Radsport: Am 23. und 24. Juli 2016 steht Stuttgart ganz im Zeichen des Fahrrads. Profi- und Jedermannrennen, gesperrte Straßen für Hobbyfahrer und E-Biker sowie eine große Messe sollen Fahrrad-Begeisterte in die baden-württembergische Metropole locken. Velomotion sprach mit Matthias Pietsch, dem Projektleiter des Events beim Veranstalter Lagardère Unlimited Events.
Herr Pietsch…
Bitte Matthias. Ich bin begeisterter Mountainbiker, da nehmen wir doch besser das Radsport-übliche Du.
Gerne. Matthias, der Velothon Stuttgart möchte kompetitiven Radsport mit urbaner Mobilität, Lifestyle und dem aktuellen Trend E-Bike und Pedelec verknüpfen. Klingt nach vielen unterschiedlichen Aspekten.
Wir verstehen unter Fahrradfahren mehr als nur Rennen fahren. Der Velothon verfolgt ein ganzheitliches Konzept. Wir wollen generell Leute zum Radfahren animieren und bieten dazu für jeden das richtige Paket, egal ob Einsteiger, Alltags- und Gelegenheitsradler, Jedermann-Rennfahrern oder E-Biker – wahlweise auf zwei unterschiedlich langen Kursen. Eines ist dabei für alle gleich: komplett gesperrte und gesicherte Straßen. Dazu wird es ein Profirennen der UCI-Kategorie 1.1 geben, und wir sind auch an einem Kriterium für Lizenzfahrer dran. Allen Teilnehmenden, ganz gleich welcher Kategorie, wollen wir das Gefühl des freien Radfahrens auf abgesperrter Strecke ermöglichen. Und im Zielbereich auf den Cannstatter Wasen findet eine große Sport- und Fahrradmesse mit Schwerpunkt E-Bike statt.
Wollt Ihr damit auch für eine nachhaltigere Form der Mobilität werben? Gerade Stuttgart ist ja ein Inbegriff für die Automobilindustrie und tägliche, kilometerlange Staus.
Diese Thema ist kein kurzer Trend, der bis vor ein paar Jahren noch belächelt wurde, sondern ein mittlerweile ernstgenommenes Thema, und das in vielerlei Hinsicht. Wer Rad fährt, schont Umwelt und Geldbörse, lebt gesünder, ist vitaler und damit leistungsfähiger. Gerade in den verkehrstechnisch kollabierenden Städten ist man zudem flexibler und schneller unterwegs. Kopenhagen und Amsterdam machen vor, was möglich ist. Stuttgart hat zwar eine andere, durchaus anspruchsvolle Topographie, aber angesichts moderner E-Bikes und Pedelecs stellt sich die Frage, warum man hierzulande jeden Tag Stoßstange an Stoßstange steht. Wir wollen die Menschen animieren, das Fahrrad nicht nur beim Velothon, sondern auch im Alltag zu nutzen.
Dann ist die Zielgruppe des Events nicht nur die Jedermann-Rennszene, sondern potenziell die gesamte Bevölkerung.
Das klingt sehr groß, aber im Prinzip ist es so. Wir sind offen für alle Menschen, die gerne Fahrrad fahren.
Ich muss als Rennfahrer beim Event in Stuttgart aber nicht damit rechnen, dass die einzelnen Gruppen durcheinander laufen?
Auf der Strecke definitiv nicht, und genau darin liegt der Reiz. Die Starts erfolgen in Blöcken mit zeitlichem Abstand, zudem in den jeweiligen Kategorien, die dann auch geschlossen gewertet werden. So starten Alltags- oder E-Bikes hinter den Jedermann-Rennfahrern. Wir haben sehr hohe Sicherheitsstandards und verfügen über 20 Jahre organisatorischer Erfahrung bei Rennen mit hohen Teilnehmerzahlen. Beispielsweise organisieren wir in Hamburg die Cyclassics mit gut 20.000 Teilnehmer. Kein Rennfahrer, der mit 40 km/h über die Strecke fliegt, muss fürchten, auf eine Gruppe von Holland-Fahrrädern aufzufahren. Dennoch kann und sollen alle Teilnehmenden weitgehend nach ihrer Façon fahren können, mit der gebotenen Fairness und Sicherheit für sich und andere. Darauf achten wir ohnehin während des Rennens durch Begleitfahrzeuge und mitradelnde Guides. Beim Radsportfest im Zielbereich sollen sich die Gruppen aber natürlich mischen, das macht dann den Festivalcharakter aus.
