Test: Mit 150 bzw. 160mm Federweg, potentem Fox Factory Fahrwerk und abfahrtslastiger Geometrie scheint das Orbea Rallon auf dem Papier mehr Enduro als Allmountain – dank sehr gut funktionierendem Hinterbau und einem stimmigen Gesamtkonzept fühlt es sich jedoch nicht nur als Ballermaschine wohl.
Ende 2017 präsentierten die Basken von Orbea die fünfte Generation des Rallon. Gehörte es zuvor ganz klar in die „Enduro-Schublade“, verpasste man dem neuen Rallon nicht nur erstmals 29″ Laufräder, sondern reduzierte auch den Federweg am Heck auf 150mm – zwar bleiben es satte 160mm an der Front, aber die Message ist klar: Das neue Rallon soll mehr Allrounder sein als reiner Rennbolide. Verändert hat sich im Vergleich zu den Vorgängern jedoch nicht nur Federweg und Laufradgröße – auch beim Rahmenmaterial gehen die Spanier neue Wege: Das Orbea Rallon ist ausschließlich mit Carbonrahmen erhältlich. Hintergrund ist nicht unbedingt die Gewichtsersparnis im Vergleich zu Aluminium, sondern die besondere, asymmetrische Rahmenkonstruktion des Rallon. die sich mit dem Kohlefaser-Werkstoff schlicht besser realisieren lässt.
Ein ganz besonderes Angebot von Orbea versteckt sich hinter dem „Kürzel“ MyO: Damit bezeichnet der Hersteller sein eigenes Customizing-Programm, das es den Käufern gestattet, den Rahmen des neuen Bikes farblich auf die eigenen Wünsche abzustimmen. Dabei gibt es jede Menge Auswahl – von zurückhaltenden Schwarz- und Grautönen, über vorsichtige Pastelltöne bis hin zu knalligen Leuchtfarben ist hier fast alles möglich. Das beste daran: MyO kostet keinen Cent extra.
Orbea Rallon M-Team 19: Ausstattung
Als Testbike haben wir uns die M-Team Variante des Rallons ausgesucht. Ganz bewusst haben wir uns gegen die LTD Topvariante entschieden, obwohl sie mit knapp 9.000 Euro ebenfalls in unser Testfeld gepasst hätte; darin steckt nämlich ein Fox DHX2 Coil-Dämpfer, der das gesamte Rad ein ganzes Stück weiter in Richtung Enduro schiebt – für viele natürlich genau das, was sie möchten, in unserem Allmountain Testfeld macht sich die M-Team Variante mit Fox Factory Fahrwerk und X2 Luftdämpfer am Heck jedoch etwas besser. Auch ansonsten gibt es überhaupt nichts an er hochwertigen Ausstattung auszusetzen: Die 500% Bandbreite des Sram Eagle Antriebs hat sich mittlerweile als Standard in diesem Federwegsbereich etabliert und genügt auch für steile Anstiege in den Alpen – zumal Orbea dem Rallon ein 30-Zähne Blatt an der Descendant Carbon Kurbel spendiert. Etwas schade finden wir, dass man bei Schaltwerk und Schalthebel auf die hochwertige X01 Variante setzt, bei der Kassette jedoch die deutlich schwerere GX-Variante verbaut.
Rahmen | Orbea Monocoque Race Carbon |
Federgabel | Fox 35 Float Factory 160 Grip2 RC2 |
Dämpfer | Fox FLoat X2 Factory 2-Pos |
Laufräder | DT Swiss E1501 Spline 30 |
Reifen VR | Maxxis Aggressor 2.5" |
Reifen HR | Maxxis Minion DHF 2,5" WT |
Schaltwerk | Maxxis Aggressor 2.5" WT |
Schalthebel | Sram X01 Eagle |
Kurbel | Sram Descendant Carbon 32t |
Umwerfer | Ohne |
Bremse | Shimano XT M8020 4-Kolben |
Bremsscheiben | Shimano RT81 203/180mm |
Sattelstütze | Crankbrothers Highline |
Sattel | Selle Italia XR Trail |
Vorbau | Race Face Turbine R 35 |
Lenker | Race Face Next R 35 20mm |
Die Laufräder kommen aus dem Hause DT Swiss und bieten tausendfach bewährte Technik: Dazu gehört der langlebige Zahnscheibenfreilauf, die 30mm breiten Alufelgen und der robuste Aufbau. Darauf sitzt Bereifung von Maxxis – am Hinterrad der Semislick Aggressor, vorn der Trail-Allrounder Minion DHF. Die 2,5″ Breite der Pneus kommt auf den breiten Reifen sehr gut zur Geltung und die Kombination lässt sich innerhalb weniger Minuten auf Tubeless umrüsten.
