Radsport: Im Radsport geht es um Erfolge und Geld – zumindest den meisten. Etwas anders verhält sich dies beim deutschen Embrace The World Cycling Team. Wie der Name schon vermuten lässt, steht vor allem der soziale Aspekt im Vordergrund. Denn der Teamname „Umarme die Welt“ wird tatsächlich gelebt. Neben dem Spaß am Radsport geht es der Mannschaft vorwiegend um Spenden für Bedürftige. Nach seinen zwei Etappensiegen bei der Tour of Rwanda sprechen wir im Interview mit dem deutschen Fahrer Julian Hellmann.
Embrace The World: Durch Radsport die Welt verbessern
Es ist nicht leicht im Radsport Fuß zu fassen. Die Weltspitze ist klein und der Weg zum Profi hart. Doch nicht jeder Fahrer hat das Zeug zum Tour de France-Sieger – und vielleicht auch gar nicht den Anspruch. Denn es gibt wichtigere Dinge auf der Welt, auf welche das Embrace The World Cycling Team nicht nur hinweist, sondern Hilfe selbst vorlebt. Gefahren wird vorwiegend in exotischen Regionen. Dabei sind ihnen die Zahlen ebenso wichtig wie anderen Teams, doch es geht weniger um die Anzahl der Siege, sondern vielmehr um den Stand des Spendenkontos. Während alle Fahrer ihre Flüge selbst bezahlen müssen, werden Radteile an Bedürftige vor Ort gespendet – direkt und ohne Umwege. So fließt zum Beispiel auch Geld an Tierschutz- und Krebshilfe-Stiftungen, aber auch Sportler in Afrika und Asien werden unterstützt. Seit 2015 besteht das Team. Damals wurde es von Micha Glowatzki gegründet, der es auch heute noch leitet.
Julian, du hast gerade mit deinem Embrace The World Cycling Team die Tour of Rwanda bestritten und selbst zwei Etappensiege eingefahren. Welche Eindrücke hast du gewonnen?
Julian Hellmann: Nachdem ich im letzten Jahr die Senegal-Rundfahrt zusammen mit meinem Team fahren durfte, habe ich mich sehr auf die Eindrücke aus einem weiteren afrikanischen Land gefreut. Für uns als Amateurteam war es eine Ehre, die Einladung für die hoch angesehene Tour du Rwanda (als Profirundfahrt kategorisiert, UCI 2.2) zu erhalten und daher haben wir uns auch gut auf dieses Ereignis vorbereitet. Im Vorfeld informierten wir uns natürlich über die Geschichte des Landes und auch, was uns dort erwarten würde. Am Ende aber haben wir einfach viel Vertrauen zu jedem in unserem Team, dass wir uns immer und in jeder Situation aufeinander verlassen können – sei es als Fahrer im Rennen oder aber auf unsere Betreuerinnen oder Sportlichen Leiter. Es ist wie eine große Familie. Gemeinsam wollen wir neue Länder, Menschen und Kulturen kennenlernen und alle Herausforderungen meistern.
Ruanda ist ein sehr armes Land, welches sich aber in den vergangenen Jahren schnell entwickelt hat. Wir waren alle überwältigt von der Begeisterung der Menschen. Tausende, darunter sehr viele Kinder, standen überall an den Straßen. Sie rannten neben uns die Anstiege hoch, feuerten uns an und tanzten entlang der Strecke. Wenn man es dann noch schafft, mit letzter Kraft die entscheidende Attacke am Ende zu setzen und eine Etappe zu gewinnen, ist das natürlich noch das I-Tüpfelchen. Viel mehr aber auch nicht gegenüber all den anderen Impressionen, die wir hier erlangen.
Daneben ist es auch immer eine super Gelegenheit, andere Fahrer aus verschiedensten Ländern der Welt kennenzulernen und sich mit ihnen auszutauschen. Oder aber auch plötzlich Bekannte aus dem Kongo wiederzutreffen, die einen im Ziel begrüßen, nachdem man sie in den letzten Jahren bei anderen afrikanischen Rundfahrten kennenlernte und versuchte, sie mit Materialspenden etwas zu unterstützen.
Das Embrace The World Cycling Team hat sich ein gewisses soziales Engagement auf die Fahnen geschrieben. Warum hast du dich für diese Mannschaft entschieden?
