Test / Antrieb: Endlich konnten wir den DJI Avinox Antrieb ausführlich unter die Lupe nehmen. Neben unseren üblichen Prüfstandstests musste sich der Newcomer auch in ausführlichen Praxistests den Platzhirschen stellen. Auch wenn der Avinox noch ein paar kleine Schwächen zeigt, ist er ein beeindruckender Einstieg in den Markt und dürfte für viel Furore sorgen.
Mit einem Paukenschlag betrat der hierzulande vor allem für seine Drohnen bekannte chinesische Hersteller DJI im Sommer den E-Bike Markt. Der Avinox Antrieb sorgte mit seinen technischen Eckdaten für offene Münder: Bis zu 120 Nm maximales Drehmoment bei lediglich 2,55 kg Gewicht scheinen fast schon unglaublich. Verbaut wird der DJI Avinox momentan in lediglich einem E-Bike: Dem Amflow PL Carbon, einem E-Mountainbike mit 160 bzw. 150 mm Federweg und einem ebenfalls beeindruckenden Gewicht zwischen 21,5 und 19,5 kg – je nach gewählter Ausstattung und Akkugröße.
Beeindruckende Leistung auf dem Prüfstand
Die Messungen bei unseren Standard-Messpunkten von 250 W und 100 W Eingangsleistung machen direkt mehrere Dinge deutlich: Zum Einen zeigt sich, dass der Avinox einer der kräftigsten Motoren auf dem Markt ist und sich nur dem fast doppelt so schweren TQ HPR120s geschlagen geben muss. Die große Diskrepanz zwischen den beiden Messpunkten macht außerdem deutlich, wie progressiv die Abstimmung der Turbo-Unterstützungsstufe ist; bei all der Power, die der Antrieb zu Verfügung hat, entfaltet diese sich (in Werkseinstellung) erst dann, wenn Fahrer oder Fahrerin auch entsprechend Leistung auf das Pedal bringen. Eine kleine Randnotiz zudem: Die von DJI kommunizierten 850W Maximalleistung können wir mit unseren Parametern nicht erreichen.
Mehr Einblick in die Leistungsentfaltung bringt unsere Leistungskurve, die Eingangs- und Ausgansleistung ins Verhältnis setzt. Wie vermutet belohnt der Avinox eine hohe Eingangsleistung mit größerer Unterstützung; das führt dazu, dass manch anderer Antrieb mit deutlich geringerer Maximalleistung (z.B. Shimano EP801) bei geringer Fahrerleistung mehr Leistung liefert als der Avinox. Diese Abstimmung dürfte für ein dynamisches und sportliches Ansprechverhalten führen; wer gerne mehr Unterstützung bei geringer Leistung hätte, kann über die Smartphone App die Unterstützungsstufen entsprechend anpassen. Ein Novum ist außerdem der Umstand, dass der Avinox auch über die 250 W Fahrerleistung hinaus noch Mehrleistung abgibt – gerade fitte Fahrer dürften an Steilstücken davon profitieren.
DJI Avinox profitiert von hoher Kadenz
Eine frische Perspektive bietet außerdem der Blick auf die von uns aufgezeichnete Kadenzkurve. Dies erfolgt bei durchschnittlich getretenen 130 W Leistung, bildet also ein reguläres Szenario nicht am oberen Leistungsende ab. Hier zeigt sich, dass der Avinox einerseits zwar von einer hohen Trittfrequenz profitiert und hier seine höchste Leistung abrufen kann, durch seine großen Reserven jedoch auch schon bei niedriger Trittfrequenz gleichauf oder über anderen Mittelmotoren liegt.
Der DJI Avinox bietet über den normalen Turbo-Modus hinaus auch noch einen Boost, der sich durch längeres Drücken auf die Pfeiltaste der Remote aktivieren lässt. Danach bleibt der Motor für 30 Sekunden in diesem Zustand, bevor er wieder in die zuvor eingelegte Unterstützung „zurückfällt“. Der Boost lässt sich beliebig oft immer wieder aktivieren. DJI kommuniziert in diesem Modus eine Maximalleistung von 1000 W und bis zu 120 Nm maximales Drehmoment. Wir konnten diese Leistungsversprechen zwar nicht bestätigen, aber dennoch bietet der Boost des DJI Avinox einen messbaren Leistungsschub. Wie groß dieser jedoch ausfällt, variiert. Unsere Vermutung: Der Motor mobilisiert hier alle Reserven in der entsprechenden Situation, abhängig von der Temperatur des Motors, dem Ladestand des Akkus und der gewählten Unterstützungsstufe. In den meisten Fällen lag die zusätzliche Leistung bei unseren Messungen zwischen 50 und 100 Watt.
