MTB-News: Wir waren zu Besuch bei Magura in Bad Urach. Auf der beschaulichen Schwäbischen Alb konnten wir unter anderem den Prototypen Bremshebel testen, der eigens für den zweifachen Downhill-Weltmeister Loic Bruni angefertigt wurde.
Scheibenbremsen gehören nun schon seit vielen Jahren fest zum modernen Mountainbike, daran gibt es keinen Zweifel. Vom Gelegenheitsradler bis zum mehrfachen Weltmeister vertrauen alle Geländefahrer inzwischen auf die kräftigen, von der Witterung und anderen äußeren Einflüssen nahezu unbeeindruckten Stopper. Magura gehört schon seit den ersten Stunden dieser Entwicklung zu den Innovatoren. Der Gedanke an die altehrwürdigen Gustav M, Louise oder Clara dürften die Herzen von so manchem MTB-Fan höher schlagen lassen.
In jüngster Vergangenheit konnte sich Magura mit der MT-Serie nach einer vorübergehenden Durststrecke in den Jahren zuvor wieder mit an der Spitze der Entwicklung platzieren. Von der ultraleichten MT8 bis zum brutalen Downhill-Anker MT7, von der Einstiegsbremse MT2 bis zu edlen Sondereditionen mit Carbonhebel – Auswahl an Modellen gibt es mehr als genug.
Denkt man über unterschiedliche Scheibenbremsen für’s Mountainbike nach, landet man gedanklich unweigerlich zuerst bei der benötigten Power: Klar, während eines Marathons werden die Bremsen anders beansprucht als während eines Downhill- oder Enduro-Rennens. Erfahrene Biker wissen jedoch: Power ist nicht alles. Dosierbarkeit und Gewicht stehen bei vielen Fahrern ebenso auf dem Lastenheft. All diese Faktoren lassen sich ganz gut anhand des Streckenprofils, des Fahrkönnens und des Systemgewichts bestimmen. Ein deutlich komplexerer Punkt betrifft die Ergonomie der Bremse. Auch wenn diese in vielen Fällen vernachlässigt wird, hat sie doch maßgeblichen Einfluss auf die Hand- und Griffposition am Lenker, auf Komfort, Bremsgefühl und Ausdauer. Aber: Jeder Fahrer, jede Fahrerin hat andere Hände, eine eigene Sitzposition und auch eigene Vorlieben. Aus Herstellersicht also ein schwieriges Unterfangen. Magura stellt sich mit seinem #customizeyourbrake Ansatz dieser Herausforderung.
Gedanken um die Ergonomie der hauseigenen Bremsen und Hebel macht man sich bei Magura schon seit einiger Zeit: 2016 brachte man einen optionalen 1-Finger Hebel auf den Markt, wenige Monate später folgte mit dem HC3 Hebel eine individuell justierbare Variante, die gemeinsam mit Magura-Athlet Danny MacAskill entwickelt wurde. Seit Beginn dieses Jahres arbeitet man zudem auch mit den Specialized Factory Teams in den Bereichen Downhill und XC zusammen: Einer der Athleten ist Downhill-Weltmeister Loic Bruni, der sein Regenbogentrikot erst kürzlich in Lenzerheide verteidigen konnte.
Was nicht passt wird passend gemacht: Ein Hebel für den Weltmeister
Noch vor dem ersten Saisonrennen im Frühjahr absolvierte Loic etliche Testrunden mit seinem neuen Material – darunter auch die Magura Bremsen. Das Feedback an die Entwickler: Tolle Bremse, aber die Hebelergonomie war nicht ganz nach seinem Geschmack. Der Hintergrund: Obwohl die Hände des 24-jährigen durchschnittlich groß sind, bevorzugt er eine extreme Hebelposition. Der Druckpunkt soll dabei möglichst weit weg vom Lenker liegen, außerdem wollte Loic ein digitales Bremsgefühl. Beide Vorlieben eigentlich nicht das, wofür Magura Bremsen bekannt sind. Also war die Entwicklungsabteilung gefragt!
