Tour de France Geschichte: Die Tour de France hat in ihrer über 100-jährigen Geschichte viele Duelle hervorgebracht. Das wohl intensivste bekamen die Zuschauer in den 60er Jahren zu sehen. Die Besonderheit: Nicht ein einziges Mal gewann Raymond Poulidor sein Duell gegen Jacques Anquetil. Der wiederum gewann als erster Profi die Tour de France fünfmal. Doch die Franzosen liebten Raymond Poulidor.
Anquetil war stärker, Poulidor beliebter
Vom Erdbeerpflücker zum Radprofi. Jacques Anquetil hat den Sprung geschafft, vom Arbeiter aus der Normandie bis zum Star bei der Tour de France. 1957 nahm er erstmals an der Frankreich-Rundfahrt teil – und gewann prompt mit fast 15 Minuten Vorsprung. Seine weiteren Titel fuhr er zwischen 1961 und 1964 ein. Währenddessen gewann er auch die beiden anderen großen Landesrundfahrten, so dass er bis heute zu den stärksten Radprofis aller Zeiten zählt. Der Beliebteste war er jedoch nie. Deutlich lieber als „Monsieur Chrono“ mochten die Franzosen nämlich ihren „Poupou“. Raymond Poulidor schaffte es bei der Tour de France achtmal aufs Podium – gewann aber nie. So wurde sein Name zum Synonym für „ewiger Zweiter“ und er wurde über die Landesgrenzen hinaus bekannt als „der Mann, der nie die Tour de France gewinnen konnte“. 1964 war Raymond Poulidor so nah dran wie nie. Doch am 12. Juli ließ er sich täuschen.
12. Juli 1964: Ellenbogenduell am Puy de Dôme
Am 12. Juli 1964 wurde französische Sportgeschichte geschrieben. Als starker Zeitfahrer ging Jacques Anquetil wie gewohnt mit einem Vorsprung ins Hochgebirge. 1964 jedoch blieb Raymond Poulidor in Schlagdistanz. Zur entscheidenden Etappe sollte die 20. von Brive zum Puy de Dôme im Zentralmassiv werden. Nebeneinander fuhren sie Ellenbogen an Ellenbogen den Schlussanstieg hinauf. Anquetil war platt. Doch der erfahrene Franzose konnte dies vor seinem Landsmann verbergen. Poulidor wollte mit einer frühzeitigen Attacke kein Risiko eingehen – und wartete. Erst kurz vor dem Ziel griff er an und sah, dass Anquetil völlig am Ende war. Trotzdem konnte Poulidor an diesem Tag nur 14 Sekunden gutmachen. In Paris fehlten ihm 55 Sekunden zum Toursieg. Anquetil gewann zum fünften Mal die Tour de France. Raymond Poulidor wurde erneut Zweiter. Ihm sollte es nie gelingen, das Gelbe Trikot auch nur einen einzigen Tag zu tragen.
Poulidor war dennoch ein erfolgreicher Profi
Das Duell zwischen Anquetil und Poulidor spaltete Frankreich. Auf der einen Seite der kühle, unnahbare Seriensieger Anquetil, auf der anderen Seite der volksnahe, sympathische Poulidor. In einer Zeit, in der die Menschen sich durch ihre Entscheidungen definierten, sahen sie sich gezwungen, eine Seite zu wählen. Beatles oder Rolling Stones? Anquetil oder Poulidor? Auch wenn Poulidor heute größtenteils wegen seiner verlorenen Duelle bekannt ist, konnte er in seiner Karriere durchaus Erfolge feiern. Er gewann 1964 die Vuelta a Espana. In seiner gesamten Karriere durfte er über 195 Siege bejubeln, darunter sieben Etappensiege bei der Tour de France. Außerdem genießt er auch heute noch den Zuspruch der Radsportfans. Nicht zuletzt, weil er der Großvater von Mathieu van der Poel ist. 1966 war er der erste Profi, der sich einem Dopingtest unterziehen ließ. Während die anderen Fahrer sich weigerten und einen Streik anzettelten, hielt sich Poulidor im Hintergrund und verteidigte die Kontrollen.
Anquetil war ein streitbarer Charakter
Die Szenerie 1966 beschrieb die Unterschiede der beiden Charaktere gut. Poulidor zeigte Verständnis für die Kontrollen und wollte als Vorbild dienen. Anquetil hingegen blies zum Gegenangriff und war einer derjenigen, welche zum Streik aufriefen. Nach seiner Karriere gestand er die Einnahme von Dopingsubstanzen. Er starb 1987 an Magenkrebs. Heute wird vermutet, dass er auf Grund des jahrelangen Dopingkonsums erkrankt ist. Auch lange nach seinem Tod geriet Jacques Anquetil noch in die Schlagzeilen. In ihrem Buch „Aus Liebe zu Jacques“ offenbarte seine Tochter Sophie der Öffentlichkeit, dass er jahrelang in Bigamie lebte – mit seiner Ehefrau Jeanine und seiner Stieftochter Annie. Laut Sophie zeugte er Kinder mit seiner Stieftochter und mit seiner Schwiegertochter. Eigenen Angaben zufolge soll Sophie somit die Tochter von Jacques Anquetil und seiner Stieftochter Annie sein. Zu seinen Lebzeiten war dies der Öffentlichkeit jedoch nicht bekannt.