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Spektrum: Magura Hausbesuch: Kunststoff-Kunst auf der Schwäbischen Alb

3. November 2018 by Michael Faiß

Hausbesuch: Vor einiger Zeit waren wir zu Besuch auf der Schwäbischen Alb in den Heiligen Hallen von Magura. Der Traditionshersteller produziert noch immer zahlreiche Produkte vor Ort und lenkt die Geschicke noch immer aus dem Elternhaus des Firmengründers, der das Unternehmen Ende des 19. Jahrhunderts ins Leben rief.

Fahrrad-Fans ist Magura wahrscheinlich vor allem als Produzent von hydraulischen Scheiben- und Felgenbremsen bekannt. Doch das ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit: Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens begann Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem sogenannten Geradezugregulierhebel, der den Motorrad-Markt revolutionierte und der Startschuss für die Kooperation mit BMW war, die bis heute andauert. Damit ist Magura der „dienstälteste“ BMW-Zulieferer überhaupt.

Der Hersteller mit Sitz in Bad Urach kann auf eine lange Historie zurückblicken: Gegründet 1893, produziert man auf der Schwäbischen Alb seit 1923 Teile und Komponenten für Motorräder und Fahrräder.


Große Teile der Geschichte stecken bereits in Logo und Firmenname: Das Logo repräsentiert ein essentielles Teil des Geradezugregulierhebels, womit die Erfolgsgeschichte Magura begann. Der Name steht für Gründer Gustav MAGenwirth und Gründungsort Bad URAch.

Die Firma, die Gustav Magenwirth im Alter von erst 27 Jahren gründete, hört mittlerweile auf den Namen Magenwirth Technologies GmbH. Ein Drittel davon ist Magura Hydraulik, ein weiteres Magura Kunststoff – beide gemeinsam verantwortlich für Bremsen am Fahrrad und Motorrad – und bebro electronic. Dass man Tradition im Unternehmen groß schreibt, zeigen nicht nur Name und Logo, sondern auch der Firmensitz: Dieser liegt noch immer im Elternhaus von Gustav Magenwirth im Herzen von Bad Urach, unweit davon sitzt ein Teil der Logistik, nebenan die Magura Bike Parts GmbH, die sich um den Vertrieb und das Handels-Marketing kümmert. Wenige Autominuten entfernt in Hülben und Hengen weite Teile der Produktion und des Spritzgusses für die eigenen Teile.

Im Zuge unseres Besuches hatten wir übrigens auch Gelegenheit, den #customizeyourbrake Ansatz von Magura unter die Finger zu nehmen:



Magura #customizeyourbrake: Individuelle Bremsen für individuelle Biker

Magura Kunststoff in Hülben: Kunststoff kommt von „Kunst“!

In den heiligen Hallen von Hülben schlummern die Kunststoff-Geheimnisse von Magura. In hochkomplexen Spritzgussverfahren entstehen hier unzählige Teile aus unterschiedlichen, auf den Anwendungszweck angepassten Kunststoffen. Plastik ist ein Tabu-Wort in dieser hochtechnisierten Anlage und würde den hier produzierten Teilen auch nicht gerecht werden. Hier entstehen nicht nur Teile für die Magura Bremsen, auch für die Automobil- und Elektronikindustrie ist Magura ein wichtiger Zulieferer.

Der Stoff aus dem die Bremsen sind: Das selbst entwickelte Carbotecture Material bzw. Herstellungsverfahren kommt nicht nur an MTB-Bremsen zum Einsatz, sondern auch bei Kupplungsarmaturen für Motorräder.


Hintergrund: Magura Carbotecture

Wer sich in den letzten Jahren mit Magura oder einer der Bremsen von der Schwäbischen Alb beschäftigt hat, dürfte zweifellos über den Begriff Carbotecture gestolpert sein. Der Hightech-Werkstoff kommt übrigens nicht nur bei Fahrradbremsen zum Einsatz, sondern wird unter anderem auch für Kupplungsarmaturen von BMW Motorrädern verwendet. Stark vereinfacht gesagt ist Carbotecture ein Verbundstoff aus Polymeren und Carbonfasern, die in einem speziellen Verfahren miteinander „verheiratet werden“.

Das Ergebnis ist ein Material, welches bei vergleichbarer Stabilität bis zu 50% leichter ist als beispielsweise Aluminium, das für derartige Einsatzzwecke ansonsten meist zum Einsatz kommt.

Ein optisch wirres, aber letzlich bis ins kleinste Detail geplante Netz aus Schläuchen sorgt für die Luftzufuhr am Beginn des Spritzgussverfahrens.
Das Granulat wird dann weiter in die entsprechenden Anlagen geleitet.
Die Leitungen bestehen übrigens aus Glas, da das Granulat mit so hohem Druck befördert wird, dass selbst Metallrohre nicht lange standhalten würden.


