Markt: Bereits im Frühjahr vergangenen Jahres überraschte Reifen-Spezialist Schwalbe mit einem neuartigen Reifensystem, das scheinbar voll gegen den Trend geht: Während immer mehr Biker auf Tubeless-Systeme umsteigen, präsentierte der deutsche Hersteller ein System mit einem zusätzlichen Hochdruckschlauch. Doch bereits auf den zweiten Blick wird deutlich: Es macht durchaus Sinn. Nun hat die Auslieferung des Procore getauften Systems begonnen.
Kommen wir zuerst einmal zu den Fakten – was ist Schwalbe Procore überhaupt? Das zusammen mit dem ebenfalls deutschen Hersteller Syntace entwickelte System setzt auf zwei getrennte Luftkammern und richtet sich primär an Mountainbiker. Eine direkt auf der Felge liegende Hochdruckkammer schützt dabei die Laufräder und verhindert Durchschläge, während der Reifen selbst ohne Schlauch, also tubeless betrieben wird. Der Clou an der Sache: Dadurch wird es möglich, den Luftdruck des Niedrigdrucksystems deutlich unter 1 Bar zu senken, ohne jedoch Durchschläge, Burping oder zerdellte Felgen in Kauf nehmen zu müssen.
Trend: Breite Felgen, breite Reifen, niedriger Luftdruck
Vor allem im Enduro- und Gravitysektor geht der Trend seit einigen Jahren zu breiteren Felgen mit breiteren Reifen und niedrigem Luftdruck. Diese Kombination bietet den Fahrern deutliche Vorteile: Die große Auflagefläche des Reifens sorgt für ein enormes Grip-Plus, ebenso verbessern sich die Dämpfungseigenschaften und entgegen der landläufigen Meinung auch der Rollwiderstand. Diverse Untersuchungen und Studien zeigen nämlich ganz deutlich, dass auf unebenem Gelände Reifen mit weniger Druck deutlich leichter rollen. Der Grund dafür liegt darin, dass Hindernisse bei geringem Luftdruck vom Reifen „aufgesogen“ werden – prall gefüllte Pneus hingegen sorgen dafür, dass der Reifen gebremst wird.
Das Fahren mit geringem Luftdruck (je nach Reifen/Disziplin und Untergrund zwischen 1,0 und 1,5 Bar) bringt jedoch Probleme mit sich. Durch die niedrigen Druck steigt natürlich die Gefahr von Durchschlägen – zumindest mit herkömmlichen Butyl-Schläuchen. Einmal nicht aufgepasst oder zu schnell über eine Kante gerollt und die Luft ist raus. Die Antwort der Industrie und der Fahrer waren Tubeless-Systeme ohne Schlauch, sondern mit Dichtmilch. Zwar ist so die Gefahr von Durchschlägen gebannt, doch die Felgen leiden natürlich ordentlich und zerdellen wesentlich schneller als zuvor. Auch schwere Downhillreifen mit dicker Karkasse oder Latex-Schläuche sind keine perfekte Lösung. Noch dazu kämpfen viele Tubeless-Fahrer mit „burping“ – der Begriff bezeichnet einen von der Felge kippenden Reifen (vor allem in Kurvenfahrten). So verliert man nach und nach Luft oder im schlimmsten Fall sogar den ganzen Reifen. Breite Felgen schaffen hier zwar etwas Abhilfe, können das Problem aber nicht komplett beseitigen.
Die Lösung: Schwalbe Procore?
Als Mountainbiker, der gerne mit geringen Luftdruck fährt, steht man somit vor folgenden Grundproblemen:
- Durchschlagsgefahr
- Burping
- Kippelnde Reifen
- Beschädigungen an Felgen
All diese Probleme sollen mit Schwalbe Procore der Vergangenheit angehören. Der stramm auf der Felge sitzende Hochdruckreifen, der mit 4-6 Bar gefüllt wird, bildet einen effektiven Schutz vor Dellen oder gar Rissen im Felgenprofil. Der hohe Druck des inneren Systems verhindert auch mögliche Durchschläge. Auch kippelnde Reifen und damit verbundenes Burping sind passé: Das Hochdrucksystem klemmt die Reifenwulst am Felgenhorn ein und fixiert sie somit wesentlich besser als zuvor. So können auch viel leichtere Reifen mit dünnerer Karkasse zukünftig mit wenig Druck gefahren werden.
Wie funktioniert Schwalbe Procore?
In der ersten Produktvorstellung vor etwas mehr als einem Jahr sorgte die Ankündigung von Schwalbe bzw. Syntace für Naserümpfen, dass für Procore zwei Ventile und somit auch zwei Ventillöcher in der Felge notwendig sein werden. Die Entwickler scheinen auf die darauffolgende Kritik von Presse und Fans reagiert zu haben und das Resultat ist der AirGuide mit patentiertem Dual-Ventil. Letzteres erinnert an herkömmliche Sclaverand-Ventile, doch der Stift in der Mitte dient hier als Selektor: Ist er komplett eingedreht, befüllt man die Innenkammer – ausgedreht hingegen strömt die Luft in die Außenkammer.
Das System selbst besteht also aus drei „Schichten“ – ganz innen liegt der Procore-Schlauch, der den Procore-Innenreifen auf Druck bringt. Dieser liegt im aufgepumpten Zustand eng auf der Felge. Der Reifen selbst wird dann ganz herkömmlich in Tubeless-Manier montiert und über das Dual-Ventil mit Luft gefüllt.
Funktioniert Schwalbe Procore auf jeder Felge und mit jedem Reifen?
Auch wenn das Procore-System mit dem Dual-Ventil für hohe Kompatibilität mit unterschiedlichen Felgen und Reifen sorgt, müssen die Laufräder und die in Frage kommenden Reifen laut Schwalbe gewisse Voraussetzungen erfüllen:
- Felgenbreite mindestens 23mm
- Tubeless-fähige Felgen
- Tubeless-fähige Reifen
Hat man also bereits einen Laufradsatz mit einer Felgenbreite von über 23mm und betreibt diesen ohne Schlauch, kann Procore ganz einfach nachgerüstet werden. Ansonsten lohnt es sich gegebenenfalls um ein entsprechendes Upgrade nachzudenken.
Heute beginnt die Auslieferung der ersten Procore-Sets. Diese enthalten zwei Procore-Schläuche, zwei Innenreifen, zwei AirGuides, Tubeless-Felgenband, Reifenheber, Montagefluid und Dichtmilch – also alles was man für die Montage benötigt. Die einzelnen Bauteile sind auch einzeln erhältlich. Das Set wird in allen drei Laufradgrößen (26″, 27,5″ und 29″) angeboten und kommt mit einer UVP von 195€ in den Handel.