In den folgenden Gesprächen mit den Magura-Entwicklern entstand eine Vorstellung davon, wie Loics perfekter Hebel aussehen könnte: Beim Abendessen verlieh er seiner Vorstellung Konturen, indem er auf einer Serviette eine Skizze seines Wunschhebels anfertigte. Diese Skizze landete auf dem Schreibtisch von Magura-Entwicklungsingenieur Reiner Künstle. Das Ziel: Loic soll „seinen“ Hebel bekommen. Das Problem: Die Zeit drängte, die ersten Saisonrennen standen unmittelbar bevor. Um sich ausgehend von der Skizze an die finale Form anzunähern, kam Künstle auf die Idee des sogenannten „Loic-O-mat“: Ein Bremshebel mit Trägereinheit aus Metall, auf die individuelle Formen aus dem 3D-Drucker geschraubt werden, die sich schnell und günstig produzieren lassen und nicht maßgeblich für die Stabilität erforderlich sind.
War Loics finale Wunschform gefunden, produzierte man diese per Titan-3D-Druck: Aufwändig und teuer, jedoch konnte man dem Weltmeister so sehr schnell die Hebel zu Verfügung stellen und sich auch der Stabilität sicher sein. Dieser Hebel war so die ganze Saison im Einsatz – natürlich auch beim siegreichen WM-Run. Der Loic-O-mat verstaubt seither jedoch nicht in irgendeiner dunklen Schreibtisch-Schublade in der Entwicklungsabteilung, sondern wird weiter fleißig eingesetzt: Von den anderen Specialized Teamfahrern, von den Magura Mitarbeitern und einigen weiteren Testfahrern. Inzwischen hat man über ein Dutzend verschiedene 3D-Druck-Aufsätze und versucht so, mehr über die individuellen Ansprüche der Fahrer und Fahrerinnen zu lernen.
Selbst in der Hand: Der Bremshebel des Weltmeisters im Test
So viel Theater um einen Bremshebel? Lohnt sich das? Spüren das nur die Profis, die tagtäglich mehrere Stunden auf ihrem Rad verbringen, oder macht eine solche Anpassung auch für den Otto-Normal-Biker Sinn? Dieser Frage hieß es auf den Grund zu gehen. Direkt bei Magura vor der Haustüre in Bad Urach bekamen wir Gelegenheit, die verschiedenen Bremshebel und die Unterschiede selbst zu erfahren. Ex-XC-Bundesliga-Fahrer Dominik Voss, der sich bei Magura inzwischen um das Marketing kümmert, stand uns mit Rat und Tat zur Seite und führte uns über den Haustrail der Magura-Mitarbeiter, der die Bremsscheiben das eine oder andere Mal zum Glühen und die Beläge zum Rauchen brachte.
Ich muss dabei zugeben: In der Vergangenheit ging es mir ein wenig wie Loic – die Ergonomie der Magura-Bremsen war nicht so recht mein Fall. Ich habe lange Finger und fahre den Druckpunkt gerne möglichst weit entfernt vom Lenker. Die ersten beiden Fahrten mit dem bekannten HC3 Hebel waren für mich also entsprechend gewöhnungsbedürftig: Die MT1893 (baugleich der MT7) brachte mehr als genügend Power und Modulation mit, der Hebel war aber einfach nicht so richtig mein Fall. Aber mir konnte geholfen werden – Dominik wechselte flugs auf den „Weltmeister-Hebel“ aus edlem Titan. Übrigens: Das Wechseln der Hebel ist ohne Spezialwerkzeug auch für weniger geübte Schrauber in ein paar Minuten zu erledigen. Alternativ kann das auch in einem Magura Pro Shop erledigen lassen.
