SRAM Red eTap Test: Die brandneue SRAM Red eTap im Velomotion-Praxistest: Die kabellose Gruppe gefällt mit bester Funktion und faszinierenden Möglichkeiten. Bis man sich länger als ein paar Kilometer über sie freuen kann, wird es aber noch dauern.
Manchmal werden Erwartungen übertroffen, manchmal werden sie enttäuscht – und manchmal ist es genau so, wie man es sich vorgestellt hat. Letzteres ist vor allem dann der Fall, wenn man viel Zeit hatte, sich auf das Kommende vorzubereiten und sich genau auszumalen, wie es wohl sein würde.
SRAM hat der Radsportszene ziemlich viel Zeit gegeben, sich Gedanken über eine kommende Elektroschaltung zu machen. Seit Sommer 2013 war klar, dass der US-Konzern an einer Alternative zu Di2 von Shimano und EPS von Campagnolo arbeitete; im Dezember 2013 kursierten dann die ersten Bilder im Netz. Über die Bedeutung der einzelnen Komponenten und die Schaltfunktion konnte man zu jenem Zeitpunkt nur spekulieren. Die schwarze Box hinten am Schaltwerk wurde als Motor gedeutet, außerdem ging man davon aus, dass SRAM das DoubleTap-Prinzip elektrifizieren würde – ein Antippen des Hebels für den größeren, ein langer Tastendruck für den kleineren Gang. Von einer kabellosen Signalübertragung war zu jenem Zeitpunkt noch keine Rede. Immerhin waren die Leitungen klar und deutlich zu sehen; am Vorbau des Test-Crossers war eine Box befestigt, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Steuerelektronik beherbergte, vielleicht auch die Batterie des ganzen Systems.
Schalten mit der Sram Red eTap: rechts hoch, links runter
Doch bereits zu jenem Zeitpunkt standen die Grundprinzipien des Systems fest. Kabel und Steuereinheit waren nichts als Attrappe, wobei selbst den Testfahrer nicht klar war, dass die Schaltung in Wirklichkeit drahtlos funktionierte – mit einem als „unknackbar“ beschriebenen Übertragungsprotokoll namens Airea. Wie geschaltet wurde, müssen sie allerdings gewusst haben: am rechten Hebel hoch, am linken runter, ein Druck auf beide Schaltpaddel betätigt den Umwerfer.
Und damit sind wir in der Gegenwart angekommen. Die technischen Details der SRAM Red eTap sind nun hinlänglich bekannt: Schaltwerk und Umwerfer verfügen über einen eigenen Akku (an beiden Schalteinheiten identisch); in den Hebeln sorgen Knopfzellen für Energie. Unterm Lenkerband lassen sich Satellitenschalter verbergen, die per Kabel mit dem jeweiligen Bremsschalthebel verbunden sind und der gleichen Schaltlogik folgen.
Wie gesagt: All dies weiß spätestens seit der Eurobike 2015 jeder, der sich für moderne Rennradtechnik interessiert. Wie es in der Praxis aussieht, ist allerdings weitgehend unbekannt, zumal Testräder derzeit noch extrem selten sind. Ohnehin ist mit einem Verkaufsstart der Gruppe nicht vor dem Sommer zu rechnen.
Im Rahmen einer Veranstaltung des Pressedienst-Fahrrad hatten wir nun die Gelegenheit, eines der wenigen fahrbaren eTap-Räder einem kurzen Test zu unterziehen: ein Felt F FRD, mit den Zipp 404 sowie Anbauteilen der SRAM-Tochter ein ziemlich begehrenswerter Renner. Superleicht, agil und sehr steif, ist es eine durchaus passende Basis für die Sram Red eTap.
Werfen wir vorm Losfahren einen kurzen Blick auf die Gruppe: Die Hebel entsprechen in etwa ihren mechanischen Pendants, scheinen aber nicht mehr ganz so weit nach außen abgewinkelt zu sein. Wer die aktuellen Bremsschalthebel von Red und Force gewöhnt ist, merkt beim Greifen kaum einen Unterschied. Auch das Schaltpaddel hat sich in Form und Größe nicht merklich verändert – dazu später mehr.