Derating: Hat der Avinox ein Hitzeproblem?
Spannend wird es beim Blick auf das Derating des DJI Avinox. Mit Derating bezeichnet man das Drosseln des Motors unter anhaltender Belastung. Angesichts seiner kompakten Abmessungen, des geringen Gewichts und den gleichzeitig beeindruckenden Leistungsdaten könnte das Kraftpaket hier durchaus Federn lassen. Bei unserer Standardmessung über 15 Minuten bei 250 W Dauerlast auf dem Pedal und simulierten 10% Steigung zeigt sich der Avinox jedoch recht unbeeindruckt. Zwar kann man über die gesamte Zeit leichte Leistungsschwankungen von ca. 5% beobachten, die jedoch in der Praxis kaum spürbar sein dürften. Gegen Ende der Messung konnten wir jedoch einen kleinen Leistungseinbruch verzeichnen, der uns verleitete, die Messung weiter laufen zu lassen.
Nach weiteren sieben Minuten, insgesamt also 22, schaltete der Motor nach kurzer, drastischer Leistungsreduktion komplett ab. Das Display zeigte einen roten Punkt und unterschiedliche Fehlermeldungen. Erst nach rund 15 Minuten konnten wir den Motor wieder zur Zusammenarbeit bewegen. Ähnlich sah es bei der gleichen Messung in der nicht ganz so starken Trail-Unterstützungsstufe aus, hier hielt der Avinox jedoch rund eine halbe Stunde durch. Unter Nutzung der Boost-Funktion verkürzte sich die Laufzeit hingegen auf rund 20 Minuten.
DJI scheint hier mit dem Avinox einen etwas anderen Weg zu gehen als Bosch, Shimano und Co. Bisherige Motoren reduzieren schon früh ihre Leistung und bleiben dann konstant auf diesem etwas niedrigeren Leistungsniveau, um ein Abschalten zu verhindern. DJI entschied sich wohl dazu, dem Antrieb mehr oder weniger volle Leistung zu geben – bis zur kompletten Abschaltung.
Diese Erkenntnisse sollte man jedoch unter zwei wichtigen Gesichtspunkten einordnen:
- Es handelt sich um eine Prüfstandsmessung unter sehr hoher Leistung. In der Praxis konnten wir dieses Verhalten nicht reproduzieren. Möglicherweise spielen die niedrigen Temperaturen derzeit eine Rolle – aber mit Sicherheit sagen wird man das erst nach mehr Erfahrungswerten können. Derzeit steht die Abschaltung noch als rein theoretisches Szenario in Laborbedingungen.
- Da uns nur ein Testrad mit 600 Wh Akku zu Verfügung stand, können wir nicht ausschließen, dass das Amflow PL mit 800 Wh Akku länger durchhält oder gar nicht abschalten muss. Denn neben dem Motor könnte auch die hohe Energieentnahme aus dem Akku ein Grund für das Verhalten sein.
Sanftes Abschalten und schnelles Ladegerät
Einen Sonderweg scheint DJI auch beim Abschaltverhalten rund um die 25 km/h-Grenze zu beschreiten. Bereits recht früh – bei ca. 22 km/h – beginnt der Avinox seine Leistung langsam zu drosseln, bis er bei etwas über 25 km/h seine Unterstützung komplett einstellt. Quasi alle anderen Mittelmotoren unterstützen länger und reduzieren die Leistung dann schneller und stärker. Hier steht ein maximales Ausreizen der rechtlichen Grenzen einem möglichst sanften, natürlichen Fahrverhalten gegenüber.
Die Messungen zum Energieverbrauch haben wir sowohl unter Laborbedingungen als auch in der Praxis durchgeführt. Auch wenn sich der Grundsatz „Mehr Leistung heißt auch mehr Verbrauch“ erneut bewahrheitet, zeigt der Avinox in den Uphill-Messungen leichte Vorteile gegenüber vergleichbar kräftigen Motoren – zumindest auf dem Prüfstand. In der Praxis wurde gegenüber dem Bosch CX Gen 5 der Mehrverbrauch deutlich – natürlich bei entsprechend stärkerer Unterstützung. Wer dem 600 oder 800 Wh Akku des DJI Avinox also große Reichweiten entlocken möchte, sollte entweder den Eco-Modus nutzen oder die Unterstützung über die Avinox-App entsprechend individualisieren.
