Radsport: Ralph Denk ist ein Macher. Als Teamchef der Mannschaft Bora – hansgrohe hat er in den vergangenen Jahren einen großen Einfluss auf den deutschen Profi-Radsport genommen. Wir haben mit dem 49-Jährigen nach dem Eintagesklassiker Lüttich – Bastogne – Lüttich gesprochen. Im Interview verrät er uns unter anderem seine Pläne für den Giro d’Italia, seine Gedanken zur Zukunft der Deutschland Tour und seine Meinung über Tadej Pogacar und Remco Evenepoel.
Rang acht in Lüttich am vergangenen Wochenende für Patrick Konrad. Wie zufrieden wart ihr mit dem Resultat?
Ralph Denk: Also für Patrick ist Platz acht ein großes Ergebnis. Mit Vlasov, Higuita und Hindley waren wir mit unseren besten Leuten dabei, die wir für solche Rennen haben. Wir hätten natürlich schon gerne ums Podium gekämpft, da machen wir keinen Hehl daraus. Wir waren ja auch schon Zweiter und Dritter in Lüttich. Aber bei unseren drei großen Namen gabs eben Gründe, warum es nicht so gut gelaufen ist. Umso erfreulicher, dass dann Patrick einspringt und sagt: „Okay, die Kapitäne können nicht. Heute ist mein Tag.“
„Natürlich ist uns Evenepoel damals schon aufgefallen“
Wie erklärt ihr euch, dass es mit Tadej Pogacar und Remco Evenepoel aktuell zwei Fahrer gibt, die einfach 80 Kilometer vor dem Ziel angreifen und das dann im Solo bis zum Ziel durchziehen können?
Natürlich diskutieren wir intern auch darüber und wir finden, dass wir eine passende Antwort dafür haben. Schließlich haben wir etwas ähnliches auch am eigenen Leib erlebt. Peter Sagan war ja auch ein Fahrer, der gesagt hat: Jetzt fahre ich, jetzt sprinte ich, jetzt gewinne ich. In seinen besten Jahren hat er auf Ansage alles gewonnen. Und dann gibt’s denn Juraj Sagan. Der hat die gleiche Mama, den gleichen Papa und den gleichen Fleiß. Und er hat es gerade so zum gestandenen Berufsfahrer geschafft, obwohl er genetisch eigentlich das gleiche mitbringt. Juraj hat trainiert und trainiert und trainiert, aber er ist irgendwann stehen geblieben. Und Peter – würde ich heute sogar behaupten – hat vielleicht sogar ein bisschen lockerer trainiert. Er ist aber trotzdem viel besser geworden.
Ich kann mich noch erinnern, als mich mein Nachwuchstrainer 2018 angerufen hat. Der war bei einem Junioren-Rennen in Frankreich und hat mir erzählt: „Da ist jemand aus Belgien, der fährt einfach bei Kilometer Null los und fährt dann mit einem Vorsprung von über 15 Minuten über den Zielstrich. Was ist da los?“ Natürlich ist uns Evenepoel damals schon aufgefallen. Ich bin Realist und natürlich könnte man jetzt sagen, dass die irgendwas anders machen, dass sie dopen oder eine andere Herangehensweise haben. Aber er war mit 17 Jahren schon so gut und deshalb gibt mir das schon Kraft zu glauben, dass das alles ehrlich abläuft.
Es ist ja auch nicht so, dass alle Fahrer im Team Soudal – Quick-Step aktuell überperformen würden.
Nein, im Gegenteil. Die anderen Teams haben auch ihre Probleme. Viele ehemalige Fahrer von uns sind zuletzt ja auch dem Geld gefolgt. Ackermann, Formolo und Großschartner sind zu UAE gegangen. Und wenn ich deren Leistungen jetzt bewerte, dann würde ich nicht sagen, dass sie besser geworden sind. Also Formolo zum Beispiel ist für uns Zweiter in Lüttich geworden. Und wo war er in diesem Jahr?
Ich habe ihn nicht gesehen.
Ich auch nicht. Gleiches gilt für Großschartner. Und als Pogacar gestürzt ist, hätte ich gedacht, der sagt sich vielleicht auch: „Heute ist mein Tag.“ Er hätte ja das gleiche machen können, wie Patrick Konrad. Hat er aber nicht. Es wird Gründe dafür gegeben haben. Aber was ich damit sagen will: Es ist jetzt nicht so, dass unsere Fahrer zu so einem Team wechseln und dann plötzlich doppelt so schnell fahren. Ackermann hat für uns 15 Rennen im Jahr gewonnen. Bei UAE steht er jetzt vielleicht bei einem oder zwei.
Bei Jumbo – Visma hingegen hat man schon das Gefühl, dass Fahrer, die dorthin gehen, tatsächlich besser werden.
Wenn du mich so fragst, würde ich schon auch sagen, dass das Team Jumbo – Visma aktuell einen besseren Job macht.
