Per Life-Schalte aus Spanien stellte Orbea Anfang November das neue Terra vor. Was zeichnet das erste richtige Gravelbike der Basken aus? Ein erster Test folgt – hier schon einmal umfassende Informationen zum Orbea Terra 2022.
So mancher Hersteller wurde vom Gravel-Boom kalt erwischt bzw. schien erst einmal abwarten zu wollen. Auch bei Orbea diente zwei Jahre lang ein Cyclocross-Bike als Graveller, ausgestattet mit GRX-Gruppe und den maximal möglichen 40er Reifen. Hinter den Kulissen wurde jedoch schon am Folgemodell gearbeitet – und dass das etwas dauerte, wundert nicht, ist das 2022er Orbea Terra 2022 doch ein komplett neues Rad.
Orbea Terra 2022: Komplett neues Rad mit gelungenen Formen
War das alte Terra ein klassischer Carbon-Crosser mit waagerechtem Oberrohr, schlanker Gabel und gefälligen Rundungen, überrascht der Nachfolger mit charakterstarken Ecken und Kanten. Beim Rahmen, dessen Gewicht mit rund 1.100 Gramm in Größe M angegeben wird, fällt erst einmal die starke Sloping-Form auf. Das verspricht Flex und damit Komfort durch die weiter ausgezogene Sattelstütze und lenkt den Blick nicht zuletzt auf die nunmehr integrierte Stützenklemmung, die die gute alte Schelle ersetzt. Genretypisch sind die Kettenstreben hinterm Tretlager etwas nach unten gezogen, was Reifen der Größen 45-622 sowie 50-584 (d.h. 650B) ermöglicht sowie die Montage von Zweifachkurbeln. Auffällig ist auch die Gabel mit dem Vorversatz an der Gabelkrone sowie natürlich die Tatsache, das am Cockpit keinerlei Züge und Leitungen zu sehen sind. Diese führen durch den Vorbau ins Rahmeninnere, wobei die vordere Bremsleitung durch den Gabelschaft verläuft. Das sieht nicht nur elegant aus, sondern schafft auch Platz für eine Lenkertasche, wie sie viele Gravelbiker immer dabei haben.
Die Geometrie: mehr Cross als Trail
Viele aktuelle Gravelbikes gehen in Sachen Sitzgeometrie neue Wege: Ein extralanges Oberrohr führt zu viel „Reach“; um einer allzu gestreckten Sitzhaltung entgegenzuwirken, kommt ein kurzer Vorbau dazu. Jetzt noch ein flacher Lenkwinkel, und fertig ist eine Geometrie, die irgendwo zwischen Rennrad und Mountainbike angesiedelt ist und aufgrund eines langen Steuerrohrs durch recht großen „Stack“ (d.h einen hohen Lenker) gekennzeichnet ist. Orbea ist hier konservativer und setzt auf eine ziemlich sportliche Bauform, die auch einem Crosser gut zu Gesicht stehen würde (und sich etwa am Focus Mares Aluminium fast identisch wiederfindet): Das Oberrohr ist nicht übermäßig lang, das Steuerrohr kurz. Interessant ist, dass beim „Reach“ jeweils nur 6-7 mm zwischen den einzelnen Rahmengrößen liegen; beim „Stack“ sind es jeweils genau 22 mm. Einen Vorbau anderer Länge zu montieren ist kein Problem, da die Züge und Leitungen unter eine Klappe sitzen und nicht wirklich im Vorbau. All das bedeutet, dass man sehr gut zwischen zwei Rahmengrößen wählen kann, je nachdem, ob man etwas aufrechter oder eher flacher sitzen möchte.
Vielseitig auch dank der Ausstattungsvarianten
Und hierin deutet sich an, was das neue Orbea Terra 2022 verspricht: nämlich, dass es extrem vielseitig sein soll. Laut Orbea kommt es gleich drei Fahrer(-innen)typen entgegen – dem „pure graveller“, dem „explorer“ und dem „adventurer“. Erstere(r) legt fährt mit dem Gravelbike lange Tagestouren auf der (Schotter-) Straße, der/die Zweite geht auch mal ins Gelände und Letztere(r) unternimmt Bikepacking-Touren.
Anpassungen an die ersten zwei Kategorien ergeben sich etwa durch den Wechsel von 28-Zoll-Laufrädern zu 650B mit 50 mm breiten Reifen. Und Bikepacker/innen freuen sich über die Option, einen dritten Flaschenhalter anzubringen, wobei sich die Möglichkeiten des Gepäcktransports auf das Übliche beschränken. Halt, nicht ganz: Das Unterrohr dient als Staufach, wobei spezielle Beutel verhindern, dass der Inhalt rappelt; die Klappe unterm Flaschenhalter kann komplett abgenommen und wird mit einem Hebel arretiert. Neu ist das nicht, aber dennoch ziemlich pfiffig. Auch Schutzbleche können montiert werden, was die Reifenfreiheit (bei 28 Zoll) auf 35 mm begrenzt; nicht vorhanden sind allerdings Gewindeeinsätze in der Gabel für die allgegenwärtigen Gepäckhalterungen. Das dürfte die Bikepacking-Fraktion etwas enttäuschen.
Orbea startet mit sechs Modellvarianten, die jeweils in drei Standardlackierungen verfügbar sind, dazu gibt es die Wunschfarben-Option „MyO“. Zum Sortiment gehören vier Shimano-GRX-Modelle: Di2, GRX-RX810 komplett sowie ein GRX-Mix mit 2×11 bzw. 1×11 Gängen. Dazu kommen zwei Bikes mit Sram eTap AXS 1×12, wahlweise in Force- oder in Rival-Qualität. Mit Preisen zwischen 4.999 Euro (Sram Force) und 2.899 Euro (Shimano GRX 1×11) ist das neue Terra nicht allzu teuer; interessant sind diverse Wahlmöglichkeiten bei der Ausstattung, die etwa Laufradsatz, Lenker und Sattel betreffen. Auch ein Rahmenset ist erhältlich, das mit 2.599 Euro allerdings kaum weniger kostet als das günstigste Komplettrad.
Unterm Strich scheint das neue Gravelbike des baskischen Herstellers rundum gelungen: Gerade die klaren Linien mit sauber verlegten Leitungen gefallen, und die Geometrie verspricht einen guten Kompromiss zwischen mehr Rennrad-orientierter Fahrweise und Offroad-Tauglichkeit. Das Warten auf den ersten echten Graveller von Orbea hat sich gelohnt.