Test: Im vergangenen Jahr präsentierte Scott sein neues Genius. Der etablierte Trail-Allrounder bekam einen komplett neuen Rahmen – festgehalten wurde am TwinLoc Fahrwerk. Wir hatten nun die Chance, das Rad über einen längeren Zeitraum ausführlich zu testen. Wird das Scott Genius seinem Ruf gerecht?
Scott Genius 930 – Der Rahmen
Das neue Scott Genius kommt – wie in unserem Fall – sowohl mit Rahmen aus Aluminium, als auch in zwei verschiedenen Carbonvarianten: Bei den Topmodellen Genius 700/900 Tuned und 700 Ultimate bestehen Hauptrahmen und Hinterbau aus dem sehr leichten HMX Carbonlayup – damit soll das Rahmengewicht unter 2.300g bleiben. Die günstigeren Carbonmodelle kombinieren einen HMF Carbon Hauptrahmen mit einem Hinterbau aus Aluminium und dürften damit das eine oder andere Gramm mehr auf die Waage bringen.
Bezüglich der Laufradgröße muss man sich beim Scott Genius nur ein einziges mal festlegen – beim Kauf. Danach hat man die freie Wahl. Im Klartext heißt das: Alle Ausstattungsvarianten werden sowohl mit 29 Zoll Laufrädern als auch mit 27,5+ Bereifung angeboten. Den Rahmen teilen sich die jeweiligen Modelle. Möglich wird diese Flexibilität durch einen Flipchip an der Dämpferaufnahme, über den sich die Geometrie auf den geringfügig anderen Umfang der verschiedenen Reifen anpassen lässt. Wer sich also beispielsweise für die 29 Zoll Variante entscheidet, kann später problemlos auch 27,5+ Laufräder fahren – umgekehrt gilt das ebenso.
Für das Jahr 2018 hat man sich wie eingangs bereits erwähnt komplett vom bisherigen Genius Rahmen verabschiedet und schickt ein komplett neu konstruiertes Bike ins Rennen. Auf den ersten Blick ähnelt der Rahmen dem des ebenfalls im vorigen Jahr neu vorgestellten Spark, das eher im Marathon- und XC-Zirkus zu Hause ist. Die Gemeinsamkeiten der beiden Räder sind aber zunächst einmal optischer Natur, denn beim eingesetzten Hinterbausystem gibt es einen entscheidenden Unterschied: Während das Spark ein abgestützter Eingelenker ist, verbaut Scott beim 2018er Genius einen Horst Link an der Hinterradachse und macht es damit zu einem echten Viergelenker. So bekommen die Konstrukteure mehr Spielraum, die Kinematik über den gesamten Federweg hinweg möglichst effizient zu gestalten.
Scott Genius 930 Geometrie
S | M | L | XL | |
Sitzrohr (in mm) | 410 | 440 | 480 | 520 |
Oberrohr horizontal (in mm) | 569 | 602 | 633 | 670 |
Steuerrohr (in mm) | 95 | 95 | 110 | 125 |
Kettenstrebe (in mm) | 438 | 438 | 438 | 438 |
Radstand (in mm) | 1165 | 1199 | 1232 | 1271 |
Lenkwinkel (in °) | 65 | 65 | 65 | 65 |
Sitzwinkel (in °) | 74.7 | 74.7 | 74.7 | 74.7 |
Reach (in mm) | 405 | 439 | 466 | 499 |
Stack (in mm) | 599 | 600 | 613 | 627 |
Scott Genius 930 – TwinLoc: Spielerei oder Gamechanger?
Mit seinem TwinLoc System hat Scott schon seit einigen Jahren ein einzigartiges Feature an seinen Rädern, das in dieser Form auf dem Fahrradmarkt einzigartig ist. Über einen Hebel am Lenker lässt sich das gesamte Fahrwerk – Gabel und Dämpfer – in drei Modi versetzen: Descend, Traction und Lockout. Moment mal – dass man Dämpfer und Gabel mit einem einzigen Hebel ansteuern kann, ist doch kein Scott-spezifisches Feature? Dieser Gedanke mag jetzt dem einen oder anderen durch den Kopf huschen. Das ist natürlich so auch korrekt, aber das TwinLoc System kann mehr als einen schnöden Lockout zu betätigen oder die Druckstufendämpfung zu verändern.
