Test: Der Allrounder Flyer Upstreet 4 aus der Schweiz ist ab sofort mit dem neuen E-Bike-ABS von Bosch erhältlich. Ob S-Pedelec oder 25-km/h-Modell: Der Bremsassistent ist eine sinnvolle Neuerung – und seinen Aufpreis in jedem Fall wert.
Die Schweiz kann als Mutterland des E-Bikes gelten, und gerade der Hersteller Flyer hat einen großen Anteil daran. Aus einem 1993 konstruierten Prototypen, der bereits das Prinzip des Tretlagermotors vorwegnahm, entstanden ab Mitte der Neunziger die ersten Serienmodelle; die zur Jahrtausendwende vorgestellte C-Serie mit dem bewährten Panasonic-Antrieb wird bis heute produziert. Dem Mittelmotor ist das Unternehmen treu geblieben, wobei inzwischen vermehrt Bosch-Aggregate zum Einsatz kommen, gerade bei den eher sportlichen Modellen.
Jedes vierte E-Bike in der Schweiz ist ein S-Pedelec
Womit wir zu einer Besonderheit des Schweizer E-Bike-Markes kommen: Dort liegt der Anteil der sogenannten S-Pedelecs bis 45 km/h bei rund einem Viertel, während er in Deutschland im sehr niedrigen einstelligen Prozent-Bereich dümpelt. Das hat nicht zuletzt mit den unterschiedlichen Nutzungsbedingungen zu tun: In der Schweiz dürfen, ja müssen die schnellen Bikes auf Radwegen fahren, während sie hierzulande auf die Fahrbahn verbannt sind, was immer wieder für Konflikte sorgt. Schweizer Eltern dürfen einen Trailer ans S-Pedelec koppeln; deutsche Mamas und Papas können das nur an einem normalen E-Bike machen.
Wer einmal ein S-Pedelec bewegte oder mit beladenem Hänger bergab unterwegs war, weiß, wie wichtig starke Bremsen sind. Doch ebenso sehr kommt es auf die Dosierbarkeit an, und da haben die besonders starken Bremsanlagen, die häufig an S-Pedelecs verbaut werden, so ihre Tücken. Vierkolben-Scheibenbremsen lassen sich sozusagen mit dem kleinen Finger an die Blockiergrenze bringen; außerdem liegen bei ihnen Trocken- und Nassbremsverhalten dichter beieinander – wenn die Reifen bei Regen schlechter haften, sind die Verzögerer kaum weniger bissig. Hier kommt eine Technologie ins Spiel, die sich Flyer mit der Erweiterung des Modellprogramms auf Bosch-Motoren sicherte: das Antiblockiersystem für E-Bikes, eine Adaption der am Motorrad millionenfach bewährten Anlage.
ABS am E-Bike: Kein Wegrutschen oder Blockieren des Vorderrades mehr
Die Funktionsweise des ABS ist schnell erklärt: An den Bremsscheiben sitzen Sensorringe, die permanent die Laufraddrehzahlen überwachen. Das System erkennt dadurch in Sekundenbruchteilen einen Abfall der Drehzahl sowie Drehzahlunterschiede zwischen Vorder- und Hinterrad – und damit das Risiko zweier typischer Unfalltypen: einerseits das Wegrutschen des Vorderrades bei zu starkem Bremsen, etwa auf nasser oder glatter Fahrbahn; andererseits das Abheben des Hinterrades bei blockierendem Vorderrad. Droht ein solches Szenario, greift die in einem kompakten Kasten unterm Vorbau angebrachte Hydraulik ein: Per Volumenerweiterung wird der Bremsdruck am Vorderrad reduziert, bis sich die Raddrehzahl normalisiert hat, und dann wieder aufgebaut. Das passiert mehrere Male pro Sekunde und macht sich am typischen Klopfen des Bremshebels bemerkbar – genauso wie das Pochen im Pedal, wenn das ABS am Auto regelt.
