Test: Mit dem Canyon Precede:ON erweiterte der Direktversender aus Koblenz unlängst sein stetig wachsendes Portfolio an E-Bikes. Der stylische Neuzugang ist vor allem in der Stadt zuhause und bringt einige einzigartige Features mit.
Unverkennbar Canyon: Der Direktversender hat mittlerweile erreicht, woran viele andere Hersteller trotz teils jahrzehntelanger Erfahrung scheitern – ein Canyon ist meist auf den ersten Blick schon als solches zu erkennen. Formsprache und Design gehören fest zur Identität der Koblenzer und das ist wohl an kaum einem anderen Rad im Portfolio momentan so deutlich zu sehen wie beim vor einigen Wochen vorgestellten Precede:ON.
Optisch ist die Verwandtschaft des neuen Canyon E-Bikes mit dem unmotorisierten Commuter kaum von der Hand zu weisen. Der markante Steuerrohrbereich samt integriertem Cockpit spielen dabei ebenso eine Rolle wie die kantigen Rahmenformen und das tief abgesenkte Oberrohr, das selbst beim klassischen Herrenrahmen eine erfreulich niedrige Überstandshöhe erzeugt. Diese optischen Erkennungsmerkmale konnte man zudem auch in einen Tiefeinsteiger-Rahmen übertragen – der erste seiner Art übrigens bei Canyon – mit dem beide Precede:ON Modelle ebenfalls erhältlich sind. Gemeinsam haben beide Rahmen ihr Material: Hier vertrauen die Konstrukteure voll auf Carbon. Der Werkstoff senkt nicht nur das Gewicht, sondern ermöglich erst das Level an Systemintegration, das ein wesentliches Merkmal des neuen Canyon Urban Bikes ist. Leider bedingt er gemeinsam mit der durchweg hochwertigen Ausstattung auch den gesalzenen Preis. Das Canyon Precede:ON bewegt sich je nach Ausstattungsvariante zwischen 4.000 und 5.000 Euro.
Bosch CX Motor mit 500 Wh Akku
In puncto Antrieb verbaut Canyon den aktuellen Bosch Performance CX Motor in Verbindung mit einem Kiox Display und einem 500 Wh Akku, der im Unterrohr sitzt. 500 Wh? Der eine oder andere mag angesichts dessen etwas die Stirn runzeln, haben sich die 625 Wh doch mittlerweile fast schon als Standard etabliert, zumal mit dem 85 Nm kräftigen CX Aggregat und in dieser Preisklasse. Canyon dürfte sich wohl vor allem aus zwei Gründen für die kleinere Variante entschieden haben. Einerseits ist die Powertube 500 über ein halbes Kilogramm leichter und trägt damit ihren Teil zum wirklich guten Gewicht von unter 23 kg bei. Andererseits lässt sie sich dank ihrer kompakten Abmessungen auch eleganter und problemloser in den Rahmen integrieren. Das ist beim Canyon ohnehin schön gelöst: Der Akku sitzt unter einer Abdeckkappe und lässt sich bequem nach oben entnehmen. In unserem Test brachte es das Rad auf eine realistische Reichweite zwischen 50 und 60 km. Das ist für ein Rad, dessen Einsatzbereich im urbanen Raum liegt unserer Ansicht nach allemal ausreichend.
Maximal integriert: Das Cockpit des Canyon Precede:ON
Nun haben wir schon das eine oder andere Wort über das markante Rahmendesign verloren – untrennbar damit verbunden ist jedoch auch das Cockpit, das sicherlich eines der Highlights am Canyon Precede:ON darstellt. Die Einheit aus Lenker und Vorbau besteht wie der Rahmen aus Carbon und integriert nicht nur einen eleganten Halter für das Kiox Display, sondern auch die Bremsen: Hier hat Canyon mit TRP zusammengearbeitet und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Der gesamte Geber der Scheibenbremsen verschwindet im Inneren des Lenkers, zu sehen sind nur noch die Hebel selbst. Da sich auch der Mini2 Scheinwerfer von Supernova eng an die Unterseite des Vorbaus anschmiegt und sämtliche Kabel und Leitungen intern geführt werden, bekommt man ein extrem minimalistisches, aufgeräumtes Cockpit. An unserem Testbike fällt aufgrund der Enviolo Automatiq Nabe sogar noch der Schalthebel weg.
Unser Testbike: Das Canyon Precede:ON 9 CF
Zum Test hatten wir das Precede:ON 9, das neben den angesprochenen Teilen vor allem bei der Schaltung schwere Geschütze auffährt. Verbaut ist hier nämlich eine Enviolo Automatiq Nabenschaltung in Verbindung mit einem Caronriemen von Gates. Das verspricht hohen Schaltkomfort und wenig Wartungssorgen. Perfekt für den Einsatz in der Stadt.
