Test: Das Canyon Grand Canyon 9 überzeugt auf dem Papier mit einer sehr hochwertigen Ausstattung zum fairen Preis und einem universellen Gesamtkonzept zwischen Tour und Trail. Ob der Balanceakt glückt?
Canyon Grand Canyon 9: Die Fakten
Rahmenmaterial: Aluminium
Federweg: 120 mm
Laufradgröße: 29 Zoll (27,5″ in XS/S)
Gewicht: 13,43 kg
Preis: 1.749 Euro
Das Grand Canyon zählt seit vielen Jahren in schöner Regelmäßigkeit zu den besten Hardtails in der Preisklasse zwischen 1.000 und 2.000 Euro. Mit dem jüngsten Redesign kam im ohnehin schon umfangreichen Grand Canyon Sortiment bei den Koblenzern nun jedoch noch eine weitere Spielart dazu: Die drei hochwertigsten Ausstattungsvarianten sind nun nicht nur mit mehr Federweg an der Front (nun 120 mm), sondern auch einer Variostütze ausgestattet. Grund genug für uns, das Top-Modell mal unter die Lupe zu nehmen und zu fragen: Wie viel Trail Hardtail steckt im aktuellen Grand Canyon?
Bemerkung: Zum Testzeitpunkt war das neue Canyon Stoic noch nicht verfügbar. Wir sind jedoch auch der Überzeugung, dass beide Räder – das Stoic und auch das Grand Canyon – ihre Daseinsberechtigung und ihre eigenen Stärken und Schwächen haben.
Toller Rahmen mit gemäßigter Geometrie
Zunächst einmal fällt auf: Der Alu-Rahmen des Grand Canyon ist grandios verarbeitet und wirkt generell einfach extrem hochwertig; das ist an einem knapp 1.800 Euro teuren Rad wie an unserem Testbike nun kein Highlight – doch gibt es bei Canyon eben diesen Rahmen nunmal auch schon am Grand Canyon 7 für etwas über 1.000 Euro. Schöne Sache. Bei Features und Montagepunkten haben wir alles, was wir uns von einem derartigen Rad wünschen: Im Rahmendreieck haben zwei Flaschenhalter Platz, natürlich wird das Hinterrad per Boost Steckachse befestigt und wir haben intern verlegte Leitungen und Züge. Letztere tragen zweifellos zur schnörkellosen Optik bei, aber erleichtern die Wartung nun nicht unbedingt.
Spannend wird es bei den Themen Geometrie und Größenwahl; Canyon bietet das Grand Canyon in insgesamt fünf Größen an und setzt auf einen Size Split bei der Laufradgröße: Entscheidet man sich für einen Rahmen in S oder gar XS, sind 27,5 Zoll Laufräder verbaut, darüber 29 Zoll. So möchte man über das gesamte Spektrum hinweg ein ähnliches Fahrgefühl bieten. Dieser Ansatz zeigt sich auch in den mitwachsenden Kettenstreben – das macht kaum ein anderer Hersteller, sehr schön. Die sonstigen Abmessungen sind eher etwas zurückhaltend. Wir haben einen eher steilen Lenkwinkel von 68°, der Reach fällt ebenso eher kurz aus. Die Einstiegshürde dürfte somit niedrig sein, das Handling intuitiv – aktive Fahrer würden sich vielleicht etwas großzügigere Abmessungen wünschen.
Geometrie Canyon Grand Canyon 9
XS | S | M | L | XL | |
---|---|---|---|---|---|
Sitzrohr (in mm) | 350 | 395 | 440 | 485 | 545 |
Oberrohr horizontal (in mm) | 566 | 586 | 614 | 638 | 666 |
Steuerrohr (in mm) | 90 | 100 | 100 | 115 | 145 |
Kettenstrebe (in mm) | 423 | 423 | 428 | 433 | 438 |
BB Drop (in mm) | 47 | 47 | 65 | 65 | 65 |
Radstand (in mm) | 1084 | 1105 | 1150 | 1181 | 1217 |
Lenkwinkel (in °) | 68 | 68 | 67.5 | 67.5 | 67.5 |
Sitzwinkel (in °) | 74 | 74 | 74 | 74 | 74 |
Reach (in mm) | 398 | 415 | 435 | 455 | 475 |
Stack (in mm) | 587 | 596 | 626 | 640 | 667 |
Hochwertige Komponenten für gemäßigtes Gelände
Im Test hatten wir mit dem Grand Canyon 9 die Top-Variante der Modellreihe. Der Versender aus Koblenz schnürt hier ein wirklich gelungenes Paket zum Preis von 1.799 Euro: Die Fox 34 Rhythm Gabel an der Front kommt zwar ’nur‘ mit der einfacheren Grip Dämpfung, steht ihren teureren Kolleginnen bei Ansprechverhalten jedoch keineswegs nach. Zudem ist die Gabel auch dank ihrer 34 mm Standrohre für den Einsatzbereich des Grand Canyon sehr gut dimensioniert. In die Vollen geht Canyon beim Thema Schaltung – hier gibt’s eine vollwertige Shimano XT 12-fach Gruppe (okay, mit SLX Kassette und Deore Kurbel). So edel sind in diesem Bereich nicht einmal Bikes in unserem Testfeld ausgestattet, die 1.000 Euro teurer sind.
