Test Rondo Ratt: Das neue Gravelbike der Danziger vereint eine typische Rennrad-Geometrie mit extrabreiten Reifen in 27,5 Zoll, was sportliche Fahreigenschaften auf jedem Belag und Untergrund bringen soll. Ob die Rechnung aufgeht? Erste Fahrten sind vielversprechend, und große Laufräder lassen sich auch montieren.
Keine Lust mehr auf Asphalt? Bei Rondo in Danzig hat man durchaus Verständnis dafür. Das Unternehmen ist vollständig auf Gravelbikes spezialisiert, wobei die Bandbreite vom Cyclocross-mäßigen Ruut X (hier gehts zum Test auf Velomotion) bis zum Bikepacking-Stahlrad Bogan reicht, das mit zwei Zoll breiten Twentyniner-Walzen gefahren werden kann. Dem Rennrad am nächsten kommt das Rondo HVRT im Aero-Trimm, welches auf 30-mm-Reifen rollt – jedenfalls, wenn man 28-Zoll-Laufräder fährt, ebenso nämlich ist 47 mm breite 650B-Bereifung möglich.
650B-Rennrad mit breiten Reifen
Dies mag beim HVRT noch ein Kompromiss gewesen sein, doch das neue Ratt tickt anders. Quasi als Midseason-Neuheit präsentieren die Polen mit diesem Modell ein Bike, das sich durchaus als Rennmaschine versteht – aber als eine, die vor keinem Untergrund Halt macht, denn beim Ratt sind 650B-Laufräder Standard.
Was es damit auf sich hat? 650B bzw. 27,5 Zoll, wie es beim Mountainbike heißt, ist bekanntlich eine Laufradgröße, die am MTB als Königsweg zwischen 26 und 28 Zoll (bzw. 29 Zoll, wie man am MTB 28-Zoll-Laufräder nennt – alles klar?) gilt. Beim Gravelbike liegt der Vorteil der etwas kleineren Felgen darin, dass man bei gleichbleibendem Außendurchmesser mehr Reifenvolumen hat. Ersterer ist für das Handling zuständig, letzteres natürlich für Komfort und Traktion. In der Theorie erhält man also Rennrad-typisches Lenkverhalten, kombiniert mit mehr Stoß- und Vibrationsdämpfung sowie sattem Fahrbahnhalt.
Rondo Ratt mit sportlicher Geometrie
Und genau das ist es, was Rondo mit dem Ratt erreichen will. Rennrad-Feeling auf jedem Untergrund ist die Devise, und bereits beim Draufsetzen denkt man sich, dass das Versprechen erfüllt werden kann. Die Sitzgeometrie ist eher am Rennrad orientiert als an aktuellen Bikepacking-Gravelbikes; man sitzt also eher gestreckt und mit merklicher Überhöhung. Für diese ist allerdings auch der Vorbau zuständig, der exakt waagerecht steht und den Lenker damit etwas weiter unten positioniert als ein konventioneller, leicht nach oben gerichteter Vorbau.
Tritt man dann zum ersten Mal in die Pedale, kann man sich über satten Vortrieb freuen; beim Beschleunigen im Wiegetritt ist gleich spürbar, dass das Rondo Ratt ziemlich handlich ist – besonders im direkten Vergleich zu eher Trail-orientierten Gravelbikes fällt die Nähe zum Rennrad auf. Ein Eindruck, der sich auf einer schnellen Asphalt-Runde bestätigt: Die 47 mm breiten Maxxis-Reifen rollen trotz eher niedrigem Druck ausgesprochen leicht, und das Rad folgt willig den Lenkbefehlen, wo viele Gravelbikes eher behäbig reagieren. Beim 54er Testrad liegt der Radstand unter einem Meter, und der Lenkwinkel ist für ein Gravelbike steil – der Fahreindruck spiegelt sich also in den Geometriedaten wider.
Eigenheiten bei der Kurvenfahrt
Also alles super? Eigentlich schon, aber ganz ohne Eigenheiten sind die breiten Reifen natürlich nicht. Bei der Kurvenfahrt ist etwas mehr Schräglage nötig, und insgesamt entwickelt das Rad hier ein gewisses Eigenleben, das sich merklich vom Rennrad auf 25er oder 28er Reifen unterscheidet. Das bedeutet aber nicht, dass das Rondo Ratt nicht jederzeit beherrschbar und berechenbar ist – aber auf kurvigen Strecken spürt man dann halt doch, dass man nicht auf einem konventionell bestückten Rennrad sitzt.
