Test: Auch von der Stange passt der eigentlich auf Maß gebaute Italiener wie angegossen. So macht sich das steife, ausgewogene Ivor auf Anhieb Freunde.
Das Italien der 1990er Jahre muss sich in Sachen Radsporttechnik durchaus als Modernisierungsverlierer bezeichnen lassen. Als US-Firmen wie Cannondale das Land zwischen den Meeren eroberten und als Sponsor einheimischer Profiteam Furore machten, schauten die Traditionshersteller, die die Welt Jahrzehnte lang mit edlen Stahlrahmen beglückt hatten, nur tatenlos zu. Innovative Firmen wie Colnago, bei Carbonrahmen ganz vorn dabei, waren für die Masse der Radler zu teuer, und als die maschinenbautechnisch ausgerichteten deutschen Anbieter mit ihrem Fokus auf Leichtgewicht und Steifigkeit nach oben kamen, war’s auch um das Exportgeschäft der Italiener geschehen. Inzwischen haben die Marken von Basso bis Wilier längst eigene, hochwertige Carbonrahmen im Sortiment, doch die große Zeit der italienischen Rennräder ist vorbei.
Viele Italiener machten jedoch aus der Not eine Tugend, zogen sich aus dem Massengeschäft zurück und konzentrierten sich auf Qualität und Individualismus. Manche fertigen Maßrahmen, die unter anderem Logo verkauft werden, andere führen ihre Tradition unter eigenem Namen fort – so wie Scapin.
Das Rheinland, Mitte Februar: Der Karneval liegt hinter uns, nun gilt es, die tristen Wochen bis zum Frühlingsanfang durchzustehen. Schwere Wolken liegen überm Land, kaum wird es mal fünf Grad. Doch dann reißen die Wolken plötzlich auf, für einen Moment zeigt sich die Sonne. Die Straßen trocknen ab, das Thermometer zeigt knapp zweistellige Werte an, und eine Ahnung von Frühling liegt in der Luft. Heute reichen dünne Handschuhe und die Rennmütze unterm Helm, und wir fühlen uns auf die andere Seite der Alpen versetzt – nach Norditalien, wo Tage wie dieser jetzt schon die Regel sind.
Unser Rad passt jedenfalls zum Wetter: ein Scapin Ivor mit Dura-Ace-Ausstattung, Carbon-Anbauteilen und Ksyrium SLS. Der in Venezien angesiedelte Hersteller, gegründet 1957, mag nicht mehr unabhängig sein, seiner Philosophie ist er jedoch treu geblieben: Neben günstigeren Monocoque-Carbonrädern bietet Scapin mit dem Ivor ein Modell an, das nur auf Maß gefertigt erhältlich ist und in Tube-to-tube-Bauweise im eigenen Werk entsteht. Das mag antiquiert klingen angesichts der ausgereiften Seriengeometrien, mit denen sich sogar viele der weltbesten Rennfahrer zufriedengeben. Doch warum nicht individuelle Wünsche in Sachen Sitzposition und Lenkverhalten umsetzen? Zumal man beim Ivor keine Kompromisse eingehen muss: Der Rahmen ist absolut sauber und professionell gefertigt und wird in etlichen Farbvarianten geliefert, das Rahmengewicht um 1.110 Gramm, wie vom Hersteller angegeben, ist angesichts der Aero-Anmutung nicht zu hoch. Mit innenliegenden Zügen und PressFit-Tretlager, dem überbreite Rahmenrohre entspringen, ist das Ivor außerdem topaktuell. Ein schönes Detail ist der Übergang von der Gabel zum Steuerrohr; beide Bauteile weisen dieselbe ungewöhnliche Kontur auf.
Ein Maßrahmen mit Seriengeometrie ist im Grunde ein Widerspruch, beweist aber in diesem Fall: Selbst ohne einen ganz bestimmten Nutzer und dessen Wünsche und Körpermaße im Sinn können die Italiener einen Rahmen fertigen, der sich einfach nur angenehm fahren lässt. Etwas gestreckt nimmt man auf dem Ivor Platz, registriert erst einmal die gute Beschleunigung, die auf eine hohe Rahmensteifigkeit hindeutet. Die Lenkung ist neutral und ausgewogen, dabei weder im Wiegetritt noch bei hohem Tempo träge; auf schnellen Abfahrten fühlt man sich auf dem Rad sofort sicher, ganz ohne Eingewöhnungsphase. Trotz der flachen Sattelstütze und der Aerogabel ist das Ivor nicht unkomfortabel; auch auf Naturwegen dringen Stöße nicht zu stark zum Fahrer durch. Nebenbei gesagt erlaubt der Rahmen die Montage von 28er Reifen – nicht unbedingt zu erwarten, aber praktisch, wenn der Asphalt rau ist. Positiv hervorheben kann man auch die Aluminium-Verstärkung des linken Ausfallendes.
Zum Aero-Trimm des Rahmens wollen die Mavic Ksyrium SLS nicht unbedingt passen; steif und leicht wie sie sind, hat man freilich nicht das Gefühl, sie würden die Fahrt auf dem Ivor langsamer machen. Ohnehin kann man das Rad individuell komplettieren und andere Anbauteile, Komponenten und Laufräder wählen.
Ohne Pedale und mit Flaschenhalter wiegt unser Testrad übrigens genau 7,08 Kilo – kein zu hoher Wert, auch nicht im Preisbereich um 5.000 bis 6.000 Euro. In dieser Liga spielt das Ivor nämlich je nach Bestückung; das Rahmenset wird mit rund 3.000 Euro gehandelt.
Etwas diffizil ist einzig die Sattelklemmschelle mit den zwei dünnen, per 3er Inbus bedienten M5-Schrauben. Für sicheren Halt im Rohr muss die Stütze mit extra grober Carbonpaste behandelt werden (FSA); die Schrauben dürfen keinesfalls zu fest angezogen werden, da sie sonst reißen können oder der Innensechskant rundgedreht wird. Wenn hier nachgebessert wird, spricht wirklich gar nichts gegen, aber sehr viel für den angenehmen Norditaliener.
Fazit
Dürfte man das steife, ausgewogene und recht leichte Ivor behalten, könnte eine enge Freundschaft entstehen. Doch auch nach eher flüchtiger Begegnung bleibt ein angenehm vertrautes Gefühl zurück…
Produkt-Highlights
- Rahmen wird auf Maß gefertigt
- Sehr ausgewogenes Fahrverhalten
- Hochwertige Komponenten
Preis und Web
- Rahmenset ca. 3.000 Euro
- www.scapin.com