Ohne nun an dieser Stelle allzu sehr ins Detail gehen zu wollen: Gabel so wie Dämpfer sind speziell auf TwinLoc ausgelegt und besitzen mehrere Luftkammern, die sich beim Betätigen der Lenker-Remote öffnen bzw. schließen. Im Klartext bedeutet das – im offenen Descend Mode stellen Dämpfer und Federgabel die vollen 150mm Federweg zu Verfügung, im Traction Mode wird dieser auf 110mm reduziert und der Lockout sperrt das gesamte Fahrwerk für maximale Effizienz.
Wo liegt also der Vorteil dieses technisch durchaus ziemlich aufwändigen Systems gegenüber bekannten „Plattform“-Einstellungen, wie man sie seit vielen Jahren von verschiedenen Federelementen kennt? Bei letzteren erhält man ein strafferes Fahrwerk durch eine stärkere Druckstufendämpfung – der Federweg wird, vereinfacht gesagt, einfach schwerer bzw. langsamer freigegeben. Im Gegensatz dazu ändert sich bei TwinLoc Elementen auch die Federkennlinie oder die Zugstufendämpfung. Während sich ein 150mm Rad im Plattform Modus also eher anfühlt wie ein strafferes 150mm Bike, soll sich das Genius im Traction Mode anfühlen, wie ein Rad mit echten 110mm Federweg.
Scott Genius 930 – Die Ausstattung: 2-fach Antrieb und solides Gesamtpaket
Rahmen | Genius Alloy SL 6011 |
Federgabel | Fox 34 Float Performance |
Dämpfer | Fox Nude EVOL Trunnion |
Laufräder | Syncros TR 2.5 CL |
Reifen VR | Schwalbe Nobby Nic SpeedGrip 2.6 |
Reifen HR | Schwalbe Nobby Nic SpeedGrip 2.6 |
Schaltwerk | Shimano XT |
Schalthebel | Shimano XT |
Kurbel | Shimano XT |
Umwerfer | Shimano XT |
Bremse | Shimano SLX |
Bremsscheiben | Shimano RT64 180/180 |
Sattelstütze | Fox Transfer 150mm |
Sattel | Syncros XM 2.0 |
Vorbau | Syncros FL 1.5 |
Lenker | Syncros FL 1.5 760mm |
Knapp 4.000€ kostet das Scott Genius 930. Dafür bekommt man den angesprochenen Rahmen aus Aluminium samt TwinLoc System und eine – um es an dieser Stelle vorwegzunehmen – durchweg solide, aber nicht edle Ausstattung. Spannend ist das Fahrwerk, da eben dieses auch mit der speziellen Lenkerremote harmonieren muss. Im Steuerrohr steckt eine Fox 34 Float Performance Federgabel, die im offenen Modus wie auch der Fox Nude EVOL Dämpfer im Hinterbau 150mm Federweg zu Verfügung stellt.
Der eine oder andere wird sich an einem 150mm 29er eher eine bullige Fox 36 wünschen – hier sind wir auch schon an einem Punkt, der sich durch die ganze Ausstattung zieht: Das neue Genius ist wie schon seine Vorgänger ein Bike, das sich ständig im Grenzbereich der inzwischen unzähligen Bike-Kategorien bewegt. Mal gutmütiger Tourer, mal effiziente Bergziege, mal wildes Enduro: So willkommen diese Vielseitigkeit bei den Fahrern sein mag, so schwierig ist sie für den Hersteller zu händeln. So legt Scott hier eine meist gelungene Gratwanderung hin und unserer Meinung nach passt die 34er Fox auch sehr gut zum Rad – zumal sie bezüglich ihrer Performance die Lücke zur 36 immer mehr schließen konnte.