Wie gut das Antiblockiersystem funktioniert, zeigt sich bei gewagten Bremsmanövern: Wer bei hohem Tempo mit voller Kraft am Hebel zieht, anstatt zögerlich zu verzögern, spürt das besagte Klopfen und einen Druck, der gegen die Handkraft zu arbeiten scheint – und merkt außerdem, dass das Hinterrad sicher am Boden bleibt. Auch ein kräftiges Bremsmanöver in leichter Schräglage auf einem sandigen Wirtschaftsweg aktiviert das ABS. Und wann immer es anspringt, weiß man: Ohne ABS hätte ich jetzt ein Problem.
500 Euro Aufpreis und 800 Gramm Mehrgewicht sind die Sache wert
Der Sicherheitsgewinn des Bremsassistenten steht also außer Frage; die Kosten halten sich dabei in Grenzen. Flyer verlangt schlanke 500 Euro Aufpreis für das System, dazu kommen rund 800 Gramm Mehrgewicht – beides ist gut zu verkraften, bedenkt man, was ein typisches E-Bike kostet und wiegt. Flyer bietet das Bosch-ABS nicht ausschließlich bei Speed-Pedelecs an, sondern auch bei 25-km/h-Modellen; das Testrad – ein Flyer Upstreet 4 – das Velomotion zur Verfügung gestellt wurde, ist in der schnellen Variante ohnehin nicht für den deutschen Markt bestimmt. Mit dem hierzulande erhältlichen starken „Bosch Performance Line CX“-Antrieb und Doppelakku ist das Flyer Upstreet 4 ebenso im Alltagsverkehr wie auch auf langen Touren in seinem Element; eine weich ansprechende Federgabel mit ganzen 75 mm Weg, die knackig rastende Zehnfach-Kettenschaltung sowie die breiten, griffigen Reifen vermitteln Komfort und Sicherheit. Mit mäßiger Überhöhung zwischen Lenker und Sattel ist die Sitzhaltung angenehm sportlich, wobei die leicht zum Fahrer hin orientierten Lenkerenden eine sehr entspannte Position der Hände und Arme erlauben. Am Cockpit deutet nur die ABS-Kontrollleuchte auf die Highend-Bremsanlage hin; von oben gesehen ist die Kontrolleinheit kaum sichtbar.
Aktiviert werden muss das System nicht; oberhalb von 6 km/h stellt es sich selbsttätig scharf – und ist dann am S-Pedelec wie am konventionellen E-Bike ebenso sinnvoll. Überbremsen kann man schließlich auch bei geringeren Geschwindigkeiten. Auf den Nutzen des Antiblockiersystems deutet übrigens auch eine 2017 erstellte Studie der Schweizer Beratungsstelle für Unfallverhütung hin, die Alleinunfälle mit E-Bikes untersuchte und über 4.000 Pedelec-Fahrer befragte. Gut die Hälfte davon sah in der rutschigen Fahrbahn eine Ursache für den Unfall; etwa ein Viertel gab selbstkritisch zu starkes Bremsen an. Dass ein ABS am Bike dabei helfen könnte, Unfälle zu verhüten, liegt angesichts dieser Daten auf der Hand – und zwar auf Touren ebenso wie bei Alltagsfahrten. Einen Allrounder wie das Flyer Upstreet 4 mit dem System auszustatten, ist also ausgesprochen sinnvoll.
3.799 Euro kostet das Flyer Upstreet 4 in der Grundausstattung, 4.299 Euro mit ABS und 5.249 Euro mit zusätzlichem Akku. Während letzterer nur absoluten Langstreckenfahrern ans Herz gelegt werden muss, wird vom Bremsassistenten früher oder später jeder Radfahrer profitieren. Und da die Technik ausgereift ist, kann man ruhig den „Early adopter“ spielen und muss nicht auf die zweite Generation des Systems warten.