Rahmen | Canyon Precede:ON CF |
Federgabel | Canyon FK0052 Disc |
Antrieb | Bosch Performance CX 4.Gen |
Akku | Bosch Powertube 500 |
Laufräder | Alexrims MD 25 |
Reifen | Schwalbe G-One Allround 2,25" |
Schaltwerk | Enviolo Automatiq Sport |
Schalthebel | Ohne |
Kurbel | Miranda Delta |
Umwerfer | Ohne |
Bremse | Canyon GP0164 by TRP |
Sattelstütze | Canyon S25 VCLS 2.0 CF |
Sattel | Fizik Essenza |
Vorbau | Canyon CP02 Cockpit |
Lenker | Canyon CP02 Cockpit |
Gutmütiger, vielseitiger Stadtbegleiter
Auf den ersten Metern muss man sich etwas an das Canyon Precede:ON gewöhnen. Es fährt sich definitiv anders als so ziemlich jedes Urban E-Bike, das wir in der Vergangenheit in der Redaktion hatten. Als erstes fiel uns die Geometrie auf, die sich insbesondere in dem stoischen Geradeauslaufs des stylischen E-Bikes bemerkbar macht. Verantwortlich dafür dürften sicherlich vor allem die fast 500 mm langen Kettenstreben sein, die das Rad immer treu auf Spur halten, jedoch auch ein wenig mehr Lenkeinsatz fordern, wenn es etwas enger zugeht. Verbunden mit der auffällig hohen Front stellt sich durchaus eine gewisse Harmonie ein, die den Schwerpunkt aber ganz klar auf Komfort und Laufruhe legt. Volltreffer für jene, die einen gutmütigen Stadtbegleiter wollen – wer mehr Wert auf Agilität legt, sollte sich die Anschaffung gut überlegen.
Ungewöhnlich für ein Rad in dieser Klasse ist außerdem das sehr tiefe Tretlager mit einem Offset von 80 mm. Auch diese Platzierung trägt zum enorm sicheren Fahrgefühl in der Geraden bei, verlangt bei Kurvenfahrten aber nach etwas Konzentration. Ist hier der Fuß falsche Kurbelarm unten, ist Bodenkontakt fast schon vorprogrammiert.
Unser Testrad in Größe L war perfekt für eine Körpergröße von 1,87 m und wir hatten nicht das Bedürfnis, irgendwelche ergonomischen Anpassungen vorzunehmen. Zum Glück, denn aufgrund der speziellen Cockpit-Konstruktion ist man diesbezüglich stark eingeschränkt. Absolut vorbildlich ist dagegen die Auswahl bezüglich der Rahmengrößen und -formen. Neben dem von uns gefahrenen Herrenrahmen, der in drei Größen erhältlich ist (M / L / XL) gibt es auch einen Tiefeinsteiger, der nicht nur jene freuen dürfte, die einen besonders niedrigen Durchstieg möchten, sondern auch kleine Fahrer(innen): In XS gibt es hier auch eine passende Variante für Menschen unter 1,60m – leider eine Seltenheit heutzutage.
Geometrie Canyon Precede:ON
M | L | XL | |
---|---|---|---|
Sitzrohr (in mm) | 440 | 485 | 535 |
Oberrohr horizontal (in mm) | 585 | 622 | 662 |
Steuerrohr (in mm) | 148 | 194 | 243 |
Kettenstrebe (in mm) | 499 | 499 | 499 |
BB Drop (in mm) | 80 | 80 | 80 |
Lenkwinkel (in °) | 72 | 72 | 72 |
Sitzwinkel (in °) | 72.5 | 72.5 | 72.5 |
Reach (in mm) | 412 | 434 | 460 |
Stack (in mm) | 614 | 658 | 705 |
Geometrie Canyon Precede:ON ST
XS | S | M | L | |
---|---|---|---|---|
Sitzrohr (in mm) | 365 | 400 | 440 | 485 |
Oberrohr horizontal (in mm) | 547 | 565 | 585 | 622 |
Steuerrohr (in mm) | 148 | 154 | 167 | 194 |
Kettenstrebe (in mm) | 499 | 499 | 499 | 499 |
BB Drop (in mm) | 80 | 80 | 80 | 80 |
Lenkwinkel (in °) | 70.5 | 71.5 | 72 | 72 |
Sitzwinkel (in °) | 72.5 | 72.5 | 72.5 | 72.5 |
Reach (in mm) | 375 | 390 | 406 | 434 |
Stack (in mm) | 608 | 618 | 632 | 658 |
Automatikschaltung mit Licht und Schatten
