Test Orbea Gain: Die spanische Fahrradmarke Orbea legt mit dem Orbea Gain Allroad ein überzeugendes Konzept vor: auf dem Crossrad mit Motorkraft ins Gelände. Velomotion konnte das Sportbike mit Zusatznutzen bereits ausgiebig testen – hier ist unsere Einschätzung.
E-Mountainbikes rocken die Trails jedes Jahr ein bisschen mehr, aber am Rennrad kommt die Sache mit der Extrakraft nicht so recht vom Fleck. Denn abgesehen davon, dass in diesem Bereich immer noch viele konservative Puristen den Ton angeben, für die ein Zusatzantrieb bestenfalls „Motordoping“ ist, standen vor allem der Mangel an geeigneten Motoren der Verbreitung des E-Renners im Weg. Bei diesem ist nämlich vor allem eines wichtig: Oberhalb von 25 km/h muss der Zusatzantrieb vollständig entkoppelt sein, darf nach dem Abregeln keine Reibung erzeugen oder gar bremsen – sonst wäre nämlich das ganze Rennrad-Feeling dahin. Eine überzeugende Antwort haben kompakte Mittelmotoren gegeben, die sich per Getriebe mit dem Tretlager verbinden. Beim spanischen Hersteller Orbea geht man mit dem Orbea Gain jedoch einen ganz anderen Weg und setzt auf einen Antrieb, der sich nahezu unsichtbar integrieren lässt – den kompakten Nabenmotor X35 des Anbieters Ebikemotion. Der Vorteil dieser Antriebsvariante ist, dass auf eine aufwendige „Verzahnung“ von Motor und Pedalantrieb verzichtet werden kann, wie sie beim Mittelmotor vorliegt. Ein weiterer Vorteil des Nabenmotors: Die Tretlagerbreite bleibt gleich und es können konventionelle Kurbeln mit Mono- oder Doppelkettenblatt gefahren werden. Auch am Rahmen müssen kaum sichtbare Modifikationen erfolgen – größter Unterschied ist das nach vorne versetzte Unterrohr, das den Akku aufnimmt. Dieser kann durch eine Klappe unten vorm Tretlager entnommen werden.
Große Orbea Gain Modellvielfalt
Gleich zehn Gain-Modelle legt Orbea vor, sieben Rennmaschinen und drei Geländeräder, die sich einer klaren Klassifizierung entziehen: Ihre Geometrie geht eher in Richtung Cyclocross; die 40er Reifen riechen nach Gravel. Kein Wunder, teilen sie sich doch die Rahmen mit den Road-Modellen – bei den Alu-Ausfürungen ebenso wie bei den Topmodellen mit Carbonrahmen, die in Sachen Sitzgeometrie noch extremer geschnitten sind. Auch die Fahreigenschaften des Orbea Gain sind sportlich; das Rad erweist sich als angenehm handlich und agil. Wer vom Querfeldeinrad wechselt, fühlt sich definitiv nicht wie auf einem Tourenbike. Die hochwertige Ausstattung – komplette SRAM Force 1 mit 40er Kettenblatt und 11-36er Kassette – ist ebenfalls sehr crossmäßig gewählt und funktioniert in allen Belangen optimal.
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Der Antrieb des Orbea Gain
Der Motor des Orbea selbst ist im Durchmesser etwa so groß wie der Spider der Bremsscheibe und deutlich kleiner als das Abschlussritzel der Kassette, insgesamt also äußerst unauffällig. Und wären nicht der Anschaltknopf am Oberrohr (der auch der Moduswahl dient) und die Ladebuchse am Unterrohr, könnte man das Gain für ein ganz normales Crossrad halten. Der Nabenmotor wird analog einer Schaltnabe im Hinterbau befestigt; die Muttern auf der Vollachse werden per 8er Inbus bedient. Sicherungsscheiben verhindern, dass sich das Hinterrad verdrehen kann. Das außen an der Kettenstrebe geführte Kabel zum Akku ist mit einer soliden Steckverbindung ausgestattet; insgesamt lässt sich das Hinterrad also einfach entnehmen – etwa bei einer Reifenpanne. Das ist ein wichtiger Punkt, zumal E-Bikes mit Mittelmotor in Sachen Radausbau natürlich einen Vorteil haben – im Vergleich zum Gain aber keinen großen.
Die Wirkung des kompakten Aggregats ist schon beim ersten Antritt spürbar. Zwar ist das Drehmoment mit 40 Nm nicht allzu hoch, doch beim Losfahren schiebt der Motor spürbar an, sodass man schnell in den Regelbereich kommt. Bei 25 km/h ändert sich gefühlt gar nichts – kein abruptes Auskoppeln, kein zähes Gefühl beim Pedalieren ohne Unterstützung. Dabei ist der Antrieb nahezu unhörbar.
In seinem Element ist das Ebikemotion-Aggregat natürlich, sobald es bergauf geht. Auf losem Schotter macht sich das reduzierte Drehmoment positiv bemerkbar, welches verhindert, dass das Hinterrad die Traktion verliert. Zumal das Testrad mit eher fein profilierten Kenda-Pneus ausgestattet ist, und auch der Serienreifen, ein Schwalbe G-One Allround, ist nicht allzu bissig.
Der Akku im Unterrohr muss notwendigerweise klein ausfallen und zeigt mit 250 Wattstunden eine genretypisch niedrige Kapazität. Doch am Gain versteht sich der Motor wirklich nur als Unterstützungsantrieb für bestimmte Fahrsituationen; das Bike ist so leichtfüßig, dass man in der Ebene auch unterhalb der 25 km/h locker ohne Motor fahren kann. An kurzen, kraftraubenden Stichen, wie sie im Gelände öfter zu fahren sind als auf der Straße, freut man sich dann am unmerklich einsetzenden, aber wirkungsvollen Schub. Auch bei Gravel-Touren mit Gepäck dürfte der Zusatzmotor hilfreich sein.
Ein Preis der überrascht
Bis hierhin hat das neue Orbea Gain nur gute Seiten gezeigt – doch es geht noch weiter: Mit Pedalen wiegt das Rad rund 14 Kilo, also rund 4,5 Kilo mehr als ein vergleichbar ausgestattetes Bike ohne Motor. Auch der Preisaufschlag gegenüber einem solchen ist überschaubar: Das Gain D21 19 mit kompletter SRAM Force 1×11 ist für 3.299 Euro zu haben; der Aufschlag für den Antrieb liegt also schätzungsweise bei 800 Euro. Preiswerter kann man kaum elektrisch crossen oder „graveln“, angenehmer auch nicht – mit dem Gain ist Orbea also ein großer Wurf gelungen, von dem sich vielleicht auch die konservativen Puristen umstimmen lassen.