Radsport: In der vergangenen Woche wurde bekanntgegeben, dass die UCI künftig den Supertuck und das Armauflegen untersagen möchte. Am 1. April treten die neuen Regeln und Verbote in Kraft. Wir haben uns die Thematik etwas genauer angesehen und lassen auch die Profis zu Wort kommen.
Ab 1. April verboten: Supertuck & Armauflegen
Nein, es ist kein Aprilscherz. Ab dem 1. April will die UCI keinen Profi mehr sehen, der in der Sitzposition Supertuck die Abfahrten herunter heizt oder in der Zeitfahr-Position seine Arme auf den Lenker legt. Der Radsport-Weltverband begründet dies mit dem Argument der Sicherheit. Im Schreiben steht deutlich: „Auf dem Oberrohr sitzen ist verboten.“ Bekanntgeworden ist diese Sitzposition – Supertuck genannt – in den vergangenen Jahren vor allem durch Chris Froome. Auf der 8. Etappe der Tour de France 2016 setzte er über eine Kuppe hinweg eine solche Attacke und fuhr auf seine Kontrahenten einen Vorsprung von 13 Sekunden heraus.
In der Ebene sehen wir vor allem in Ausreißergruppen viele Profis ihre Unterarme auf dem Lenker ablegen. Warum? Weil der Luftwiderstand geringer wird und die Position bequemer ist. Eigentlich kein Problem, würde die UCI die Zeitfahrlenker auch in Straßenrennen erlauben. Doch das Verwenden ebendieser wurde schon vor Jahren untersagt. Seitdem legen die Profis ihre Arme genauso auf den Lenker – nur ohne entsprechenden Aufsatz. Auch dies wird nun ab 1. April verboten sein.
Was bringen diese beiden Sitzpositionen überhaupt?
Natürlich wurde der reine Effekt der neuen Verbote auch wissenschaftlich analysiert und hinterfragt, denn gerade im Radsport gibt es ja kaum noch etwas, was nicht erforscht ist. Die Aerodynamik-Spezialisten von SwissSide haben dafür alles mal genauer unter die Lupe genommen. Hier soll alles ganz neutral betrachtet und sich lediglich auf die Daten berufen werden.
Was bringt der Supertuck?
Der Supertuck ist schon länger ein probates Mittel, um auf einer schnellen Abfahrt einen Vorsprung herausfahren zu können. Gerade um sich von einer größeren Gruppe oder dem Hauptfeld absetzen zu können, muss man eine deutlich höhere Geschwindigkeit an den Tag legen. Nicht ohne Grund ist der Supertuck nicht nur zu einer Abfahrtsposition, sondern schon fast zu einer Taktikvariante geworden. Aber wie viel schneller ist er wirklich?
Durch Aero-Test wurde ersichtlich, dass der Unterschied im Luftwiderstand bei einer realistischen Abfahrtsgeschwindigkeit von rund 70 km/h satte 135 Watt beträgt. Auf einer Abfahrt mit 8% Gefälle geht man somit von einer 5km/h höheren Höchstgeschwindgkeit aus, wenn man die Supertuck Position wählt. Das bringt auf einer 10 Kilometer Abfahrt ca. 30 Sekunden Zeitersparnis.
Sprich: Ein Fahrer holt ungefähr 30 Sekunden Vorsprung in der Abfahrt heraus, wenn er die Supertuck-Position wählt und sein Gegner im Sattel bleibt. Wenn diese Position nicht mehr erlaubt ist, fällt diese Taktik weg. Allerdings muss man natürlich auch sagen, dass bisher sowohl Ausreißer, als auch Verfolger die Position eingenommen haben und sich daher dieser Vorteil vermutlich von selbst aufgehoben haben dürfte. Es wird wohl nach wie vor viel mehr die Fahrlinie, die Beschleunigung nach den Kurven und die Risikobereitschaft sein, welches den Unterschied auf Abfahrten herbeiführt – Supertuck hin oder her.
Was bringt „Armauflegen/Zeitfahrposition“?
Die zweite kontrovers diskutierte Regel ist das Verbot des Armauflegens. Gerade Ausreißer oder Sprintvorbereiter haben im Flachen häufig davon Gebrauch gemacht, um durch die zeitfahrähnliche Position Kraft zu sparen. Auch durch diese Position lässt sich im Vergleich zum Unterlenker ein großer Aerovorteil herausholen. Bei einer realen Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h liegt der Unterschied zwischen Position im Unterlenker mit halbgebeugten Armen oder „Zeitfahrposition“ zwischen 24 und 41 Watt.
Auf einer 10-km-Strecke bei typischer Leistung für ein Straßenrennen geht es dabei um ca. 13 Sekunden. Geht man davon aus, dass jeder in gleicher Position fährt, also sowohl der Führende der Ausreißergruppe als auch der der Verfolger, gäbe es keinen Unterschied. In der Realität ist die Verfolgergruppe aber selten so diszipliniert gewesen wie die Ausreißer und hat im Vergleich zu diesen nicht immer die beste Aeroposition eingenommen. Gerade im Finale hat dies wohl sicher für deutlich mehr Spannung gesorgt und den Ausreißern etwas mehr Chancen eingeräumt den Sieg nach Hause zu fahren.
