Test / First Ride: Das Specialized Kenevo ist seit seiner Vorstellung 2017 das Vollgas-Pendant zum ohnehin schon äußerst potenten Turbo Levo. Nachdem letzteres kürzlich erst neu aufgelegt wurde und eine ordentliche Schippe Abfahrts-Performance drauflegen konnte, musste das Kenevo nachlegen. Wir waren beim Presselaunch in Todtnau und konnten bereits einige Runden auf dem Specialized Kenevo 2020 drehen.
180mm und Doppelbrückengabel: Vollgas!
Nun gut, sprechen wir direkt zu Beginn über den sprichwörtlichen Elefanten im Raum – ja, das ist eine Doppebrückengabel! Von einigen Exoten wie dem Husqvarna EXC 10 abgesehen eine äußerst seltene Erscheinung an E-MTBs. Laut Specialized entschied man sich letztlich für die Doppebrücke an zumindest einem Modell des neuen Kenevos, nachdem zahlreiche Käufer des Vorgängermodells in Eigenregie eine solche nachgerüstet hatten.
Sinn macht eine derartige Forke an einem Rad vom Schlage des Kenevo durchaus: Mit 180mm Federweg vorn und hinten wurde es für die gröbsten Trails überhaupt konstruiert und genau hier spielt die Doppelbrücke ihre Vorteile aus: Durch die enorm steife Konstruktion bekommt man vor allem bei hohen Geschwindigkeiten eine konkurrenzlose Lenkpräzision. Mehr Federweg bietet die Gabel indes nicht – auch am Kenevo Comp, das mit einer herkömmlichen Single Crown Gabel ausgestattet ist, stehen vorn die vollen 180mm Federweg zu Verfügung.
Außen Levo, innen Enduro?
Auf den ersten Blick erinnert das neue Specialized Kenevo 2020 dem E-Bruder aus eigenem Hause, dem Levo, oder durch den asymmetrischen Hinterbau auch an das aktuelle Stumpjumper. Die Äußerlichkeiten täuschen jedoch, versprechen die Kalifornier: Das Kenevo hat nämlich weit mehr mit dem Enduro gemein, als man zunächst glauben möchte. Dass es sich optisch dennoch eher an die anderen Modelle anlehnt, ist dem zusätzlichen Bauraum geschuldet, den der Motor einfordert; an dieser Stelle sitzt beim neuen Enduro nämlich der Dämpfer.
Wieso aber der Vergleich mit dem aktuellen Enduro? Nun, da wäre zunächst die spezielle Raderhebungskurve, die sich die beiden Bikes im Ansatz teilen: Auf den ersten Millimetern des Federwegs bewegt sich die Hinterradachse nämlich nach hinten oben – so bremsen Hindernisse nicht aus und man bleibt länger schnell. Eine zweite Gemeinsamkeit ist die überaus progressive Geometrie – flacher Lenkwinkel, langer Reach steiles Sitzrohr: Hier hat man die Stellschrauben im Vergleich zum Vorgänger klar in Richtung Laufruhe gedreht.
Geometrie Specialized Kenevo 2020
S2 | S3 | S4 | S5 | |
Sitzrohr (in mm) | 400 | 420 | 440 | 465 |
Oberrohr horizontal (in mm) | 585 | 612 | 639 | 666 |
Steuerrohr (in mm) | 105 | 115 | 125 | 135 |
Kettenstrebe (in mm) | 454 | 454 | 454 | 454 |
Radstand (in mm) | 1234 | 1263 | 1293 | 1322 |
Lenkwinkel (in °) | 64 | 64 | 64 | 64 |
Sitzwinkel (in °) | 77 | 77 | 77 | 77 |
Reach (in mm) | 445 | 470 | 495 | 520 |
Stack (in mm) | 605 | 614 | 623 | 632 |
Neue Motorgeneration und bis zu 700Wh Akku
Im Herzen des neuen Kenevos schlägt mit dem Specialized 2.1 Motor die nächste Generation des hauseigenen Antriebs. Hardware-seitig basiert dieser auf dem kräftigen Brose Drive S Mag, wurde aber mit einer eigenen Software speziell auf die Bedürfnisse von Kenevo-Fahrern angepasst und weiter optimiert. Die beeindruckenden Leistungsdaten des Motors: Bis zu 90Nm Drehmoment und 410% maximale Unterstützungsleistung. Sein volles Potenzial entfaltet er im Zusammenspiel mit der Mission Control App. Hier lassen sich die Unterstützungsstufe nicht nur feintunen, sondern sie bietet auch äußerst praktische Features, wie den Power Assistent. Legt man hier nämlich einen Tour-Endpunkt oder eine Gesamtkilometerzahl fest, regelt dieser die Unterstützungsleistung so, dass man auf jeden Fall mit einer Ladung bis zum Ende kommt – oder warnt entsprechend, wenn die Tour zu lang ist.
