ganz optimalen Bodenverhältnissen helfen kann, Traktion am Hinterrad zu behalten. Technisch starke Uphill-Piloten werden aber sicherlich die Power eines „echten“ Mittelmotors bevorzugen und diese auch in schnellere Zeiten ummünzen können.
Das Verhalten auf dem Trail war stark vom Gelände und dem Fahrer abhängig. Generell ist das leichtere Pivot Shuttle SL das deutlich agilere, verspieltere Bike, keine Frage. Der große Unterschied beim Federweg machte sich während unseres Tests weniger bemerkbar als wir anfangs dachten. Der Hinterbau mit nur 132 mm fühlt sich nach deutlich mehr an und steckt so einiges weg, auch wenn das Shuttle LT mit seinen 170 bzw. 160 mm doch mehr Reserven bietet. In Kombination mit dem starken Fahrwerk konnte es sein Mehrgewicht gerade auf weniger engen Trailabschnitten für sich nutzen und glich einem Bügeleisen im Geschwindigkeitsrausch.
Fazit: Light E-MTB als echte Alternative!
Waren Light E-MTBs bislang technisch zwar interessant, gab es zu wenige Modelle und eine zu kleine Zielgruppe, um eine echte Alternative zum regulären Full Power E-MTB zu sein. Das wird sich in dieser Saison zweifelsfrei ändern. Einerseits wegen der quasi wöchentlich wachsenden Anzahl an verfügbaren Modellen für unterschiedliche Einsatzbereiche, aber auch wegen Antrieben wie dem neuen Fazua Ride 60. Mit deutlich mehr Leistung und größerer Akkukapazität schrumpft die Lücke zu den bekannten E-MTBs immer weiter. Klar, Light E-MTBs sind nicht das richtige für jeden E-Biker, dafür sind die Unterschiede bei Leistung und Reichweite zu groß. Aber gerade sportive Fahrer sollten sich die neuen Modelle wie das Pivot Shuttle SL definitiv genauer ansehen.
Ohnehin wird es spannend, den Markt weiter zu beobachten. Die großen Namen der Branche – Bosch, Brose, Shimano – haben noch keine leichten Antriebssysteme am Markt. Wir würden uns sehr wundern, sollte dem so bleiben. Spätestens dann werden die leichten E-Mountainbikes ihrer Nische entwachsen und auch in der breiteren Masse als Alternative wahrgenommen. Unserer Meinung nach sind sie das jedoch längst.