Auch die Bremsen kommen aus der Shimano XT Reihe. Die M8100 sind exzellente Stopper und die Entscheidung für die 2-Kolben Variante zeigt, dass Canyon das Grand Canyon 9 nicht auf Vollgas-Action trimmen wollte. Das zeigt sich bei Laufrädern und Reifen. Der Schwalbe Nobby Nic in 2,35 Zoll Breite ist ein starker Allrounder, fühlt sich aber eben in gemäßigtem Gelände am Wohlsten. Die Laufräder mit hauseigenen Felgen sind angenehm leicht, halten die Reifen dank 25 mm Maulweite zuverlässig und sind auch schlauchlos fahrbar. Ebenfalls von Eigenmarke Iridium kommt die versenkbare Sattelstütze mit ergonomisch gelungenem Hebel und angemessenen 150 mm Hub. Das Cockpit macht einen guten Eindruck und ist mit 60 mm Vorbau modern.
Rahmen | Canyon Grand Canyon AL SL |
Federgabel | Fox 34 Rhythm, 120mm |
Dämpfer | - |
Laufräder | Canyon MXD5 29 |
Reifen VR | Schwalbe Nobby Nic Evo 2,35 Zoll SnakeSkin |
Reifen HR | Schwalbe Nobby Nic Evo 2,35 Zoll SnakeSkin |
Schaltwerk | Shimano XT M8100 |
Schalthebel | Shimano XT M8100 |
Kurbel | Shimano M610 30t |
Umwerfer | Ohne |
Bremse | Shimano XT M8100 |
Bremsscheiben | Shimano RT 66 180 / 160 |
Sattelstütze | Irirdium Dropper 150 mm |
Sattel | Iridium Trail |
Vorbau | Iridium |
Lenker | Irirdium Flatbar |
Canyon Grand Canyon 9: Auf dem Trail
Wer sich ein wenig mit den Geometriedaten und der Ausstattung des Canyon auseinandersetzt, wird relativ schnell feststellen: das Rad will kein Spezialist für extreme Gangarten sein. Das muss es auch nicht, denn für genannten Einsatz gibt es ja das „Stoic“ Schwestermodell. Dass das Grand Canyon aber trotzdem mehr kann als ein gewöhnliches XC Hardtail, sollte sich im Test schnell herausstellen.
Schnell und intuitiv findet man sich auf dem Canyon zurecht; die Geometriewerte sind für ein XC-Hardtail progressiv-modern, für ein reinrassiges Trail-Hardtail aber eher konservativ und zurückhaltend. Bedeutet im Umkehrschluss: Ziemlich vielen sollte die Sitzposition auf Anhieb passen.
Unaufgeregt klettert das Grand Canyon dann auch den Berg hinauf. Trotz 120mm Gabel bleibt die Front auch im steilen Gelände am Boden und man wird – falls überhaupt – erst durch den Traktionsverlust der Nobby Nic Reifen in Speedgrip-Mischung eingebremst. Speziell bei feuchten Bedingungen konnten die Reifen nicht immer mit Grip überzeugen, dafür punkten sie jedoch mit niedrigem Rollwiderstand und geringem Gewicht. Die Schaltvorgänge sind Shimano-typisch knackig und leichtgängig und die Bandbreite des 12-fach Antriebs ist mehr als ausreichend. Schön auch: Die hauseigene Dropper Post funktioniert nicht nur außerordentlich gut, sie bietet mit 150mm in unserer Rahmengröße auch genau den passenden Hub.
Bergab glänzt das Canyon Grand Canyon vor allem mit einfachem und vor allem agilem Handling. Solange das Terrain nicht zu verblockt wird, ist es genau in seinem Element. Bei hohem Tempo kommen zunächst die Schwalbe Nobby Nic Reifen an ihre Grenzen; als „SnakeSkin“ sehr dünnwandig, mangelt es ihnen dann schlichtweg an Eigendämpfung. Bei einem „starren“ Hardtail eine nicht zu vernachlässigende Eigenschaft. Gabel? Top! Die Fox 34 Rhythm ist nicht nur ausreichend steif, sie spricht zudem sensibel an und dämpft (bei Hardtail-gerechter Geschwindigkeit) souverän. Für unsere groß gewachsenen Testfahrer hätte das Cockpit etwas breiter ausfallen dürfen. Überrascht waren wir übrigens von den Shimano XT Bremsen! Obwohl „nur“ zwei Kolben auf Scheiben der Dimension 180/160mm einwirkten, hielten die Stopper souverän Stand und begeisterten mit feiner Dosierbarkeit – super!
Resümierend bleibt die Frage: Ist das Canyon Grand Canyon 9 nun ein Trail-Hardtail „Light“ oder XC-Hardtail „Plus“? Irgendwie beides! Es glänzt mit einem hochwertigen und vielseitigen Rahmen sowie top Ausstattungskomponenten. Agil und intuitiv beherrschbar zeigt sich das Fahrverhalten und macht das Grand Canyon zu einem grandiosen Allrounder! Wer es gerne etwas flotter angeht, sollte sich über stabilere Reifen Gedanken machen oder gleich zum Schwestermodell „Stoic“ greifen. Schön wenn man diese Varianz innerhalb des eigenen Portfolios abdecken kann!