Und trotzdem haben sie bei den wichtigsten Rennen zuletzt nicht den Sieg eingefahren.
Das ist ja das schöne in unserem Sport, dass man eben nicht alles planen kann.
„Bei manchen Fahrern bleibt das Roadbook eingeschweißt“
Wie sieht euer Plan für den Giro d’Italia in diesem Jahr aus? Ihr seid nach dem Gesamtsieg von Jai Hindley Titelverteidiger. Es wurde gesagt, dass Aleksandr Vlasov als Kapitän ins Rennen geht, aber auch Lennard Kämna seine Chance erhält. Heißt das, er wird nicht wie bisher auf Etappenjagd gehen, sondern ebenfalls als Klassementfahrer eingeplant?
Ja. Wir werden es zumindest so angehen. Natürlich entscheiden schlussendlich die Beine. Mal schauen, wie groß der Rückstand nach dem Zeitfahren ist. Das werden wir dann analysieren. Aber absichtlich Zeit verlieren wird er diesmal nicht.
Wie bereiten die Teams ihre Fahrer auf eine Zielankunft vor? Manchmal hat man das Gefühl, dass die Profis – gerade bei kurvigen Ankünften – überhaupt nicht wissen, wie der letzte Kilometer aussieht.
Manche Fahrer haben da Stärken. Die schauen vor dem Rennen ins Roadbook – dort ist es ja wirklich immer schön eingezeichnet – und merken sich das. Andere Fahrer haben ihre Stärken dort nicht, die haben vielleicht andere Stärken. Ich habe beides schon erlebt. Da gibt’s auch Extrembeispiele. Bei manchen Fahrern schaust du am letzten Tag einer großen Landesrundfahrt in den Koffer und findest deren Roadbook noch eingeschweißt.
Jetzt wollen wir natürlich Namen hören.
Nein, also Namen kann ich da jetzt nicht nennen. Aber zum Glück sind mittlerweile ja auch die Technischen Leiter sehr gut ausgestattet. Wir können den Streckenverlauf via Funk genau ansagen. Manche Fahrer tun sich leichter und lieben es, sich damit auseinanderzusetzen. Mir liegt es zum Beispiel, einfach zu wissen, dass wir einen bestimmten Berg in den letzten Jahren schon gefahren sind und ich weiß auch oft noch, wer gewonnen hat. Aber mit manchen Fahrern sprichst du nach dem Rennen und wenn ich sage „den Berg bist du schon viermal hochgefahren“, sagen sie verwundert „nein, den Berg bin ich noch nie hochgefahren.“ Also diese Fälle gibt’s halt auch.
„Finanziell betrachtet herrscht keine Waffengleichheit“
Ihr habt im letzten Jahr den Umbruch zu einem Team für Klassementfahrer erfolgreich durchgeführt. Wie soll die Entwicklung bei Bora – hansgrohe weitergehen?
Wir haben den Umbruch bewusst gewählt. Aber wir haben natürlich auch gewusst, dass das ein sehr waghalsiger Schritt ist, ein schwieriger. Wenn ich schnellen Erfolg möchte, ist es am einfachsten, drei oder vier Sprinter zu verpflichten. Irgendeiner von ihnen wird schon funktionieren. Damals hätten wir locker drei oder vier Sprinter für das Geld bekommen, für das wir dann Sagan verpflichtet haben. Aber wir wollten die Herausforderung und bei großen Landesrundfahrten eine Rolle spielen.
Mit Sagan haben wir ja Paris – Roubaix gewonnen. Mit Hindley jetzt den Giro d’Italia. Und wenn wir beides medial betrachten, sehen wir schon, dass der Giro deutlich überwiegt. Drei Wochen, die Spannung, die Einschaltquoten, die mediale Reichweite usw. Davon haben unsere Sponsoren schon deutlich mehr profitiert. Ich will den Sieg von Peter Sagan in Roubaix natürlich nicht missen, aber das war natürlich auch ein Beweggrund für den Umbruch.
Jetzt messen wir uns mit den ganz Großen, wobei finanziell betrachtet da keine Waffengleichheit herrscht. Das ist schon fordernd. Wir müssen unser Budget ein bisschen intelligenter einsetzen, um da mitzuhalten. Auch deshalb haben wir uns bewusst gegen die Mehrausgaben durch eine eigene U23 entschieden.
Umso wichtiger ist es, dass man sich auch auf seine Sponsoren verlassen kann.
Es ist schon sexy, dass wir greifbare Sponsoren haben. In Lüttich zum Beispiel standen 65 Mitarbeiter von hansgrohe an der Strecke. Die haben mitgefiebert und sind am Tag davor selbst das Jedermann-Rennen mitgefahren. Und wenn der Inhaber von Bora zu einem Rennen kommt, steht er auch manchmal selbst am Straßenrand und reicht unseren Fahrern die Trinkflaschen.