Durchaus als Hassliebe würden wir unsere Beziehung zur Enviolo Automatikschaltung bezeichnen. Durch das Fehlen eines Schalthebels muss man auf manuelle Eingriffe komplett verzichten und den Übersetzungswechsel komplett der Steuerung des Planetengetriebes überlassen. Über das Kiox-Display kann man jedoch seine präferierte Trittfrequenz einstellen, was gut funktioniert, sogar während der Fahrt. Als sportlicher Fahrer muss man sich jedoch ziemlich umgewöhnen und bei schnellen Tempowechseln kann es schon vorkommen, dass man mal ins Leere tritt oder lieber für ein paar Meter mit einer höheren Kadenz fahren würde. Andererseits ist der Komfort beim Dahinfahren großartig und man gewöhnt sich fast schon erschreckend schnell daran, dass man sich keine Gedanken um die Schaltvorgänge machen muss…
Komfortables Heck trifft auf steife Front
Der Fahrkomfort selbst kann leider nicht ganz mit dem hohen Schaltkomfort der Enviolo Nabe mithalten. Zwar spendiert Canyon seinem Urban E-Bike 2,25″ breite G-One Allround Reifen von Schwalbe auf 27,5 Zoll Laufrädern – eine gute Wahl – doch auf schlechten Wegen, Kopfsteinpflaster oder Forstautobahnen ist gerade die Front doch eher auf der harten Seite. Kein Wunder: Starrgabel und Carbon-Cockpit bieten nur wenig Spielraum für Flex. Deutlich besser sieht es am Heck aus, was sicherlich auch auf die VCLS Stütze zurückzuführen ist, die wir beispielsweise auch aus dem Grail CF Gravelbike kennen und schätzen. Positiv fällt auf schlechten Wegen dann jedoch das nicht vorhandene Klappern auf. Selten saßen wir auf einem Urban E-Bike, an dem selbst bei heftigstem Gerumpel kein nerviges Scheppern zu hören war. Daumen hoch!
Glänzen vermag das Canyon Precede:ON beim Thema Zuladung und Montageoptionen. Der Racktime Gepäckträger am Heck darf mit bis zu 25 kg beladen werden und auch wenn man auf eine Federklappe verzichten muss, lassen sich beispielsweise Ortlieb Taschen an der entsprechenden Rail befestigen. Die Gabel bietet darüber hinaus auch Montagepunkte für einen Lowrider-Träger, der dann jedoch „nur“ mit 5 kg beladen werden darf. Wer den Nachwuchs gerne im Anhänger transportiert, kann sich zum Precede:ON eine passende Kupplung für Croozer Anhänger dazubestellen. Das zulässige Gesamtgewicht des Bikes beläuft sich auf 140 kg.
Canyon Precede:ON – Ausstattungsvarianten und Modelle
Erhältlich ist das Precede:ON in zwei Ausstattungsvarianten – beide davon natürlich mit dem Tiefeinsteiger- als auch dem klassischen Diamantrahmen. Zwar liegen ca. 700 Euro zwischen dem Precede:ON 9 und Precede:ON 8, doch sollte man die Ausstattungsunterschiede nicht allein auf die Preis- und Qualitätsdifferenz reduzieren; der größte Unterschied betrifft nämlich die Schaltung und beeinflusst damit auch nicht unwesentlich Fahrverhalten und Charakter des Commuters.
Während die von uns getestete Top-Variante mit seiner Enviolo Automatiq hier auf maximalen Komfort und Sorglosigkeit setzt – nicht ganz ohne Kompromisse – ist das Precede:ON 8 klassische mit einer Kettenschaltung ausgestattet. Schalten muss man hier natürlich dann selbst, dafür hat man mehr Kontrolle über die Gangwechsel und dank Shimano 12-fach System auch eine spürbar größere Bandbreite. Die sonstige Ausstattung ist weitestgehend gleich, leider muss man an der günstigeren Modellvariante auch auf die sehr gute VCLS Stütze verzichten.
Canyon Precede:ON 9
Rahmen: Canyon Precede:ON
Motor: Bosch Performance CX 4.Gen
Akku: Bosch Powertube 500
Schaltung: Enviolo Automatiq
Bremsen: Canyon GP0164 by TRP
Beleuchtung: Supernova Mini2 / Tail Light
Preis: 4.869 Euro
Canyon Precede:ON 8
Rahmen: Canyon Precede:ON
Motor: Bosch Performance CX 4.Gen
Akku: Bosch Powertube 500
Schaltung: Shimano Deore / Deore XT 12-fach
Bremsen: Canyon GP0164 by TRP
Beleuchtung: Supernova Mini2 / Tail Light
Preis: 4.189 Euro