Beim Antrieb setzt Scott für sein Alu-Topmodell auf einen 2-fach XT Antrieb. Das ist durchaus bemerkenswert, schließlich geraten Umwerfer an Rädern in dieser Federwegsklasse immer mehr zur Seltenheit. Die Kettenblattkombination aus 24 und 34 ergibt mit der 11-42er Kassette jedoch eine riesige Bandbreite von 541%, die auch modernsten 1-fach Antrieben noch ein paar Prozente voraus hat. Für alle, die diese große Bandbreite und kleine Gangsprünge nicht missen möchten, ist das Genius 930 eine gute Wahl. One-By Fans finden mit dem Genius 940 auch eine Alu-Variante mit GX Eagle Antrieb. Ein Nachteil von 2-fach Antrieben ist der zusätzliche Schalthebel am Lenker – dieser Umstand wiegt am Genius besonders schwer, da hier wegen der TwinLoc Remote ohnehin schon recht beengte Platzverhältnisse herrschen.
Auch die Bremsen kommen aus dem Hause Shimano: Statt der XT-Variante ist jedoch ’nur‘ eine SLX M7000 verbaut. Da diese unserer Erfahrung nach jedoch sowohl bei der Bremskraft als auch bei Ergonomie und Fadingresistenz auf dem Niveau ihres teureren XT Pendants liegt, ist dies nicht als Nachteil zu werten – die wenigen Gramm Mehrgewicht halten wir für vernachlässigbar. Kombiniert wird die Bremse vorn und hinten mit 180mm Scheiben. Großen und schweren Abfahrts-Fans mag die Scheibe am Vorderrad etwas zu klein sein – für die meisten Anwendungsbereiche sollte sie aber mehr als ausreichen.
Ein durchaus interessanter Punkt sind Laufräder und Reifen: Auf den hauseigenen Syncros Laufrädern mit breiten 30mm Felgen ist vorn und hinten Schwalbes Allrounder Nobby Nic montiert. Soweit, so unspektakulär. Interessant wird es bei der Reifenbreite: Mit satten 2,6″ bewegen sich diese nämlich schon im Grenzbereich zum Plusbereich und sind nicht nur optisch ganz schön wuchtig, sondern bringen natürlich auch ein paar Gramm mehr auf die Waage als beispielsweise herkömmliche 2,35″ Pneus. Scott empfiehlt übrigens für 29 Zoll Reifenbreiten zwischen 2,4 und 2,6 Zoll, bei 27,5 Zoll 2,5 bis 2,8 Zoll.
Die übrigen Anbauteile kommen mit Ausnahme der Fox Transfer Variostütze von Syncros: Im kurzen Vorbau ist ein Low Riser mit 760mm Breite montiert. Im Lockring der Griffe ist übrigens die TwinLoc Remote integriert. Aber keine Sorge: Wer seine eigenen Griffe montieren möchte, findet beim Zubehör des Genius eine kleine Plastikschelle, mit der sich die Remote auch einzeln am Lenker arretieren lässt.
Scott Genius 930 – Auf dem Trail
Wir durften das Scott Genius 930 über einige Monate ausführlich testen und konnten damit die versprochene Vielseitigkeit auf einen echten Prüfstand stellen. Von nass-gefrorenen Trails im kühlen Alpenvorland bis hin zu staubig-felsigen Geröllpisten im Vinschgau, von entspannten Shuttle-Fahrten am Gardasee bis zu zähen Uphills war so ziemlich alles dabei, was den Stempel „Mountainbiken“ tragen darf.
Mit etwas über 14,5kg ohne Pedale ist unser Testrad in Größe L ganz gewiss kein Leichtgewicht. Das liegt einerseits natürlich an den fetten Reifen (mit einem Umbau auf Tubeless lassen sich einige Gramm einsparen), andererseits am 2-fach Antrieb und drittens … habe ich vom hohen Gewicht in der Praxis rein gar nichts bemerkt! Weder beim Antritt in der Ebene noch beim Uphill fühlte sich das Genius irgendwie träge an. Klar, man darf es nicht mit Highend Leichtbau Racern vergleichen – aber hätte mir jemand erzählt, das Genius würde 13kg wiegen – auch das hätte ich geglaubt.