Ein weiterer, entscheidender Vorteil zum Motor-Vorgänger ist die Gewichtsersparnis; 400g weniger bringt er dank seines Magnesiumgehäuses auf die Waage. Die zudem neu entwickelte Motoraufnahme am Rahmen spart weitere 400g – so konnte Specialized am neuen Kenevo allein hier fast ein Kilogramm Gewicht einsparen.
Ebenfalls neu ist der im überraschend schlank anmutenden Unterrohr versteckte Akku. Dieser M2 genannte Energiespeicher fasst nun bis zu 700Wh und soll damit bis zu 40% mehr Reichweite bieten als das 500Wh-Pendant. Der neue, große Akku wird jedoch nur im Topmodell Expert verbaut. Die Comp-Ausstattungsvariante greift auf einen 500Wh Akku zurück.
Zwei Modellvarianten ab 5.499 euro
Das neue Specialized Kenevo wird zum Marktstart zunächst in zwei Ausstattungsvarianten und je zwei Farben erhältlich sein. Beide Modelle teilen sich den Rahmen, unterscheiden sich jedoch in einigen nicht ganz unwichtigen Punkten: Da wäre neben der Doppelbrücke, die dem Topmodell Kenevo Expert vorenthalten bleibt, auch der 700Wh Akku zu nennen, der ebenfalls nur im Expert verbaut wird. Das Einstiegsmodell Kenevo Comp muss mit „nur“ 500Wh zurechtkommen.
Specialized Kenevo Expert 2020
Das Topmodell hört auf den Namen Kenevo Expert und bietet mit dem Rock Shox Deluxe Coil Dämpfer und der Boxxer Select RC ein enorm potentes Fahrwerk, das selbst dem bissigsten Trail die Zähne ziehen dürfte. Der Antrieb ist mit der Shimano GX und einer 11-42 Kassette eher pragmatisch, für ein Rad dieser Klasse jedoch allemal ausreichend. Gebremst wird mit der Sram Code R, die Laufräder kommen natürlich von Roval. Von außen unsichtbar, dennoch eines der Highlights des Topmodells: Der 700Wh starke Akku im Unterrohr.
Gewicht: 24,58kg (Herstellerangabe)
Preis: 6.899 Euro
Specialized Kenevo Comp 2020
Nur unwesentlich weniger potent geht es beim Kenevo Comp zu. Auch wenn man auf die Doppelbrücke an der Front verzichten muss, bekommt man dennoch 180mm Federweg – hier bereitgestellt von Marzocchi, genauer gesagt der Z1 vorn und dem Bomber CR Coildämpfer im Heck. Die Sram NX Schaltung steht dem GX-Pendant am Expert kaum nach, bei der Bremse ist mit der Code R gar das gleiche Modell verbaut. Auch bei den Laufrädern halten sich die Unterschiede in Grenzen – am Comp gibt’s hinten statt DT Swiss die hauseigene Roval Nabe. Der vielleicht größte Untersschied liegt beim Akku – hier stecken im Unterrohr des Kenevo Comp nämlich „nur“ 500Wh.
Gewicht: 23,63kg (Herstellerangabe)
Preis: 5.499 Euro
Erste Fahreindrücke
Wir konnten das neue Specialized Turbo Kenevo Expert auf den Trails rund um Todtnau und Freiburg testen. Egal ob auf spunglastigen Strecken oder auf verblockten Trails, das Turbo Kenevo lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
Die 180 mm Federweg an Front und Heck harmonieren perfekt miteinander und geben stets das Gefühl, immer ausreichend Reserven parat zu haben. Eine Doppelbrücken-Gabel an einem E-Bike? Macht in dieser Federwegsklasse absolut Sinn! Gepaart mit dem Stahldämpfer am Heck saugt sich das Fahrwerk förmlich an den Untergrund.
Kompromisslose Downhill-Performance bedeutet häufig, dass das Rad im Uphill Kompromisse eingehen muss. Nicht so beim Specialized Kenevo! Der steile Sitzwinkel und die moderne Geometrie sorgen dafür, dass sich das Bike erstaunlich gut bergauf pedalieren lässt – selbst wenn es technisch wird.
Einziger Kritikpunkt: Die Bremsen. Die SRAM Code R Bremsanlage verrichtet ihren Dienst gut, kommt aber bei harter Gangart und langen Abfahrten an ihr Grenzen – trotz 200 mm Rotoren vorne wie hinten.