Hier landet das Granulat schlussendlich und wird …
… über die Welle langsam erhitzt und in die entsprechende Spritzgussanlage geleitet und in Form gepresst.
Tadaaa! So kann das Endprodukt dann aussehen. In diesem Fall ein Gebergehäuse für eine Magura HS11 Felgenbremse.

Die fertig gespritzten Werkstücke unterliegen strengen Auflagen und müssen oft innerhalb extrem enger, sicherheitsrelevanter Toleranzbereiche liegen. Gerade bei hydraulischen Anwendungsbereichen sind es oft mikroskopische Distanzen, die darüber entscheiden, ob der Kolben im Gehäuse klemmt, oder der Abstand so groß ist, dass Flüssigkeit austritt. Genau dazwischen liegt der gewünschte Bereich. Übrigens: Auch hier bietet das Carbotecture Material große Vorteile. Kolben und Gehäuse bilden einen natürlichen Schmierfilm, der die Reibung reduziert und halten dadurch auch wesentlich länger, als vergleichbare Kombinationen aus Metall.



Ein eigens eingerichtetes Messlabor in Hülben kontrolliert die hergestellten Werkstücke auf Maßhaltigkeit.
Die dafür nötigen, hochpräzisen Messgeräte sind keine Schnäppchen: Die Spitze dieses optischen Messgeräts kostet bereits weit über 100.000 Euro.

Magura Produktion in Hengen: Made in Germany!

Eine kurze Autofahrt durch die idyllische Schwäbische Alb später, stehen wir auf dem Parkplatz des Magura Werks in Hengen. Hier werden unter anderem auch die Spritzgussteile, deren Entstehung wir soeben in Hülben beobachten durften, zu fertigen Produkten verarbeitet.



Hier beginnt die Reise der Produkte in Hengen…
… in der Montagehalle kommen die Einzelteile für die Produkte an und werden sortiert.

Bevor wir die Montagehalle betreten dürfen, müssen wir uns jedoch in modisch streitbare, aber essentiell wichtige blaue Magura-Mäntel hüllen: Das antistatische Obermaterial verhindert, dass man Fussel oder andere potentiell problematische Partikel von Außen mit ins Werk bringt. Hier werden schließlich hydraulik-Bauteile Montiert, in deren Kreislauf ein Sandkorn zum Totalschaden führen kann.

In der hellen Halle werden jährlich ca. eine viertel Million Produkte montiert.


Ein hoher Automatisierungsgrad vor Ort hält die Produktionskosten trotz „Edel-Standort“ Deutschland in einem verträglichen Rahmen und minimiert mögliche Fehlerquellen. Halb-Stündlich passiert uns der sogenannte „Zug“, der für Teile-Nachschub an den entsprechenden Montage-Inseln sorgt.

Hier sehen wir den Geberkolben…
… der mit Dichtungen versehrt und zusammengefügt wird.
Schlussendlich landet er im entsprechenden Gebergehäuse.
In Reih‘ und Glied! Das Gegenstück zum Geber wartet in einer der blauen Boxen schon auf die Montage.


Gibt’s das auch in groß? Neben Fahrradbremsen werden hier auch Bauteile für Motorräder hergestellt.
Für den Kunden ist die Auswahl verschiedener Bremskonfigurationen sehr komfortabel…
… in der Montage erfordert dies komplexe Prozesse, um bedarfsgerecht entsprechende Bremsen zu produzieren.



Am Ende des Montageprozesses steht das Befüllen der Bremsen auf dem Programm. Hierfür setzt man auf selbst entwickelte Anlagen, die jede Bremse perfekt ab Werk mit Royal Blood – dem Magura-eigenen Mineralöl – befüllen und mit knackigem Druckpunkt serienmäßig ausstatten. Fotografieren dürfen wir hier jedoch nicht – Betriebsgeheimnis!

Bereit zum Verpacken: Bei unserem Besuch werden an einer Montagestation die edlen Magura MT8 Raceline fertiggestellt.
Übrigens: Viel wird über Scheibenbremsen geschrieben, für Magura sind jedoch die hydraulischen Felgenbremsen noch immer das wichtigste Fahrrad-Produkt.
Hier entstehen aus Trägerplatten….
… und Bremsgummis die Bremsbeläge für HS11, HS22 und HS33.


Wenige Meter weiter entstehen beheizbare Griffe. Was Motorradfahrer bereits gut kennen, wird 2019 auch an einigen E-Bikes verbaut werden.

Web

www.magura.com

Stichworte:BremsenFelgenbremsenHydraulikKunststoffMaguraNewsscheibenbremsen

Über Michael Faiß

Michael Faiß hat in München Englisch und Geschichte studiert. Nach einem einjährigen Aufenthalt in England arbeitete er als Übersetzer unter anderem für das Magazin Procycling und das Degen Mediahouse. Außerdem ist er seit der Kindheit passionierter Radfahrer und –schrauber und fühlt sich vor allem abseits der asphaltierten Wege zuhause.

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