Spektrum: Nicht ganz ohne Neid blicken viele deutsche Stadtradler immer wieder nach Norden zu unseren Nachbarn in Kopenhagen oder Amsterdam. Dort findet man eine Fahrrad-Infrastruktur, von der man hierzulande wirklich nur träumen kann. Doch vielleicht könnte sich das bald ändern – zumindest in Berlin. Eine kleine Gruppe von Architekten und Kulturexperten hat nun einen Vorschlag für einen 9km langen, überdachten Radweg quer durch die Innenstadt Berlins veröffentlicht. Genutzt werden soll dafür eines der Wahrzeichen der Stadt: Die U-Bahnlinie U1.
Die U1 in Berlin ist weit über die Stadtgrenzen der deutschen Millionenmetropole hinaus bekannt, sei es aus Film und Fernsehen, Musicals, von Besuchen oder aus tausenden ikonischer Fotos. Zweifellos zählt die 120 Jahre alte Hochbahn zu den Wahrzeichen der deutschen Hauptstadt. Mehrere Meter hoch erstreckt die Konstruktion aus Metall und Beton und trägt tagtäglich die Züge der Linie U1 mit tausenden von Passagieren – und darunter? Zumeist Brachland. Das will die Initiative Radbahn nun ändern: Zukünftig soll auf den 8,9km zwischen Zoo und Warschauer Straße eine eigene Verkehrsader für den Fahrradverkehr der Stadt entstehen.
Die Idee ist simpel und klingt im ersten Moment äußerst plausibel: Große Teile des Raums unter dem Hochbahn-Viadukt sind leer und ungenutzt. Hier wäre mehr als genügend Platz für einen Radweg mit zwei Spuren, der die U-Bahn als Dach dient und damit Schutz vor brennender Sonne, kaltem Regen oder rutschigem Schnee bieten würde. Doch passend zum Selbstverständnis und dem Image der Stadt, soll die Radbahn weit mehr sein als nur ein schnöder Radweg: Entlang der Strecke, die durch die Trendviertel Kreuzberg und Friedrichshain führt, soll ein hipper Kulturraum entstehen mit Radcafés, Ruhestellen und mobilen Servicestationen, wo man einen Plattfuß oder ähnliche Defekte schnell beheben kann.
Das Team hinter der Radbahn schneidet im dazugehörigen Konzept jedoch auch einige moderne Ideen an, die die einen wohl als Träumerei, andere als mutige Zukunftsvisionen bezeichnen würden. Dazu gehört beispielsweise die Idee, die Ampelschaltungen entlang der Strecke auf den Radverkehr und nicht auf den Autoverkehr abzustimmen. Digitale Displays entlang der Radbahn sollen dann jederzeit die optimale Geschwindigkeit für die ‚grüne Welle‘ anzeigen. Ein mutiger Vorschlag in einem Land wie Deutschland, wo die Automobillobby stärker ist, als in den meisten anderen Ländern Europas. Zu den noch gewagteren Denkanstößen gehört ein druckempfindlicher Belag, der den Strom für die an der Radbahn gelegenen Geschäfte und Stände erzeugen soll.
Erst vor wenigen Tagen wurde das Konzept im Netz präsentiert, doch inzwischen berichten Medien weit über die Stadtgrenzen davon und auch in der Politik findet die Idee erste Unterstützer, darunter beispielsweise den Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele. Auch der ADFC lobt den Vorstoß und das Konzept, auf Facebook hat die entsprechende Seite inzwischen über 8.000 Fans. Am Montag wurde die Radbahn zudem mit dem Bundespreis ecodesign in der Kategorie ‚Konzept‘ ausgezeichnet. Alles gut also – wären da nicht einige nicht zu unterschätzende Hürden, die noch bewältigt werden wollen.
Zum einen ist natürlich die Finanzierung zu diesem frühen Zeitpunkt noch völlig ungeklärt. Auch wenn die Köpfe hinter dem Konzept immer wieder betonen, dass nur kleinere, ‚kluge‘ Investitionen von Nöten seien, um große Teile des Weges nutzbar zu machen, steht hier noch ein dickes Fragezeichen. Ebenso gibt es entlang der Strecke noch einige bauliche Herausforderungen wie beispielsweise Brücken oder Treppen unter dem Viadukt. Ob diese Problematik so simpel gelöst werden kann, wie im Konzept vorgeschlagen – hier ist nämlich vorgesehen, den Radweg einfach am Viadukt aufzuhängen – muss wohl noch geprüft werden.
Es gibt also noch viel zu tun, doch am Anfang steht immer eine Idee – und die finden wir super. Die Radbahn in Berlin wäre ein riesiger Schritt für die Fahrradinfrastruktur in ganz Deutschland und wir drücken alle Daumen, dass der Zweiradverkehr in naher Zukunft unter den Stelzen der U1 durch die Hauptstadt rollt.
Mehr Informationen zum Projekt findet ihr auf der offiziellen Webseite: