Radsport: Nach zwei Etappensiegen von Mark Cavendish (Dimension Data) und einem Erfolg von Weltmeister Peter Sagan (Tinkoff) warten die deutschen Radsportler noch auf den ersten deutschen Sieg bei der diesjährigen Tour de France. Eine weitere Chance darauf bietet sich auf der heutigen 4. Etappe förmlich an. Die welligen 50 Schlusskilometer und die ansteigende Zielgerade scheinen vor allem John Degenkolb (Giant-Alpecin) wie auf den Leib geschnitten zu sein.
Puncheur vs. Sprinter
In diesem Jahr präsentiert sich die Tour de France ausgesprochen abwechslungsreich. Während wir auf der 1. Etappe einen klassischen Massensprint beobachten konnten, war die 2. Etappe etwas für Puncheur. Auf dem gestrigen dritten Teilstück wurde es den Fahrern erneut nicht ganz so einfach gemacht. Durch eine Rechtskurve 300 m vor dem Ziel und die leicht ansteigenden letzten Meter war vor allem das Positionsfahren gefragt. André Greipel vom Team Lotto Soudal wurde hervorragend von Teamkollege Greg Henderson platziert, ebenso wie Mark Cavendish vom Team Dimension Data von Mark Renshaw pilotiert wurde. Nicht funktioniert hat es hingegen beim Team Etixx-Quick Step um Marcel Kittel. Heute könnte es auf der 4. Etappe erneut ähnlich kommen wie zwei Tage zuvor, denn die letzten Kilometer sind alles andere als einfach und die letzten rund 500 Meter bis zur Ziellinie bevorzugen eher die Puncheur statt die reinen Sprinter. Cavendish, Greipel und Kittel können also nicht sicher mit einem klassischen Massensprint planen. Doch die Deutschen haben dennoch ein heißes Eisen im Feuer.
Die erste Chance für John Degenkolb
Fünfmal wurde John Degenkolb bei der Tour de France bereits Etappenzweiter. Auf einen Sieg wartet er bis heute. Dass er Massensprints bei großen Rundfahrten durchaus gewinnen kann, hat er aber bereits bewiesen. Bei der Vuelta a España gewann er zehn Etappen. Doch wenn die besten Sprinter der Welt am Start stehen, gehört John Degenkolb nicht zu den Topfavoriten. Der 27-Jährige bevorzugt ein etwas anspruchsvolleres Profil. Eine ansteigende Zielgerade und eine wellige Streckenführung zuvor rücken einen John Degenkolb dafür umso mehr in die Favoritenrolle. Wenn es für die reinen Sprinter wie Cavendish, Greipel und Kittel etwas zu schwer wird, gleichzeitig aber für Fahrer wie Julian Alaphilippe (Etixx-Quick Step), Alejandro Valverde (Movistar) oder Alexis Vuillermoz (Ag2r) zu leicht, dann befinden wir uns genau in dem Bereich von John Degenkolb. Doch in diesem Bereich ist der Deutsche selbstverständlich nicht allein Zuhause. Seine heutigen Gegner sind allesamt bekannt und konnten bereits große Erfolge in ihrer Karriere feiern.
Die fabelhafte Welt der Puncheur
Es ist kein Zufall, dass die Puncheur allesamt bereits große Erfolge feiern konnten. Diese Fahrertypen sind besonders gefragt, da sie auf vielen verschiedenen Profilen gute Ergebnisse einfahren können. Nehmen wir als Beispiel den aktuellen Weltmeister und Träger des Gelben Trikots. Peter Sagan gewann bereits Etappen bei der Tour de France und der Vuelta a España. Dabei handelte es sich um Flachetappen, Hügeletappen und Bergetappen. In diesem Jahr überquerte er außerdem bei der Ronde van Vlaanderen als erster die Ziellinie bei einem Eintagesklassiker mit vielen Kopfsteinpflaster-Passagen. Sogar kurze Zeitfahren hat der Slowake schon erfolgreich beendet. Auch Michael Matthews (Orica-BikeExchange) konnte in diesem Jahr bereits einen Prolog für sich entscheiden. Bei Massensprints und hügeligen Ankünften war er sowohl bei großen Landesrundfahrten als auch bei einwöchigen Etappenrennen siegreich. Die beiden Norweger Edvald Boasson-Hagen (Dimension Data) und das heutige Geburtstagskind Alexander Kristoff (Katusha) sind heute ebenfalls zu den Favoriten zu zählen. In ihrem Palmarè findet man ebenso Siege auf dem unterschiedlichsten Terrain wie Kopfsteinpflaster, Flachetappen und hügeligen Rennen. Greg Van Avermaet (BMC) ist seit Jahren einer der stärksten Fahrer des Pelotons, nur fehlen ihm am Ende oft die letzten Zentimeter für den ganz großen Sieg. John Degenkolb hat diese bereits gefeiert, als er im vergangenen Jahr sowohl Milan-San Remo als auch Paris-Roubaix sensationell für sich entscheiden konnte.
Die Fahrer machen das Rennen
Häufig wird im Vorfeld eines Rennens über die möglichen Favoriten spekuliert, doch letztendlich machen die Fahrer selbst das Rennen. Das Profil kann höchstens den Weg für mögliche Taktiken ebnen, doch gewählt werden müssen diese dann individuell von den jeweiligen Fahrern und Teams. Sollten es sich heute die Teams der Puncheur felsenfest zum Ziel setzen, die reinen Sprinter vor dem Finale zu distanzieren, dann sollten diese reinen Sprinter auch keine Chancen auf den Etappensieg haben. Wird das Finale richtig hart gefahren, dann könnten am Ende auch Fahrer wie beispielsweise Alejandro Valverde oder Julian Alaphilippe triumphieren. Im Normalfall ist aber die goldene Mitte zu erwarten, so dass wir die oben genannten Puncheur im direkten Kampf gegeneinander sehen dürften. Als Topfavorit geht natürlich erneut Peter Sagan ins Rennen, doch unsere deutsche Hoffnung John Degenkolb wird sich diese Etappe mit Sicherheit ausgesucht haben, um zum ersten Mal so richtig in den Sprint um den Tagessieg mit einzugreifen.