Für Zuschaueraufkommen soll nicht zuletzt das Profirennen sorgen?
Der Velothon Stuttgart findet am letzten Tour de France-Wochenende statt. Die Aufmerksamkeit für den Radsport ist zu dieser Zeit ohnehin hoch. Wir hoffen dadurch ein breiteres Publikum anzusprechen und überlegen, die TV-Bilder der Tour-Finaltage einzubinden. Verschiedene Teams haben bereits angefragt, und wir stehen in Verhandlungen. Wir würden gerne drei WorldTour-Teams haben, ungefähr zehn ProContinental-Teams und sieben Continental-Teams.
Was erwartet die Teilnehmenden des Jedermannrennens?
Ganz grob zunächst zwei Rennstrecken à 50 oder 110 Kilometer. Ein Highlight ist mit Sicherheit der Start am Schlossplatz in der Stuttgarter Innenstadt. Die Strecke führt dann durch das Neckartal hinaus und nimmt viele landschaftliche und kulturelle Höhepunkte mit: das Porsche- und das Mercedes-Benz-Museum, das Schloss Ludwigsburg, die Bergheimer Steige zum Schloss Solitude und natürlich den Zieleinlauf auf dem Cannstatter Wasen. Das Profil ist wellig und weist einige Höhenmeter auf – ein interessantes Rennen für die sportlich ambitionierten Fahrer. Die 50 Kilometer-Runde ist weniger anspruchsvoll und richtet sich insbesondere an Hobbyradler und E-Biker.
Ab wann kann man sich für das Event anmelden und wie teuer ist die Teilnahme?
Der Anmeldestart ist für Anfang Dezember geplant, die Preise liegen zunächst zwischen 55,- und 61,- Euro.
Die räumliche Trennung von Start und Ziel erhöht den organisatorischen Aufwand für die Teilnehmer. Wie kommt es dazu und welche Unterstützung wird geboten?
Jeder Teilnehmer kann am Start einen Beutel mit Bekleidung, Verpflegung und weiteren Utensilien abgeben, den wir zum Zielbereich transportieren. Was das Parken angeht: Zwischen den beiden Orten liegen gerade einmal fünf Kilometer, also keine wirkliche Distanz für Radler – zumal wir hoffen, dass viele sowieso mit dem Fahrrad anreisen. Warum die Trennung? Der Schlossplatz ist ein Alleinstellungsmerkmal Stuttgarts. In dieser Kulisse auf den Startschuss zu warten und dann loszurollen, ist ein Erlebnis für die Teilnehmer. Herzstück des Events ist der Cannstatter Wasen, wo auch die Messe und das Rahmenprogramm stattfinden und beste Bedingungen für ein solches Radsportfest herrschen. Wir bieten somit allein mit Start und Ziel schon zwei echte Highlights und sind überzeugt, dass unsere Teilnehmer das genauso sehen.
Kritiker bemängeln die zunehmende Professionalisierung der Jedermann-Rennszene, die großen Events zögen Interesse und Sponsorengelder aus dem Lizenz-Radsport ab. Kannst Du solche Stimmen nachvollziehen?
Es ist Aufgabe der Verbände und Vereine, attraktive Angebote für Lizenzrennen zu schaffen. Wir arbeiten eng mit dem württembergischen Radsportverband zusammen. Dieser unterstützt unsere Pläne sehr stark. Unser Ziel ist es, ein Kriterium für Lizenzfahrer in das Event zu integrieren. Zusätzlich haben wir ja das Profirennen. Wir wollen die ganze Breite des Radsports abbilden und eine Plattform schaffen, auch für den Lizenzsport.
Im Jedermannbereich gab es zuletzt mehrere Dopingfälle. Gibt es hierzu eine Strategie seitens des Veranstalters?