Das DJI Avinox Antriebssystem legt nicht nur bei den Leistungsdaten die Messlatte höher – gleiches gilt auch für die Ladegeräte. Beim Amflow PL Carbon liegt ein kompakter 12A (!) Charger bei. Die Leistung liegt damit beim Dreifachen eines regulären Bosch 4A-Ladgeräts. Auch das haben wir nachgemessen: Unser 600 Wh Akku war nach 2:15 Stunden von 0 auf 100% geladen. Nicht mal eine Stunde war nötig, um den Akku halb voll zu laden. Stark! Zum Vergleich: Ein Bosch Powertube 600 benötigte über vier Stunden zur vollständigen Ladung. Auch wenn das Ladegerät in Verbindung mit dem 600 Wh Akku die versprochenen 12A also nicht ganz erreicht, ist die Ladegeschwindigkeit deutlich über der der Konkurrenz. Ob das den Akkus auf Dauer schadet, lässt sich noch nicht beantworten. DJI macht diesbezüglich ähnliche Angaben wie seine Mitbewerber: Nach 500 Ladezyklen sollen immer noch mindestens 80% der Kapazität zu Verfügung stehen.
Starke Peripherie
Stand heute ist der DJI Avinox mit zwei Akkus erhältlich mit 600 oder 800 Wh Kapazität. Beide bieten eine sehr hohe Energiedichte und bringen lediglich 2,8 kg bzw. 3,7 kg auf die Waage. Beim Amflow PL Carbon sind die Energiespeicher fest im Rahmen verbaut, wir hoffen jedoch künftig auch auf entnehmbare Lösungen für größere Flexibilität.
Auftrumpfen kann das Antriebssystem auch beim Thema Display, Bedienung und Konnektivität. Das Gehirn des Systems sitzt im Oberrohr in Form eines hellen Farbdisplays, das dank seiner leicht matten Oberfläche auch in der Sonne bestens ablesbar bleibt. Die Bedienung erfolgt entweder hier direkt über Touch-Eingaben oder über das optionale, kabellose Bedienteil am Lenker. Zwei davon liegen dem Amflow PL Carbon bei, für je die rechte und linke Lenkerseite. Eines erlaubt das Wechseln der Unterstützung, Aktivierung des Boost und der Schiebehilfe. Das andere Bedienteil ersetzt quasi die Touch-Funktion. Die Darstellung auf dem Display selbst ist übersichtlich und hochindividualisierbar. Während des Tests fielen jedoch leichte Ungenauigkeiten bei der Angabe des Akkustands und der Eingangsleistung auf.
Integriertes GPS und ein LTE-Modem (letzteres benötigt eine SIM-Karte für voll Funktionalität) erlauben die Ortung des Bikes über die Avinox-App und entsprechenden Diebstahlschutz. Der kurze Testzeitraum genügte leider nicht, um die vielfältigen Funktionen der App zu erforschen. Das werden wir jedoch zeitnah nachholen.
Der DJI Avinox Antrieb am Amflow PL Carbon in der Praxis
In der Praxis legt der Motoren-Erstling von DJI eine ebenso beeindruckende Leistung hin wie im Labor: Trotz seiner unbändigen Power fühlt sich der Avinox immer gut kontrollierbar, dosierbar und dynamisch an. Nie kommt das Gefühl des Motorradfahrens auf, das viele der stärkeren Motoren in der Vergangenheit zeigten. Unabhängig von Trittfrequenz und Steigung beeindruckt das Ansprechverhalten und selbst bei schwierigen Bedingungen verlor unser Testbike nur selten die Traktion am Hinterrad. Falls das der Fall war, lag es dann meist am spärlich profilierten Hinterreifen und nicht am Avinox. Seine hohe Leistung lässt herkömmliche Mittelmotoren fast schon wie Light-Assist-Aggregate aussehen; selbst steilste Anstiege meistert der DJI Avinox absolut ohne Probleme – und bei gleichzeitig beeindruckend geringer Geräuschkulisse.
Mehr als ein sonoren Summen haben wir vom DJI Motor in der Praxis nie vernehmen können. Klar, bei Volllast ist der Antrieb hörbar, drängt sich jedoch zu keinem Zeitpunkt störend in den Vordergrund und liegt hier ungefähr auf einem Niveau mit dem neuen Bosch CX Gen 5. Auf dem Trail trübte jedoch leider lautes Klappern den Fahrspaß ein wenig. Auch wenn dieses teilweise auf die Leitungen und Züge unseres Testbikes zurückzuführen war, vermuten wir auch leichtes Motorklappern; mit Sicherheit können wir dies zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht sagen. Hierfür muss man eventuell auch abwarten, bis der DJI Avinox in weiteren Modellen verfügbar sein wird.