Etwas ungewohnt, aber in der Saison 2019 an vielen Mountainbikes am Werk verbaut: Die Crankbrothers Highline Variostütze. Während hier früher vor allem RockShox, Kind Shock und Fox dominierten, kommt in den letzten Jahren immer mehr Abwechslung in die Dropper-Post-Welt. Die Crankbrothers Stütze ist dabei ein hochwertiger Vertreter mit ergonomischer Remote und konnte sich in unserer Bestenliste auf die vorderen Plätze schieben. Für’s Bremsen zuständig sind die XT M8020 4-Kolben Bremsen von Shimano – dem Federweg angemessen vorn mit großer 203mm Scheibe.
Orbea Rallon M-Team 19: Geometrie und Rahmendetails
Hochwertige Ausstattung hin oder her: Der Star am Orbea Rallon ist zweifellos der – man kann es kaum anders sagen – wunderschöne Carbonrahmen. Trotz der asymmetrischen Dämpferaufnahme wirkt das ganze Rad wie aus einem Guss, schöne Details wie die hochwertige und funktionale Zugklemmung der intern verlegten Leitungen und die integrierten Rahmenschützer an der Kettenstrebe und am Unterrohr zeigen: Hier hat sich jemand viele Gedanken um das Bike und seinen Einsatzbereich gemacht. Bei den verwendeten Standards gibt es wenige Überraschungen: Boost Achsen vorn und hinten, ein 230mm langer metrischer Dämpfer mit 60mm Hub und ein Pressift-Innenlager. Gefreut hat uns, dass Orbea dem Rallon eine vollwertige ISCG05 Aufnahme spendiert, dank derer sich auch vollwertige Kettenführungen inklusive Taco problemlos montieren lassen.
Modern, potent, aber nicht extrem: So könnte man die Geometrie des Orbea Rallon 2019 wohl am besten zusammenfassen. Mit einem ausgesprochen flachen Lenk- und einem umso steileren Sitzwinkel rückt man den Fahrer zentral auf das Bike, dessen Hauptrahmen für heutige Verhältnisse fast schon etwas kurz ausfällt: 455mm Reach bzw. 611mm Oberrohr in Größe L halten den Radstand angenehm kompakt, damit aus dem Bike auf dem Trail kein Sattelschlepper wird. Die Maße sind jedoch auch in Relation zum recht kurzen Sitzrohr zu setzen: So misst dieses in Größe L lediglich 444mm bzw. 485mm in Größe XL – wer also lieber lange Rahmen fährt, kann auch einfach eine Rahmengröße nach oben gehen, ohne allzu große Probleme mit einer zu langen Stütze zu bekommen. Apropos Rahmengröße: Ein kleiner Wermutstropfen am ansonsten äußerst runden Angebot vom Orbea sind die nur drei Größen für das Rallon. Besonders große oder besonders kleine Fahrer sollten vor dem Kauf besser probesitzen. Übrigens: Per Flipchip lässt sich die Geometrie etwas verändern: Genauer gesagt verändert man damit den Lenkwinkel und die Tretlagerhöhe. Während unseres Tests waren wir meist in der „tourigen“ Einstellung mit etwas steilerem Lenkwinkel und höherem Tretlager unterwegs.