Ganz ehrlich: Eigentlich bin ich kein Freund von Systemen wie Scotts TwinLoc. Moderne Fahrwerke funktionieren im Zusammenspiel mit den neuen Geometrien meist so gut, dass ich derartige Funktionen oft eher als „unnötige Spielerei“ abtue. So sehr ich mich auch bemüht habe: Ganz unvoreingenommen bin ich auch an das Genius nicht herangegangen, denn der Anblick des überladenen Lenkers ließ mich die Nase rümpfen. Die ersten kurzen Einrollfahrten mit regelmäßigem Betätigen des TwinLoc Hebels lösten meine Zweifel an der Sinnhaftigkeit zwar nicht ganz in Luft auf, aber brachte meine Skepsis doch ordentlich ins Wanken. Die Veränderung im Fahrwerk ist sofort deutlich spürbar und beeinflusst die gesamte Charakteristik des Bikes.
Nach einigen ausführlicheren Trailtouren war meine Skepsis dann tatsächlich komplett verflogen. Besonders der Traction Mode hat es mir angetan: Das Rad wird spürbar spritziger, antrittstärker und steht höher im Federweg. Letzteres kam mir vor allem in technischen Uphill-Passagen entgegen, da es mir die zusätzliche Bodenfreiheit ermöglichte, in Passagen zu Kurbeln, wo ich bei anderen Rädern schon längst mit den Pedalen an Wurzeln oder Steinen hängen geblieben wäre. Geht’s dann wieder nach unten genügt ein kurzer Druck auf die TwinLoc Remote, die vollen 150mm werden freigegeben, das Bike liegt tiefer und man kann es krachen lassen.
Ohnehin ist die Remote selbst sehr gelungen: Die drei Einstellungen rasten sauber mit einem spür- und hörbaren Klick ein und die Bedienung geht nach einigen Minuten schon in Fleisch und Blut über. So ergonomisch der Hebel selbst aber auch gestaltet sein mag – der Lenker ist mit drei Bedienhebeln pro Seite schon sehr voll und das Handling gewöhnungsbedürftig.
Der komplette Lockout kam während des Tests nur in Ausnahmefällen (Beispiel: 1000hm auf Asphalt) zum Einsatz. Das Genius arbeitet bereits im Traction Mode derart effizient, dass der Zugewinn durch den kompletten Lockout recht gering ausfällt. Zudem sind die Federelemente hier wirklich komplett blockiert und nur auf Straße oder guten Schotterwegen sinnvoll nutzbar.
Bergab ergeben das schluckfreudige und ausgewogene Fahrwerk und die progressive Geometrie eine explosive Mischung, die bei Fahrspaß und Speed auch Vollblut-Enduros Konkurrenz machen dürfte. Auch wirklich grobes Gelände macht dem Genius keinerlei Probleme: Ihren Anteil haben hier sicherlich auch die 2,6er Nobby Nics die sich gerade in dieser Breite auch auf Enduro-Tracks zuhause fühlen. Wenn es nass wird und der Boden etwas tiefer wird, kommt der Reifen am Vorderrad jedoch irgendwann an seine Grenzen.
Zur sonstigen Ausstattung gibt es nicht viel zu sagen, außer: Unauffällig – im positiven Sinne. Die Schaltung funktioniert gewohnt gut, die Kette wechselt vorn und hinten zügig und ohne Rasseln Kettenblätter bzw. Ritzel. Ja, die Geräuschkulisse ist wegen des Umwerfers etwas höher als bei One-By Setups: Dafür hatten wir bei zählen Anstiegen noch einen entspannten Granny-Gear in der Hinterhand. Die Bremsen waren für unsere 85kg jederzeit ausreichend und kamen auch auf langen Trails nicht an ihre Grenzen – trotz der kleinen Scheibe am Vorderrad.