Johansson Oscar S im Test: Dank Neigetechnik bietet das zweispurige Cargobike ein hohes Maß an Sicherheit und Fahrdynamik. Auch Antrieb und Komplettierung überzeugen; nur die Transportbox kann mit dem hohen Standard nicht ganz mithalten.
Lastenräder sind praktisch und zukunftsweisend, ihre Fahreigenschaften können jedoch gewöhnungsbedürftig sein. Gerade „Long John“-Modelle mit Ladeplattform vorm Lenker lassen sich nur mit einiger Übung sauber steuern; mit schwerer Beladung ist beim Handling auch ein gewisser Kraftaufwand nötig.
Zweispurige Cargobikes sind von daher eine interessante Alternative – und auch längst kein ungewohnter Anblick mehr. Ihr Vorteil ist ein unschlagbar stabiles Fahrverhalten, ebenso bei Schritttempo wie bei hohen Geschwindigkeiten und unabhängig von der Beladung. Weder muss man sie beim Abstellen aufbocken, noch muss man sie beim Schieben mit viel Kraft halten. Und wer sich für ein Modell wie das Johansson Oscar entscheidet, muss diese Vorteile nicht mit merklichen Kompromissen bei der Fahrdynamik bezahlen. Denn der große Vorteil des Cargobikes mit dem nordischen Flair ist die aufwendige Fahrwerkskonstruktion mit Neigetechnik, die eine beachtliche Kurvenschräglage erlaubt. Nur so sind auf einem zweispurigen Rad höhere Kurvengeschwindigkeiten möglich – starre Varianten erfordern eine sehr vorsichtige Fahrweise oder gewagte Manöver, mit denen der/die Fahrer/in sich per Gewichtsverlagerung der nach außen wirkenden Fliehkraft entgegenlehnt.
Johansson Oscar S: Neigetechnik und knapper Radstand
Schaut man sich die Aufhängung der Vorderräder an, merkt man sofort, was für ein technischer Aufwand betrieben werden muss, um das Fahrverhalten des Johansson zu realisieren. Die gefederte Doppelquerlenkerachse wird von einem Unterzug abgestützt, der wiederum vorne die Transportbox stabilisiert – dieser erstreckt sich ja über der komplizierten Mechanik. Der Unterzug zwischen den Vorderrädern schränkt allerdings die Bodenfreiheit des Oscar ein; Hindernisse wir hohe Kanaldeckel zwischen die Räder zu nehmen, kann durch Aufsetzen bestraft werden. Dass der Aufbau über die Vorderradachse hinausragen kann, erlaubt auch einen eher kurzen, der nur knapp 140 cm misst. Zusammen mit den kleinen Laufrädern kommt dies wiederum der Handlichkeit und dem Wendekreis zugute. bei „Long Johns“ kann der Radstand auch mal über zwei Meter betragen.
Alle Faktoren zusammen ergeben ein Lastenrad, das mit außerordentlich viel Fahrspaß aufwarten kann. Geschwindigkeitsunabhängig kann man sauber geradeaus fahren; bei Richtungsänderungen kann man problemlos Handzeichen geben, wo man bei einspurigen Cargobikes nur ungern die Hand vom Lenker nimmt. Dazu kommt der starke Schub des Brose-Motors, wobei man die Wahl zwischen dem Drive T mit 70 Nm und dem Drive S mit 90 Nm Drehmoment hat. Letzterer macht das Anfahren leicht und zeigt auch bergauf keine Schwächen. Allerdings liefert Johansson einen mit 522 Wattstunden eher kleinen Akku mit.
Auffällig sind die Drei-Speichen-Laufräder aus Magnesiumguss. Das Testrad kommt mit stufenlosem Enviolo-Getriebe; günstiger wird das Johansson Oscar mit Zehngang-Kettenschaltung. Neben dem kleinen Display des Brose-Antriebs befindet sich am linken Lenkergriff ein Drehschalter, mit dem die Neigungsfunktion beim Abstellen blockiert wird. Auffällig ist die starke Wirkung der Scheibenbremsen – klar, mit zwei gebremsten Rädern kann man noch besser verzögern. Schade ist, dass das Rad mit konventionellem Kettenantrieb ausgestattet ist – gerade angesichts der Tatsache, dass Lastenräder meist im Freien leben, wäre ein Zahnriemen sinnvoller. Mit winkelverstellbarem Lenkervorbau und zweifach höhenverstellbarer Sattelstütze ist es einfach, das Rad an unterschiedlich große Nutzende anzupassen.
Mit 720 mm ist das Johansson Oscar S in etwa so breit wie konventionelle „Long John“-Lastenräder. Allerdings hat man das Gefühl, dass Johansson mehr aus dem Bauraum zwischen den Vorderrädern machen könnte. Die schlichte Sperrholzbox, die in einem gewissen Kontrast zur Hightech-Rahmenkonstruktion steht, ist nämlich gerade mal so breit, dass ein Kind in ihr sitzen kann, und verjüngt sich nach unten noch. Klar, wegen des Lenkeinschlags kann man den Platz zwischen den Vorderrädern nicht komplett ausnutzen. Ein Zweisitzer sollte aber schon machbar sein, und dass das Zweispur-Lastenrad viel Potenzial beim Gepäcktransport hat, konnte der Hersteller bereits mit einer 105 x 74 cm großen Ladeplattform beweisen. Bei einem Fahrzeuggewicht von 62,6 Kilo wie getestet ergibt sich eine Nutzlast (Fahrer + Beladung) von immerhin 160 Kilo.
Gerade angesichts dieser Zahlen wünscht man sich ein wertigeres und geräumigeres Transportabteil. Gegenüber typischen Einspur-Lastenrädern kann das Johansson mit sicherem, dynamischem Fahrverhalten punkten; Sicherheit und Fahrgast-Komfort à la Ca Go – um nur ein Beispiel zu nennen – liefert es freilich nicht. Würde der Hersteller hier nachlegen, könnte das Oscar S in der redaktionsinternen Beliebtheits-Skala einen gehörigen Sprung nach oben machen.