Julian Hellmann: Nach fast zehn Jahren im deutschen und europäischen Radsport war es für mich und drei Freunde an der Zeit, etwas Neues zu finden, dem Sport einen weiteren Sinn zu geben. So stießen wir auf Micha mit der Embrace the World-Idee und das passte sofort zusammen. Wir starteten mit einem einzigen Trikot und einer einzigen Hose. Aber der Gedanke, zusammen durch Radrennen andere Länder und Kulturen kennenzulernen war uns mehr wert als alles andere. Durch etwas Glück und auch gute Ergebnisse konnten wir glücklicherweise schnell einige Materialsponsoren finden und so waren wir sehr glücklich, als Canyon uns anbot, uns mit Rädern auszustatten.
Inzwischen haben wir mit DT Swiss uns Alpecin zwei weitere Sponsoren, die es uns ermöglichen, wenigstens unsere Ausrüstung zu bezahlen. Die Reisekosten tragen wir Fahrer meist selbst. Wir können – wenn es super läuft – mit dem Preisgeld unsere Ausgaben decken. Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm, denn wir sind ein jedes Mal um viele Erfahrungen und Begegnungen reicher und spenden auch einen Teil unserer Preisgelder. Unser Team ist eine besondere Gemeinschaft. Das sieht man auch daran, dass es kaum Fahrer gibt, die das Team verlassen. Wir sind alle sehr zufrieden und partizipieren in vielen Bereichen, von der Sponsorensuche über die Materialbeschaffung bis hin zur Rennplanung.
Alle Fahrer des Embrace The World Cycling Teams veröffentlichen ihre Daten auf Strava. Dadurch werden Spenden generiert. Wie funktioniert das?
Julian Hellmann: Unser Grundgedanke war von Anfang an, mit jedem gefahrenen Kilometer etwas zu verbessern. Das ist zwar etwas utopisch, aber das war unser Anspruch. Abstriche konnte man ja noch immer machen. Also war der Plan, dass sich jeder von uns Fahrern (inzwischen 14 Fahrer im Straßenteam und 5 Fahrer im MTB-Team) privat einen Sponsor, Unternehmen oder Bekannte, sucht, der bereit ist, für jeden gefahrenen Kilometer einige Cent zu spenden. Herausgekommen ist dabei eine Unterstützung – je nach Sponsor – zwischen einem und fünf Cent pro Kilometer. Also wenn wir hier in Ruanda die dritte Etappe fahren (200 km), so sammelt jeder von uns dadurch zwischen 2 € und 10 €, im Training das Gleiche.
Die meisten von uns überweisen das Geld dann auf unser Teamspendenkonto, von welchem aus wir dann soziale Projekte unterstützen. Vorzugsweise in denjenigen Ländern, wo wir auch Rennen fahren und welche wir uns selbst ansehen können. Als Beispiel wäre da z. B. eine Schule für Straßenkinder im Senegal. Diese haben wir nun schon zum zweiten Mal unterstützt und besichtigt. Wir kennen sogar die Lehrer vor Ort. Neben dem Spendenkonto spenden einige Fahrer ihre Gelder auch direkt an Tierheime in Deutschland oder die deutsche Kinderkrebshilfe. Insgesamt konnten wir so neben den Sachspenden immerhin schon rund 10.000 € spenden.
Ihr seid viel in Afrika unterwegs. Haben die vielen Eindrücke deinen Blick auf die Welt verändert?
Julian Hellmann: Ich denke, dass die Rennen meinen Blick unterbewusst schon etwas verändert haben. Die Probleme, die sonst immer ganz weit weg waren und dadurch nicht ganz real erschienen, sind sehr nah gerückt. Das überzeugt mich noch mehr, dass wir wenigstens in die richtige Richtung gehen. Die Welt erscheint mir viel mehr als eine Einheit, als miteinander verbunden, da man überall die Verbindungen sieht, welche man nicht erwartet. Sei dies ein Trikot von einem kleinen Jungen am Straßenrand, auf dem Rheinland steht, oder der Container von Hamburg Süd, der plötzlich in einem kleinen Dorf auf 2.500 m Höhe in Ruanda erscheint.
