Test HNF Nicolai UD4 All Terrain: Das E-SUB mit dem starken Bosch-Antrieb neuester Bauart fährt mit stufenlosem automatischem Getriebe wie von selbst. Dank langer Federgabel und viel Reifenvolumen ist es auch auf schlechten Strecken in seinem Element.
Vom Fahrrad mit Hilfsmotor haben sich E-Bikes immer weiter entfernt. Am einem modernen Pedelec wie dem HNF Nicolai UD4 All Terrain sind alle Antriebskomponenten integriert; dazu gibt es heute technische Möglichkeiten, von denen man vor kaum zehn Jahren noch nicht zu träumen wagte – etwa die Vernetzung von Bauteilen zu einem kommunizierenden Gesamtsystem.
Motor und Schaltung harmonieren
Ein Beispiel gefällig? Die stufenlose Enviolo-Getriebenabe ist schon seit vielen Jahren am Markt, und als die elektronische Variante 2011 vorgestellt wurde (damals unter dem Namen NuVinci Harmony), war sie noch an konventionellen Fahrrädern ohne Motor verbaut. An diesen machten sich auch die Kehrseiten des Systems bemerkbar – zusätzliches Gewicht, geringerer Wirkungsgrad –, welche jedoch am einem stark motorisierten Elektrorad keine Rolle spielen. Und so kann die Enviolo Automatiq, wie das stufenlose automatische Schaltsystem heute heißt, an E-Bikes wie dem HNF Nicolai UD4 All Terrain ihre Vorzüge voll zur Geltung bringen, nachdem die Schaltung mit elektronischen Updates und stärkerer mechanischer Belastbarkeit auf drehmomentstarke Antriebe à la Bosch Performance Line CX zugeschnitten wurde.
Was ist das Besondere an der Ausstattung des UD4? Erst einmal zum Rad selbst: Mit seinen kantigen Rohrformen und der aufgeräumten Optik ist das Rad ein Paradebeispiel für ein modernes E-SUB, gleich „Sport Utility Bike“. „Sport“, zumal der kräftigste Bosch-Motor mit 85 Nm Drehmoment an Bord ist, „Utility“, also Nutzwert, weil sich das HNF Nicolai natürlich vorzüglich als Alltagsrad eignet, und zwar nicht nur auf Asphalt. Mit den 100 mm Federweg der Luftgabel und großvolumigen Reifen ist es Holperstrecken aller Art gewachsen; die Vierkolbenbremse vorne sorgt für verlässliche Verzögerung, auch wenn man schwer bepackt unterwegs ist.
Nicht untypisch für ein aktuelles E-SUB ist die Rahmenform. Der tiefe Durchstieg ist heute nicht mehr dem Damenrad vorbehalten; stattdessen gilt der Einrohrrahmen als Unisex-Modell. Das groß dimensionierte Unterrohr mit dem integrierten Akku ist nämlich so steif, dass er der waagerechten „Stange“ zur Stabilisierung gar nicht mehr bedarf. So gesehen ist ein Diamantrahmen am E-Bike nur der Optik geschuldet; das UD4 zeichnet sich derweil durch bequemes Auf- und Absteigen aus und lässt sich auch sonst sehr gut handhaben. Der flache Lenkwinkel steht für sicheren Geradeauslauf, die 27,5-Zoll-Laufräder sorgen dafür, dass der Abrollumfang trotz 62 mm breiter Reifen nicht zu groß wird.
Topmodern ist das Nicolai auch in Sachen Bordelektronik mit dem Bosch Smart System. Am Testrad ist das aufpreispflichtige Kiox-Display verbaut, dessen Farbdisplay individuell konfiguriert werden kann. Zum Smart System gehören zahlreiche innovative Funktionen, von denen das Navigationssystem noch die gewöhnlichste ist. Am HNF Nicolai lassen sich die Fahrmodi individualisieren, Fitnessdaten wie Tretfrequenz, Wattleistung und Kalorienverbrauch des Fahrers werden angegeben und natürlich können Strecken hoch- oder runtergeladen werden. Per App sind Software-Updates und das Aufspielen neuer Funktionen möglich. Auch mit dem Smartphone kommuniziert das Bosch-System: So kann es etwa dessen Ladestand anzeigen, außerdem kann das Handy als „eBike Lock“ genutzt werden – dann funktioniert der Antrieb nur, wenn das E-Bike mit dem Smartphone verbunden ist, was als wirkungsvoller Diebstahlschutz dient.
Und noch etwas kann der Antrieb, nämlich mit der elektronischen Schaltung kommunizieren. Und damit wird das Enviolo-Getriebe, bei dem schwenkbar gelagerte Stahlkugeln die Übersetzung zwischen Getriebeeingang und Getriebeausgang verändern, zum Traum schaltfauler Radler. Man muss nur eine Lieblings-Tretfrequenz eingeben (die man freilich über einen kleinen Tastenblock jederzeit verändern kann), und diese wird dann von der Elektronik gehalten, auch wenn sich die Fahrgeschwindigkeit verändert. Die Änderung der Übersetzung ist dabei nicht spürbar. Das hat den ulkigen Effekt, dass ein wenig das Gefühl fürs Tempo verloren geht, hervorgerufen durch schnelleres oder langsameres Treten. Vor allem aber ist die selbsttätige Schaltung am E-Bike sehr angenehm, wo ja ohnehin der Motor einen großen Teil der Vortriebsarbeit übernimmt. Vorteil gegenüber einer konventionellen Gangwechsel ist auch, dass man bei der Enviolo beim Schalten nicht Druck vom Pedal nehmen muss, um das Getriebe zu entlasten. Die aktuelle Variante der stufenlosen Schaltung ist auf Drehmomente bis 120 Nm ausgelegt und damit hoch belastbar.
HNF Nicolai bietet das UD4 auch mit seilzugbetätigter Enviolo an – nicht ganz so komfortabel, dafür aber 450 Euro günstiger. Und auch mit Kettenschaltung ist das Rad erhältlich, was ebenfalls gut zum E-SUB passt. Dann kostet es 5.215 Euro statt der 6.165 Euro in der getesteten Ausstattung.
Getriebeschaltungen werden heute mit einem Zahnriemenantrieb kombiniert, der gegenüber der Kette mit minimalem Wartungsaufwand glänzt und quasi unhörbar läuft – auch das ist ein typisches Merkmal moderne Elektrobikes. Ebenso natürlich eine helle LED-Lichtanlage, beim UD4 mit Bremslicht und Notbremssignal, wobei der Strom für die Lichtanlage nach entsprechenden Gesetzesänderungen nicht mehr von einem Dynamo geliefert werden muss.
Energie an Bord hat das HNF Nicolai ohne Ende, denn im Unterrohr steckt der größte Bosch-Akku mit 750 Wattstunden. Dabei hat der Einrohrrahmen den Vorteil, dass sich die Klappe zum Entnehmen der Batterie auf dem Rohr befindet; bei den Diamantrahmen von HNF befindet sich die Öffnung an der Unterseite des Rohres. Das macht den Ausbau des Akkus deutlich komfortabler, wobei er natürlich auch im Rad geladen werden kann.
Bei einem Merkmal ist das HNF Nicolai UD4 All Terrain dann aber wieder ganz Fahrrad: Wie man es etwa an modernen Rennrädern und Gravelbikes bewundern kann, laufen auch beim E-SUB die nach hinten führenden Leitungen unterm Vorbau in den Rahmen, was für eine aufgeräumte Optik sorgt. Das Fahrrad mit Hilfsmotor sah definitiv anders aus.