Nach einem harten morgendlichen Schwimmprogramm stehen fünf Stunden Radfahren auf dem Plan. Nur 15 Kilometer von unserem Wohnort entfernt soll die Zielankunft der ersten Etappe der Vuelta de Mallorca sein. Mit etwas Rechnerei lege ich unsere Trainingsrunde so, dass Markus und ich genau zur Zielankunft in Campos sind. Als wir in die Stadt kommen, ist alles ruhig. Es fühlt sich nicht nach einem großen Rennen an. Dabei sind alle großen Pro Tour Teams am Start.
Wir irren ein wenig in Campos herum und plötzlich stehen wir vor einer Straßensperre. 200 Meter weiter hinten lugt der erste Teambus um die Ecke. Und gleich dahinter schon der Zielbereich mit all den Leuten, die wir in der Stadt vermisst haben, eine riesige Zuschauermenge. Alle sind schon ganz aufgeregt. Der Lärmpegel steigt durch Polizei, Führungsfahrzeuge und Hubschrauber immer weiter an. Zehn Minuten stehen wir da und erwarten jede Sekunde das Feld. Wusch… in 2sec schießt die Spitzengruppe vorbei. Die Jungs sprinten um den Tagessieg. Die Geschwindigkeit ist unglaublich. Wahnsinn!
Die restlichen Fahrer rollen langsam in den Zielkanal ein. Die Teamautos schlängeln sich an uns vorbei. Auf einmal winkt einer aus dem Cofidis-Auto – das ist doch der Mechaniker aus unserem Ort, unser Freund Toni! Wie kommt der ins Begleitfahrzeug von Cofidis?
Wir begeben uns auf den Rückweg. Wir müssen ja selbst trainieren und können nicht den ganzen Tag Radrennen schauen. Ein paar Kilometer müssen wir noch fahren, Plan ist Plan, sonst gibt’s Probleme mit dem Coach. Der Weg aus der Stadt heraus führt uns durch das Fahrerlager. Dort sehen wir den Bus von Lotto stehen. Wir denken uns: Vielleicht haben wir Glück und bekommen ein Foto mit André Greipel. Nur leider sitzt der schon im Teambus. Da kommt Toni auf uns zu und wir wollen natürlich sofort wissen, wie er es ins Begleitfahrzeug von Cofidis geschafft hat. Langsam wird es frisch. Wir müssen weiter. Aber Markus hat bemerkt, dass die Jungs von Lotto alle wieder aus dem Bus raus und auf dem Weg zu ihren Rädern sind. Natürlich traut sich keiner der beiden. Sie schicken mich vor, um André um ein gemeinsames Foto zu bitten. Leider wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht, dass der Tag für ihn nicht so verlaufen war wie erhofft. Wir standen ja 100m vor der Ziellinie und konnten die genaue Rangfolge der Fahrer im Ziel nicht sehen. Aber trotz der spürbaren Enttäuschung haben wir am Ende doch noch ein schönes Foto mit ihm bekommen.
Glücklich über das Erlebte radeln wir nach Hause. Der Tritt fühlt sich gleich leichter an. In Gedanken vergleiche ich Radsport mit Triathlon. Der Radsport ist ein Teil von mir. Über den Radsport bin ich zum Triathlon gekommen. Als Teenie saß ich vorm Fernseher und habe jede Tour de France-Etappe um Ulrich und Armstrong verfolgt. Auch wenn der Radsport durch die vielen Dopingaffären an Strahlkraft verloren hat oder hatte – ohne diese Live-Übertragungen wäre ich heute keine Triathletin. Und vorhin die Zielankunft, die Anspannung der Zuschauer, das Flirren in der Luft, die irrsinnige Geschwindigkeit der Spitzengruppe, das war einfach packend, mitreißend, aufregend! Ich bin immer noch ganz geflasht.
Was ist härter? Profi-Radsport oder Profi-Triathlon? Ich kenne beide Seiten, aber die Frage kann ich nur schwer beantworten. Die Ironman-Distanz ist für mich härter als ein eintägiges Radrennen. Aber die Vorstellung, bei einem Etappenrennen über zwei oder drei Wochen lang jeden Tag im Sattel zu sitzen, jeden Tag ein Rennen zu fahren, jeden Tag ans Limit zu gehen, jeden Tag mit Stürzen oder der Gefahr zu stürzen konfrontiert zu sein, diese Vorstellung lässt mich erschauern.
Die Sonne scheint wieder warm. Und durch den Rückenwind, der uns nach Hause trägt, werden auch meine Gedanken fortgetragen. Meine Aufregung legt sich allmählich. Das Herz voller Eindrücke, Wind und Sonne kommen wir daheim an.
Abends gibt es selbstgemachte Calamari, mit Zitrone und Mayonnaise, eins meiner Lieblingsgerichte. Ein würdiger Abschluss für so einen grandiosen Tag!