Schaltwerk und Umwerfer fallen naturgemäß deutlich größer aus als die mechanischen Teile – und größer als die Elektronik-Parts der Konkurrenz, was auf das Konto der Akkus geht. Am Komplettrad fällt dies jedoch kaum auf. Der Kurbelsatz entspricht dem der mechanischen Red, ist nun allerdings mattschwarz statt glänzend; auch die Bremsen werden technisch unverändert übernommen. Was auch bedeutet: Wer mit Elffach-Komponenten von SRAM unterwegs ist, benötigt einzig Hebel, Schaltwerk und Umwerfer, um elektronisch aufzurüsten.
Kommen wir zum Wesentlichen: der Funktion der neuen Sram Red eTap
Nachdem das geklärt ist, kommen wir nun zum Wesentlichen: der Funktion der neuen Schaltung. Und hier stellt sich fast ein kleiner Antiklimax ein, denn was eingangs anklang, findet sich hier bestätigt: Die elektronische Red funktioniert genau so gut, wie wir uns das vorgestellt haben.
Wer bereits einige Erfahrung mit Di2 und EPS gesammelt hat, weiß, wie sich elektronisches Schalten im Prinzip anfühlt: Ein Stück weit ist die Kontrolle weg, denn wo man vorher den gedrückten Hebel erst loslassen musste, um die Schaltung freizugeben und die Kette aufs kleinere Ritzel fallen zu lassen, passiert das nun sofort. Auffälliger ist es noch beim Runterschalten: Bei mechanischen Systemen schiebt man die Kette sozusagen aufs größere Ritzel, kann das sanfter und heftiger machen. Die Elektronik nimmt einem diese Option ab; sie bestimmt, wie flott das Schaltwerk nach innen wandert. Im Stand schaltet das SRAM-System übrigens nicht; so kommt bei versehendlichem Antippen der Hebel kein seitlicher Druck auf die Kette.
Also los – wir treten an, beschleunigen und schalten hoch. Bis hierhin unterscheidet sich die eTap kaum von der mechanischen Red: Ein leichter Druck aufs rechte Schaltpaddel lässt die Kette wie gewohnt nach rechts wandern. Klack, klack, klack – die Powerdome-Kassette kommentiert den Gangwechsel mit ihrem satten Sound. Jener geht so geschmeidig von statten, wie man es halt kennt. Nun aber kommt die erste große Schaltneuheit: Wir tippen links, und schon liegt die Kette auf dem größeren Ritzel. Noch einmal, ein drittes Mal – ziemlich schnell hat man begriffen, wie’s funktioniert; das Ungewohnte weicht der Routine.
Da die Kette schon mal weit links liegt, schalten wir vorne hoch, indem wir beide Paddel drücken: Sanft läuft die Kette aufs große Blatt, wobei die Geschwindigkeit des Schaltvorgangs selbstverständlich von der Tretfrequenz abhängt. Und genauso geschmeidig wechselt der Gliederstrang wieder nach innen. Übrigens wurde der Umwerfer am Testrad vorbildlich eingestellt, und so können wir uns über 22 schleiffreie Gänge freuen.
Aus der Unterlenkerposition heraus lassen sich die Schalter gut erreichen, zumal sie schön lang sind. Hier zeigt sich ein großer Vorteil gegenüber der mechanischen SRAM: Bei jener gelingt es vom Lenkerbogen aus nicht unbedingt, nur mit Fingerdruck gegen die Federkraft von Schaltwerk bzw. Umwerfer anzukommen; Handgelenk oder gar Unterarm müssen eingesetzt werden.