Daneben sehe ich auf unseren Reisen, mit welchen Widrigkeiten und Problemen die Menschen umgehen müssen und dennoch glücklich und zufrieden sind. Das lässt die eigenen Bedürfnisse überdenken und einige Sorgen relativieren. Ich denke mit den Erfahrungen, welche ich sammeln darf, differenziert sich auch mein Blick auf das Leben und unsere gesellschaftlichen Probleme. Es gibt mir noch mehr Gelassenheit bei einigen scheinbaren Problemen des Alltags. Dennoch möchte ich nicht dazu neigen, fatalistisch zu werden, sondern versuchen, weiter in kleinen Schritten einen Beitrag zu einer gleichberechtigten Welt zu leisten.
Wer übrigens einen tieferen Eindruck von unseren Reisen, den Rennen dort aber auch den Eindrücken und Menschen entlang der Strecke haben möchte, der kann gerne über unsere Homepage www.etwcycling.com unsere super Kurzfilme zu einigen unserer Reisen ansehen. Oft haben wir ein professionelles Kamerateam dabei, wie auch nun in Ruanda.
Welchen Tipp kannst du jungen Fahrern mit auf den Weg geben, die Radprofi werden möchten und deshalb einen steinigen Weg vor sich haben?
Julian Hellmann: Den Traum vom Radprofi haben sicherlich viele Jugendliche, die mit dem Rennradfahren beginnen. Für einige wäre es vielleicht auch das Richtige, für viele aber sicher auch nicht. Radsport macht mir extrem viel Spaß. Die Möglichkeit draußen zu sein, andere Länder zu sehen, uns allen im Team, sonst wären wir nicht so begeistert bei der Sache. Dennoch möchte ich aus eigenem Antrieb heraus fahren und nicht, weil es mir irgendwer sagt oder weil ich etwas Geld dafür bekomme. Radsport ist auch eine sehr harte Sportart. Nun in Ruanda fahren wir acht Tage am Stück Radrennen, täglich 110 bis 200 km und zwischen 1.800 und 4.600 Höhenmeter. Da muss man sehr leidensfähig sein, wenn man körperlich am Ende ist – und an den Punkt kommt man häufig.
Als ich nach meinem Zivildienst ein Jahr als KT-Fahrer unterwegs war, merkte ich, dass mir nach drei Monaten nur Radsport etwas fehlte. Radsport gibt mir vieles, aber nicht genug. Es ist wenig anspruchsvoll für den Kopf. Es wird irgendwann monoton, wenn man immer die gleichen Fahrer als Kontrahenten bei den nationalen Rennen trifft. Selbst in Europa sind es in der Spitze immer wieder die selben, gegen die man fährt. Das wird langweilig auf Dauer, wenigstens für mich. Deshalb ist das Team für mich so perfekt. Freunde, Reisen, Erfahrungen sammeln, durch Eigenmotivation Erfolge einfahren und dabei ein Studium abschließen. Und das alles komplett selbstbestimmt.
Wenn junge Fahrer komplett unabhängig und selbstbestimmt die Entscheidung treffen, Radprofi werden zu wollen, so ist das schön. Sie sollten aber nie den Blick für das Große und Wichtige im Leben verlieren und immer wissen, dass es unendlich viele Alternativen gibt – zumindest für uns in Europa. Für einige Fahrer in Afrika ist es die einzige Chance auf ein einfacheres Leben. Für uns zum Glück nicht, und so sollten wir nicht zu verbissen an dem Ziel „Radprofi“ festhalten.
Zum Abschluss: Wo geht es jetzt nach Ruanda für euch hin?
Julian Hellmann: Direkt nach Runda geht es für mich vermutlich nach französisch Guyana, eine weitere Rundfahrt mit neun Etappen. Und vor Ruanda kam ich mit dem Team von der Tour de Martinique, wo wir auch zwei Etappen gewinnen konnten und ich vier Etappen das Gelbe Trikot trug.
Andere Fahrer werden aber auch noch in Tobago und China im Einsatz sein, danach in der Türkei bei der Tour of Black Sea und im November wartet mit der Tour du Faso in Burkina Faso ein weiteres Saisonhighlight auf unser Team. Für die Rennen wie in Faso brennen wir, denn auch dort ist die Radsportbegeisterung wie in Ruanda unbegreiflich. Hunderttausende Menschen stehen an den Straßen und dort können wir mit jedem Cent für jeden Kilometer am meisten bewegen.
Die Fotos kommen von dem Photographen Oliver Farys.