Das Rondo Ratt hat genug Platz für große Räder
Wobei – festgelegt auf 650B-Laufräder ist das Rondo natürlich nicht. Im Test-Setup fällt an Rahmen wie Gabel auf, dass noch jede Menge Platz ist, und in der Tat passen sogar 47 mm breite 28-Zoll-Reifen durch. Allerdings lässt sich bei diesem Experiment das Hinterrad nicht mehr drehen, da das Reifenprofil mit dem Umwerfersockel kollidiert. 40 mm breite 28-Zoll-Reifen sollten jedoch easy passen, und natürlich alles, was schmaler ist – dann kommt mit dem Ratt noch mehr Rennrad-Feeling auf. Am 650B-Radsatz sollte man allerdings nicht unbedingt schmale Reifen montieren. Das würde nämlich dazu führen, dass das Tretlager ein bis anderthalb Zentimeter nach unten wandert, was bei der Kurvenfahrt die Gefahr von Pedalaufsetzern birgt.
Komfort und fummeliger Laufradeinbau
Neben den gelungenen Fahreigenschaften gefällt das Rondo Ratt auch durch anständigen Komfort; für diesen sind neben den Reifen auch tief angesetzte Sitzstreben und weit ausgezogene Carbonstütze verantwortlich. Typisch Rondo ist die Formensprache mit dem Knick am unteren Ende der Streben, der ebenfalls stoßdämpfend wirken soll, dem leichten Knick im Oberrohr und der Gabel mit dem auffälligen Vorversatz. Auch die FlipChip-Ausfallenden vorne sind markentypisch: Dreht man sie um, sinkt die Front des Renners etwas ab, was in einem steileren Lenkwinkel sowie weiteren kleinen Geometrieänderungen resultiert. Der Prozess ist aber nicht ganz einfach, da auch der vordere Bremssattel umgebaut werden muss; ohnehin ist das Ratt wie beschrieben sehr handlich und agil. Außerdem haben die Vario-Ausfaller einen großen Nachteil: Der Anschlag fürs Vorderrad fehlt, was dessen Einbau deutlich erschwert. Eigentlich braucht man drei Hände – mit jeweils einer hält man Laufrad und Gabel in Position, während man mit der dritten die Steckachse einschiebt. Auch hinten ist der Laufradeinbau fummelig.
Anbau-technisch eher Rennrad
Was die Anbaumöglichkeiten angeht, ist das Rondo eher Straßenrad als Gravelbike: Schutzbleche können montiert werden, außerdem lässt sich durch die Gabel ein Dynamokabel leiten, was dem Einsatzzweck des Ratt freilich nicht wirklich gerecht wird. Gewindebohrungen auf dem Oberrohr fehlen, was in der Gravel-Szene nur selten vorkommt; auch ein dritter Flaschenhalter ist nicht vorgesehen.
Zwei von hinten ins Sitzrohr führende Madenschrauben pressen ein Klemmsegment gegen die Sattelstütze, was schön aussieht und gut funktioniert – allerdings kann das Segment ins Sitzrohr fallen, wenn die Stütze ausgebaut ist. Dann muss das Rad auf den Kopf gestellt und beherzt geschüttelt werden. Bereits angesprochen wurde der Vorbau, der kantige Formen aufweist und gefräst ist; durch ihn werden die Bremsleitungen ins Innere von Rahmen und Gabel geleitet. Aerodynamisches Neuland betritt Rondo mit dem vorne flächigen Steuerrohr, das sich breit gegen den Fahrtwind stemmt.
Gut ausgestattet mit Sram Rival AXS
Das Testrad kommt mit Rondo-Laufradsatz und kompletter Sram Rival AXS 2×12 – eine sehr gute Wahl gerade für die Allroad-Rennmaschine. Die ungewöhnliche Kettenblatt-Abstufung 43/30 bietet zusammen mit der 10-30er Kassette einen 1:1 übersetzten Berggang sowie einen ausreichend lang übersetzten Schnellgang; die Kassette ist dabei schön eng abgestuft. Elektronische Schaltung wie hydraulische Bremsen funktionieren tadellos, sodass auch in dieser Hinsicht viel Fahrspaß garantiert ist.
Das Rondo Ratt wird erst einmal in zwei Versionen mit Shimano-GRX-Komponenten erhältlich sein, als Ratt CF1 mit GRX800 für 4.499 Euro und als CF2 mit GRX400 für 3.599 Euro. Weitere Spezifikationen sind für 2023 geplant; dann kommt vielleicht auch eine Variante mit Sram Rival AXS. Eines steht jedenfalls fest: Wer auf der Suche nach einem Gravelbike ist, das sich speziell an Rennradfahrer(-innen) wendet, anstatt für Bikepacking optimiert zu sein, bekommt mit dem Rondo Ratt eine attraktive Option an die Hand.