Natürlich hätte SRAM das Schaltpaddel miniaturisieren oder ganz verschwinden lassen können – winzige Tasten am Bremshebel hätten es doch auch getan, oder? Eben nicht, denn die große Fläche im Verbund mit dem deutlichen Druckpunkt stellen eine sichere Bedienung in jeder Situation sicher – auch mit dicken Winterhandschuhen oder bei starken Erschütterungen. Diesen Teil der mechanischen DoubleTap-Hebel zu erhalten, war eine gute Idee.
„Sprint-Shifter“ am Unterlenker zu verlegen, erscheint angesichts der leichten Erreichbarkeit der Schaltpaddel nicht nötig; am Oberlenker erweisen sie sich jedoch als sehr angenehm – auch wenn sie wie am Testrad nicht ganz optimal positioniert waren. Die Drücker sind recht groß und damit leicht zu bedienen; die Kunst wird sein, sie so zu platzieren, dass man zum Schalten nur die Finger bewegen muss.
Die kleinen Akkus der Sram Red eTap passen in die Trikottasche
Mit den Akkus haben wir uns natürlich auch noch beschäftigt. Sie werden unten eingehängt und oben mit einer Lasche aus Metall festgeklickt; dabei sind sie so klein, dass man stets einen Reserveakku in der Trikottasche mitführen kann. SRAM spricht übrigens von einer Betriebszeit von 60 Stunden – mehr als zwei Mal pro Monat wird also kaum ein Akku ans Ladegerät müssen.
Das ist sie also, die revolutionäre Red eTap: eine schnell und geschmeidig arbeitende Elektroschaltung, die genau so gut funktioniert, wie sich das die Freunde der SRAM-Gruppen erträumt haben. Ins Träumen kommen kann man auch angesichts der Möglichkeiten, die sich den Rahmenherstellern durch die kabellose Schaltung bieten: Auf einen Schlag sind Bohrungen, Umlenkungen, Führungen und Anschläge überflüssig; einzig der hintere Bremszug muss im oder am Oberrohr geführt werden. Das schreit geradezu nach „eTap-only“-Rahmen – gerade kleine Hersteller mit Einzelfertigung sollten die Ohren spitzen. Knapp über 1.900 Gramm soll die komplette Gruppe wiegen; mit auf sie abgestimmten, potenziell leichteren Rahmen dürfte die eTap sehr leichte Rennmaschinen ergeben.
Der Preis der kompletten Gruppe ist mit rund 2.700 Euro erwartungsgemäß hoch, relativiert sich aber, wenn man auf die Wettbewerber schaut: Eine Dura-Ace Di2 kostet offiziell rund 3.400 Euro, eine Campagnolo Record EPS fast 3.700 Euro. Das Upgrade-Kit der Red eTap wird im Internet bereits jetzt für 1.550 Euro angeboten, ist aber noch nicht lieferbar. Interessierte Rennradfahrer müssen unter Umständen bis zum Sommer warten, bis sie sich die neuen Teile ans Rad schrauben können – was dann mangels Verkabelung ziemlich schnell gehen dürfte.
Eine hydraulische Version der eTap ist derzeit noch nicht im Gespräch – jedenfalls nicht offiziell. Zur Querfeldeinsaison 2016/17 könnte sich das ändern – ein paar Seilzüge dürfen dem Rennrad unserer Meinung nach aber ohnehin erhalten bleiben.
Fazit
Unsere Erwartungen an die Red eTap waren hoch – das System hat sie im Praxistest erfüllt, wenn nicht übertroffen. Denn die Schaltung funktioniert extrem gut, macht viel Spaß und strahlt eine Faszination aus, den die bekannten verkabelten Schaltungen nicht haben. Einmal vorausgesetzt, dass die Airea-Übertragung so sicher funktioniert wie versprochen, räumt die eTap auch in Sachen Montage, Anfälligkeit und Optik mit allen Nachteilen auf, die Schaltungen mit Bowdenzug oder Elektroleitung mit sich bringen.
Preis und Web:
- 2.691 Euro (UVP Komplettgruppe)
- www.sram.com