Wir arbeiten intensiv an einem Ansatz beziehungsweise wir haben ein juristisch ausgefeiltes und von der NADA [Nationale Anti-Doping-Agentur, d. Red.] befürwortetes Modell in der Schublade liegen. Ins Detail möchte ich da noch nicht gehen, denn es sind zwei Dinge zu beachten. Erstens haben unsere Jedermann-Veranstaltungen absolut untergeordneten Wettkampfcharakter: Es gibt kein Preisgeld, keine Siegerehrungen, keine direkte Kommunikation der Erstplatzierten. Jeder Finisher ist unserer Meinung nach ein Sieger. Es handelt sich also um sportliche Socializing-Events, bei dem der Spaß am gemeinsamen Radfahren im Vordergrund steht. Wir konfrontieren aber bei jeder angedachten Maßnahme zwangsläufig unser gesamtes Teilnehmerfeld mit einem Thema, das nur einen minimalen Bruchteil der Teilnehmer, sprich die Unverbesserlichen betrifft. Also Menschen, die in erster Linie sich selbst betrügen. Das Problem ist, dass wir jede Maßnahme klar in den Ausschreibungen aufzeigen müssten. Man muss sich bewußt sein, dass man den Radsport durch so eine Maßnahme, die zwar gut gemeint ist, eventuell einen Bärendienst erweist. Denn böse Geister interpretieren aus so einer Ausschreibung, dass wir unsere Teilnehmer unter Generalverdacht stellen, was wir mitnichten tun. Es geht bei der Diskussion ja auch nicht um den älteren Teilnehmer, der in Absprache mit seinem Arzt ein Herzmittel nimmt, um gesundheitliche Risiken beim Sport zu reduzieren oder um den Teenager, der sich eine cortisonhaltige Creme auf einen Pickel schmiert. Beide wären gegebenenfalls „positiv“ und hätten theoretisch Sanktionen zu fürchten, denn wir können nicht mit unterschiedlichen Ausschreibungen für die wenigen „Verdächtigen“ und das Gros der normalen Spaßfahrer arbeiten.
Klingt logisch. Und zweitens?
Zweitens müssen wir unseren Veranstalter-Kollegen, die im VDR [Verband Deutscher Radrennveranstalter e.V., d. Red.] organisiert sind, und dem BDR [Bund Deutscher Radfahrer, d. Red.] Zeit geben, auf unseren Vorschlag zu reagieren. Wir haben die Idee in dieser Woche bei beiden Verbänden vorgestellt und sind auf großes Interesse gestoßen. Es hat sich aber auch gezeigt, dass noch einige Dinge zu beachten sind, für die es weitere Gesprächsrunden geben muss. Wir möchten uns mit so einer Maßnahme auch nicht profilieren, sondern ernsthaft einen sinnvollen Beitrag liefern. Insofern ist es wichtig, dass wir Veranstalter das Thema gemeinsam in enger Abstimmung angehen.
Ein anderes ernstes Thema: Die Terroranschläge von Paris sind noch sehr präsent. Im Mai wurde das Profi- und Jedermannrennen in Frankfurt wegen einer konkreten Bedrohungslage abgesagt, 2013 waren Hobbysportler beim Boston Marathon Ziel eines Anschlags. Was bedeutet dies für Euch als Veranstalter?
Wir erarbeiten in enger Abstimmung mit allen zuständigen Behörden ein umfassendes Sicherheitskonzept. Dieses ist ein wichtiger Bestandteil jeder Veranstaltung in Deutschland, ohne erfolgt gar keine Genehmigung. Wir leisten unseren Beitrag, um einen reibungslosen und sicheren Ablauf zu gewährleisten.Die Verantwortung für die Sicherheit liegt vor Ort allerdings bei der Polizei, die ihr wesentliches Konzept natürlich mit uns abstimmt, über die Maßnahmen im Hintergrund aber aus gutem Grund nicht informiert. Zudem sind die Sicherheitsstandards in Deutschland ohnehin sehr hoch, werden ständig überdacht und angepasst, und das nicht erst seit den jüngsten Anschlägen, sondern bereits seit 9/11. Eine Garantie gibt es jedoch ohnehin zu keiner Zeit im öffentlichen Raum.
Am Abend des 24. Juli 2016 fällst Du zu Hause auf die Couch. Wie fühlst Du Dich?
Müde, aber sehr glücklich, weil der Velothon Stuttgart 7.000 zufriedene Teilnehmer, unzählige begeisterte Zuschauer am Straßenrand und einen deutschen Sieger im Profirennen hervorgebracht hat.
Velomotion drückt die Daumen, dass es genauso kommt. Vielen Dank für das Gespräch.