Viele Profis kritisieren die Verbote der UCI
Chris Froome liebt ihn, Lance Armstrong hasst ihn. Der Supertuck spaltet selbst die Profis. Klar ist jedoch: Diese aerodynamische Sitzposition bringt einen Geschwindigkeits- und damit auch einen Zeit-Vorteil mit sich. Sicher fühlen sich die Fahrer trotzdem. Deshalb sehen die Verbote viele Profis kritisch.
Rick Zabel:
„Also jetzt wird es lächerlich.“
Iljo Keisse:
„Wir werden selbst entscheiden, wie wir Radfahren und abfahren. Bei der UCI sollten sie erstmal sicherstellen, dass all das in Ordnung ist, was sie selbst verantworten…“
Matteo Trentin:
„Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber sie hätten nur ihre Mails checken und die Regelvorschläge herunterladen müssen. Jetzt zu tweeten, dass sie nicht informiert wurden, ist leicht. Aber es wurden Mails an über 800 Fahrer geschickt und ich kann Ihnen sagen, dass nur 16 Fahrer die Informationen heruntergeladen haben.“
Simon Geschke:
„Und was ist mit den Bergab-Sprints, wie zum Beispiel den einen bei der Polen-Rundfahrt im letzten Jahr, der fast jemanden getötet hätte?
What about downhill sprints like the one in the @Tour_de_Pologne last year that nearly killed someone @UCI_cycling ? https://t.co/x55A7dfHXs
— Simon Geschke (@simongeschke) February 4, 2021
Kommentar von Florian Nowak: „Waren diese Positionen wirklich das größte Sicherheitsproblem im Radsport?!“
Grundsätzlich muss man die beiden Verbote unabhängig voneinander beurteilen. Der Supertuck ist das eine, hier gibt es ja keine wirkliche Not diese vermeintlich gefährliche Position einzunehmen. Denn ganz ehrlich: Wer schon mal so gefahren ist wird schnell merken, dass es sich nicht wirklich angenehm – im Sinne von komfortabel – anfühlt. Dennoch befinden wir uns im Profi- bzw. Rennsport und da nimmt man nun leider Risiken in Kauf und geht an die Grenze. Gerade hier wird recht schnell die Vorbildfunktion der Radprofis in den Ring geworfen, um dieses Verbot zu rechtfertigen. Allerdings kann man diese Vorbildfunktion ja auf sämtliche andere Sportarten und Lebensbereiche übertragen. Egal ob es der Motorrennsport ist, wo Fahrer mit über 300 km/h auf eine Kurve zu fahren oder der Skirennfahrer, der sich mit 140km/h die Streif in Kitzbühel hinunterstürzt, jede Sportart bringt Idole, Helden und Vorbilder mit sich, die eine gewisse Verantwortung tragen. Dennoch handelt es sich hier immer noch um perfekt ausgebildete Athleten, die nichts anderes machen als in diesem Fall eben Radfahren. Man würde ja auch keinem Nachwuchs oder Hobbyfahrer empfehlen bei 0 Grad und strömendem Regen 200 Kilometer in Angriff zu nehmen, aber hier wird öfter mal ein Auge zugedrückt oder mit der Begründung „Es sind ja Profis“ gearbeitet. Dennoch lässt sich hier dieses Verbot zumindest in den Ansätzen rechtfertigen.
Die zweite Neuerung – das Verbot des Armauflegen – schießt aber für viele den Vogel ab und wirft doch erhebliche Fragen auf, ob das tatsächlich so ein großes Sicherheitsproblem im Profiradsport darstellt. Spätestens ab hier scheint auch die Forderung der Profis mehr als gerechtfertigt, sich erst einmal um bessere Sicherheitskonzepte zu bemühen und durch verbesserte Absperrungen oder Streckenführungen die eigentliche Gefahr aus den Rennen zu nehmen. Außerdem geht es hier aus meiner Sicht noch um einen weiteren, nicht gerade unerheblichen Kritikpunkt. Denn gerade das Armauflegen bringt für jeden Radfahrer zumindest etwas Abwechslung in die sehr eingeschränkten Sitzpositionen. Hier frage ich mich teilweise schon, ob die Verantwortlichen überhaupt schon einmal 200 Kilometer sogar mehrere Tage hintereinander gefahren sind. Ab und zu muss man einfach seine Handflächen entlasten und mal ein paar Meter oder Kilometer in einer anderen Position unterwegs sein. Auch ich fahre im Training häufig längere Zeit mit den Armen auf dem Lenker und hier geht es ja wohl wirklich nicht um Geschwindigkeitsvorteile oder ähnliches.
Abschließend möchte ich einfach nur eine offene Frage in den Raum stellen:
Gibt es derzeit nur einen aktiven Profi der die neuen Regeln öffentlich befürwortet
und sich dafür einsetzt, dass der Supertuck verboten wird?