Geometrie Orbea Rallon Team
SM | LG | XL | |
Sitzrohr (in mm) | 406 | 444 | 483 |
Oberrohr horizontal (in mm) | 583 | 611 | 644 |
Steuerrohr (in mm) | 100 | 110 | 125 |
Kettenstrebe (in mm) | 435 | 435 | 435 |
Radstand (in mm) | 1187 | 1217 | 1253 |
Lenkwinkel (in °) | 65.5/65 | 65.5/65 | 65.5/65 |
Sitzwinkel (in °) | 76 | 76 | 76 |
Reach (in mm) | 430 | 455 | 485 |
Stack (in mm) | 615 | 624 | 637 |
Orbea Rallon M-Team 19: Auf dem Trail
Das Rallon sollte ja seine Stärken klar in der Abfahrt haben, so legt das Erscheinungsbild und die Ausstattung nahe. Auf dem Weg zum Traileinstieg fing einer der Tester an zu grübeln: „Is doch eigentlich ein Enduro, komisch, ich hab den Dämpfer doch nicht so straff abgestimmt, wippt aber nix…“ Tatsächlich wippt der Hinterbau je nach Einstallung wirklich kaum bzw. sehr wenig. Das Rallon klettert recht willig für eine Rad welches auch im Bikepark oder beim Enduro Rennen funktionieren soll. Im Testfeld, welches ja recht gemischt ist und trotz tendenziell steilem Lenkwinkel hatten wir Kandidaten die später gestiegen sind. Wenn es eher steil wird, muss man schon etwas Druck auf die Front ausüben. Die Übersetzung ist nicht unbedingt für tausende Höhenmeter optimal, hier wäre eine kleineres Kettenblatt nicht verkehrt. Gemessen daran was das Rallon in der Abfahrt für ein Gesicht zeigt, sind sie Klettereigenschaften aber absolut makellos.
Wie schon erwähnt ist die Geometrie des Rallon nicht extrem, wenn auch sicher noch immer „up to date“. So fühlten sich alle Tester auf dem Rad sofort wohl. Maßgeblich war die sehr angenehme Sitzposition bzw. die auch in der Abfahrt sehr ausgewogene Position des Fahrers auf dem Rad. Im Steilen fühlt man sich sicher, weil man schnell das Gewicht nach hinten bekommt, trotzdem lässt sich in Kurven auch immer genug Druck auf die Front ausüben. Das Handling wurde wiederholt als intuitiv beschrieben. Angenehm ist, dass das Rad nicht klappert, es kommt eher leise daher. Der Hinterbau und die Gabel tragen dabei ordentlich zum guten Fahreindruck bei. Wobei die Fox 36 an der Front im Test das Maß der Dinge war, da kam auch der Hinterbau nicht ganz mit. Während der Rahmen mit allen Details schon sehr nahe am Optimum ist, sich absolut intuitiv handeln lässt, muss man am Hinterbau schon Hand anlegen um dem jeweiligen Geschmack das Fahrwerk anzupassen. Bei den vielen Einstelloptionen de Fox Dämpfers kann wirklich für fast jeden ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden, aber Technik-Legastheniker verzweifeln dabei. Die Gabel bietet ebenfalls viele Einstelloptionen, ist aber etwas einfacher abzustimmen.
Alle Komponenten funktionieren sehr gut. Die Schaltung ist zuverlässig, knackig und hat eine gute Bandbreite, auch wenn zum Saisonbeginn ein kleineres Kettenblatt auf Gegenliebe gestoßen wäre. Die Shimano XT 4-Kolben Bremsen sind sehr gut dosierbar und die Power immer mindestens ausreichend. Die Crankbrothers Teleskopstütze könnte etwas schneller ausfahren, aber die Geschwindigkeit reicht. Lieber so, als andere Sattelstützen, die einen schlagartigen Eingriff in die Kinderplanung versuchen. Der Hebel der Stütze ist übrigens so vielfältig verstellbar wie kaum ein anderer. Das sehr gute Fahrwerk kann eins nicht kaschieren: die Griffe sind sehr dünn und die Hände machen früher schlapp als bei anderen Griff-Gummis. Für mittlere bis große Hände sind sie in unseren Augen nicht optimal. Dafür ist der Rest des Cockpits super, breitem Race-Face Lenker und ergonomischen Bedienhebeln sei dank.