Das sind außergewöhnliche Partnerschaften und gibt uns allen natürlich noch einmal mehr Emotionen, als wie wenn da jetzt irgendein Land, ein Scheich oder ein Oligarch dahinter stecken würde. Aber wir sind Realisten. Im Fußball ist es mittlerweile Gang und Gäbe, dass ganze Staaten ihre Fußballclubs besitzen. Wir müssen beobachten, wie sich das künftig im Radsport entwickelt.
„In Deutschland ist die Tour de France das große Highlight“
Entwickeln wird sich die Deutschland Tour vermutlich über kurz oder lang ebenfalls. Wäre es gut für den deutschen Radsport, wenn sie zur WorldTour aufsteigt? Denn dann hätte man zwar endlich ein einheimisches Mehretappenrennen in der höchsten Klasse des Radsports, aber gleichzeitig könnten die kleinen deutschen Continental-Teams nicht mehr daran teilnehmen. Was denkt ein Ralph Denk darüber?
Oh, das ist eine sehr philosophische Frage. Da muss man jetzt aufpassen, dass man nichts falsches sagt. Aber weißt du, warum ich mich schwer damit tue? Die kleinen Teams sind nicht im Biologischen Blutpass. Ich möchte keinem Conti-Team etwas unterstellen, aber eigentlich ist das nicht ganz fair. Wir sind im Biologischen Blutpass mit drin und wir bezahlen den auch mit ca. 200.000 Euro im Jahr. Das gibt es in keiner anderen Sportart. Also deshalb halte ich es nicht für ganz richtig, immer zusammen zu fahren.
Wenn es in Deutschland Alternativen zur Deutschland Tour geben würde, wäre das auch kein großes Problem.
Absolut. Deshalb sage ich ja: Das ist eine sehr politische Frage. Aber ich plädiere in Sachen Deutschland Tour eher für einen anderen Termin. Denn in Deutschland ist die Tour de France das große Highlight. Alles was davor passiert, ist Aufbau, ist Spannung. Davon hat zum Beispiel auch die Bayern Rundfahrt profitiert. Jetzt fahren wir im Mai in Ungarn, weil es die Bayern Rundfahrt nicht mehr gibt. Ich weiß auch nicht, warum man die Deutschland Tour nicht in den Mai verschiebt. Den Platz dafür würde es geben. Und ich halte das Thema um die Terminverschiebung für wichtiger als das Thema, ob die Deutschland Tour nun zur WorldTour zählt oder nicht.
Bernhard Eisel arbeitet für Bora – hansgrohe als Sportlicher Leiter und gleichzeitig kommentiert er Radrennen auf Eurosport. Wie vertragen sich diese beiden Jobs?
Ich bin natürlich sehr froh darüber, dass meine Sportlichen Leiter – wenn sie gerade nicht im Einsatz sind – die Radrennen verfolgen.
Und wenn er kommentiert, muss er sie verfolgen.
Richtig. Und er muss sich intensiv damit auseinandersetzen und sieht vielleicht sogar das ein oder andere, was wir nicht sehen können. Vielleicht sieht er irgendein Talent oder irgendwelche besonderen Moves.
„Da kommen dir im Radsport die Tränen“
Wagen wir einen Ausblick auf die Tour de France.
Wir wollen mit Sam Bennett eine Etappe im Sprint gewinnen und bestmöglich das Tourdebüt von Jai Hindley vorbereiten. Er kommt als Giro-Sieger zur Tour de France. Ich würde jetzt nicht sagen, dass wir direkt das Podium angreifen. Das wäre bei seiner ersten Teilnahme vermessen. Aber ich traue ihm schon zu, in die Top 5 zu fahren.
Bei der Tour de France sind die Preisgelder einigermaßen akzeptabel. Bei anderen Rennen hingegen sind sie verhältnismäßig gering.
Das stimmt. Weißt du, wie viel der Sieger von Lüttich – Bastogne – Lüttich bekommt? 20.000 Euro. Wer auf Platz 20 landet, bekommt 500 Euro. Ich glaub den Rennveranstaltern schon, dass sie nicht mehr zahlen können. Auch die Veranstalter in Lüttich werden nicht mit mehreren Millionen Euro nach Hause gehen. Aber generell ist es im Radsport ein Problem, dass jeder Rennveranstalter sich selbst vermarktet. Die WorldTour wird ja nicht komplett vermarktet. In Lüttich hängen andere Werbebanden als bei der Flandern-Rundfahrt.
Ich glaube, wenn jeder Rennveranstalter seine eigene Suppe kocht, ist es einfach schwierig. Ich kenne die Summen, die für Werbebanden im Tennis oder in der Formel 1 gezahlt werden. Da kommen dir im Radsport die Tränen. Diese Sportarten sind in dieser Hinsicht einfach deutlich weiter als wir.
Das Interview mit Ralph Denk wurde geführt von Michael Behringer.
Copyright der Fotos: Inscript