Schon nach wenigen Minuten auf dem Trail kam ich mit dem Hebel sehr gut zurecht. Verglichen mit dem HC3 hatte ich weniger Armpump, eine natürlichere Arm- und Handhaltung und war insgesamt deutlich schneller unterwegs. Wirklich erstaunlich, was ein kleiner Hebel ausmachen kann. Einen Kritikpunkt an der Hebelwahl von Loic hatte ich jedoch: Die Hebelenden fallen extrem flach aus und immer wieder war ich kurz davor, seitlich mit dem Finger vom Hebel zu rutschen. Nach dem Feedback an Dominik bekam ich nur ein wissendes Grinsen als Antwort – ich war nicht der erste mit dieser Anmerkung und deshalb wechselten wir sogleich auf den berüchtigten Loic-O-mat. Beim Aufsatz entschied ich mich für eine Variante, die sehr nahe am Hebel von Loic liegt, nur eben mit ausgeprägtem „Tip“ (=Hebelende). Und was soll ich sagen? Vergessen waren meine Ergonomie-Probleme und meine Finger fühlten sich zuhause. Damit gehöre ich jedoch eher zu den Exoten – Magura betont, dass bei den meisten Testfahrern nach wie vor der klassische HC oder HC3 Hebel am besten ankommt.
Wie geht es also weiter mit Customizeyourbrake? Zunächst möchte man natürlich auch mit den anderen Specialized Teamfahrern an deren individuellen Anforderungen arbeiten. Aber ebenso macht man sich bereits Gedanken, wie das Konzept für die breite Masse umsetzbar sein könnte. Vielleicht in Form eines weiteren Hebels auf Basis von Loics Hebel? Auch Pläne für die Serienproduktion des Loic-O-maten sind zumindest noch nicht ganz begraben – wir sind also gespannt, was man in Bad Urach noch so in petto hat.
Magura #customizeyourbrake: Diese Teile gibt es heute schon
Nach so viel Zukunftsmusik jedoch nun ein Blick in die Gegenwart: Welche Möglichkeiten haben Besitzer oder Käufer einer Magura MT Scheibenbremse, diese auf die eigenen Bedürfnisse anzupassen? Viele dürften nun an dieser Stelle an reines Optik-Tuning denken: Schon eine ganze Weile gibt es beispielsweise farbige Ringe, mit denen sich die Kolbenabdeckung am Bremssattel auf das Rad-Design anpassen lässt. Hier arbeitet man auch mit anderen Herstellern zusammen: Neu sind beispielsweise farbige Ringe im Fox Factory Orange. Auch die Klemmschellen sind in unterschiedlichen Farben erhältlich.
Bei der Ergonomie hat man derzeit die Wahl zwischen vier Hebeln: Neben dem ursprünglichen 2-Finger Hebel aus Aluminium sind inzwischen auch drei 1-Finger Hebel erhältlich. Dazu gehört der individuell einstellbare HC3 Hebel und der superleichte HC1 Carbonhebel. Wer es lieber simpel mag, wird mit dem HC1 Hebel aus Aluminium glücklich. Besitzer der MT7, der MT8 und der MT Trail SL haben die volle Auswahl und können sämtliche Hebel nachrüsten. Für MT5/MT4 und MT Trail Sport-Fahrer ist ebenfalls ein HC1 Hebel aus Alu erhältlich.
Weiteres Tuningpotenzial bieten die Bremsbeläge. Hier kann man sich zwischen Performance, Race und Comfort entscheiden, wobei für sportive Fahrer jedoch wohl nur Race und Performance in Frage kommen. Während die Performance-Beläge sportive Allrounder mit weitestgehend gleichbleibender Bremspower sind, die unabhängig von der Temperatur immer konstant liefern, haben die Race Beläge im niedrigen Temperaturbereich etwas mehr Biss. Jedoch verlieren diese bei langen Bremsungen etwas an Power. Damit richtet man sich vor allem an XC Racer, die viel Power bei kurzen und knackigen Bremsmanövern möchten, bei denen Dauerbremsungen und lange Abfahrten jedoch eher die Ausnahme sind. Die Comfort-Beläge haben weniger Biss als ihre beiden Pendants, sind aber gerade bei Nässe deutlich leiser.