Radsport: Nach zahlreichen Saison-Highlights steht wie immer zum Ende des Radsport-Jahres die letzte Grand Tour auf dem Programm: Die Vuelta a España! Die dreiwöchige Landesrundfahrt durch Spanien darf auch in diesem Jahr namhafte Fahrer am Start begrüßen. Wir blicken auf die Startliste und schauen uns an, wer Chancen auf das Podium hat. Das sind unsere Vuelta Favoriten.
Erneut eine berglastige spanische Landesrundfahrt
Am 20. August startet die 71. Vuelta a España. Bis zum 11. September müssen die Fahrer auf dem Weg von Ourense nach Madrid 3.277,3 km verteilt auf 21 Etappen zurücklegen. Am Start stehen werden dabei die 18 UCI World Tour Teams und die vier mit einer Wildcard ausgestatteten UCI Professional Continental Teams. Wie schon bei der Tour de France erhielt neben den beiden französischen Teams Cofidis Solutions Crédits und Direct Énergie auch die deutsche Mannschaft Bora-Argon 18 eine Startgenehmigung. Das spanische Team Caja Rural-Seguros RGA komplettiert die Startliste. Zu den Favoriten auf den Gesamtsieg zählen in diesem Jahr vor allem altbekannte Fahrer, aber auch ein paar Youngsters könnten ihren großen Durchbruch zum Abschluss des Jahres schaffen. Dafür müssen sie aber gleich in mehreren Disziplinen glänzen. Zum Auftakt steht ein Mannschaftszeitfahren an und in der letzten Woche müssen die Fahrer dann alleine im Kampf gegen die Uhr ran. Doch der Hauptfokus liegt wieder einmal in den Bergen, denn nicht weniger als zehn Bergankünfte stehen auf dem Programm. Mit Halbgas wird man bei dieser Vuelta also definitiv nicht vorne rein fahren können. Doch es gibt genügend Fahrer, denen man eine Top-Platzierung zutraut. Schließlich steht auch hier ein großer Teil des Favoritenfeldes der Tour de France am Start. Unsere Vuelta Favoriten umfassen nicht weniger als neun Fahrer + ein paar ihrer Teamkollegen.
Alberto Contador (Tinkoff)
Die Statistiken sprechen eine eindeutige Sprache: Alberto Contador gewann die Spanienrundfahrt jedes Mal, wenn er am Start stand. Auch die Abergläubischen werden an einen Erfolg von Contador glauben: Seine drei Siege bei der Vuelta gab es nämlich in den Jahren 2008, 2012 und 2014 – auch 2016 wäre eine gerade Jahreszahl. Doch all diese Statstiken liegen in der Vergangenheit. Contador scheint nicht mehr so stark wie früher zu sein. Quintana und Froome konnte er in wichtigen Rennen im Mann gegen Mann Duell schon länger nicht mehr bezwingen. Immerhin: Während Froome bei den Olympischen Spielen in Rio leichte Schwächen offenbarte, gewann Contador die Vuelta a Burgos. Dem Spanier gelang es schon häufiger, zur Vuelta in Topform zu sein, obwohl ein Start eigentlich eher zufällig zustande kam. Auf ein starkes Team wird er wohl auch bauen können – bei einem der letzten Auftritte des Teams Tinkoff. Im Vergleich zu Movistar und Sky ist man aber wohl als etwas schwächer einzuschätzen.
Chris Froome (Sky)
Seit dem Jahr 2011 kann Chris Froome beeindruckende Zahlen vorweisen. Besonders bei den Grand Tours war er nur äußerst selten zu schlagen. In den vergangenen sechs Jahren beendete er sieben große Landesrundfahrten: Viermal die Tour und dreimal die Vuelta. Neben drei Gesamtsiegen stehen dabei noch drei zweite Plätze und ein vierter Rang in den Ergebnislisten. Bisher blieb ihm bei der Vuelta der Gesamtsieg aber verwehrt. Ob es in diesem Jahr endlich reicht? Nach dem Sieg bei der Tour de France und zwei anstrengenden Rennen in Rio bei den Olympischen Spielen scheint es eher ungewiss zu sein, ob Froome seine Topform direkt noch einmal erreichen kann. An der Zusammensetzung seines Teams wird es vermutlich nicht scheitern. Das Team Sky wird auch hier eine starke Truppe aufbieten können, auch wenn die acht Helfer insgesamt nicht ganz so stark sein werden wie bei der Tour. Mikel Landa beispielsweise wird neben seinen Helferdiensten auch in die Bresche springen können, falls sich Froome nicht so gut fühlen sollte.
Nairo Quintana (Movistar)
Der Kolumbianer Nairo Quintana wird zusammen mit seinem Teamkollegen Alejandro Valverde an den Start gehen. Beide zeigten eine enttäuschende Leistung bei der Tour de France. Keineswegs konnte der ansonsten am Berg so starke Kolumbianer mit Chris Froome mithalten oder ihn gar im Hochgebirge stehen lassen. Das soll nun bei der Vuelta anders werden. Auch deshalb, weil Quintana seit der Tour de France kein Rennen mehr gefahren ist und sich konzentriert auf die Vuelta vorbereitet hat. Sein bisher bestes Resultat war Gesamtrang vier im letzten Jahr. Wenn er seinen Formaufbau besser steuern konnte als noch vor einigen Monaten, dann wird er bei diesem sehr bergigen Profil definitiv zu den Topfavoriten zu zählen sein. Das Team Movistar wird zudem traditionell eines der stärksten im Feld sein. Nicht zuletzt wegen der Doppelspitze Quintana / Valverde. Übrigens: Valverde ist in diesem Jahr dann alle drei Grand Tours gefahren!
Esteban Chaves (Orica-BikeExchange)
Dem Kolumbianer Esteban Chaves gelang hier vor einem Jahr der Durchbruch im Profi-Radsport. Mit zwei Etappensiegen und Rang fünf im Gesamtklassement hinterließ er in Spanien ein Ausrufezeichen. Seine guten Leistungen bestätigte er dann im Mai diesen Jahres beim Giro d’Italia, als er hinter Vincenzo Nibali Zweiter wurde und einen Etappensieg feiern konnte. Seitdem hat er nur beim Olympischen Straßenrennen teilgenommen und sich auf die Vuelta vorbereitet. Mit ihm ist also in jedem Fall zu rechnen, da er im Vergleich zu vielen anderen Fahrern noch recht frisch sein wird. Sein Team Orica-BikeExchange wird sich ansonsten – wie gewohnt – vorwiegend auf Etappensiege konzentrieren. Mit Simon Yates kann er aber in den Bergen auf einen talentierten Helfer zurückgreifen. Dieser zählt zwar nicht direkt zu den Vuelta Favoriten, wird sich aber an den Leistungen seines Bruders Adam bei der Tour de France messen lassen müssen.
Steven Kruijswijk (LottoNL-Jumbo)
Die Wahl zum Pechvogel des Jahres hat Steven Kruijswijk schon so gut wie gewonnen. Der Niederländer wurde beim Giro d’Italia im Mai Gesamtvierter. Dieses Ergebnis hätte er vermutlich vor dem Start der Rundfahrt unterschrieben, doch letztendlich wird er sich danach mehr geärgert als gefreut haben. Denn: Er trug lange das Trikot des Gesamtführenden und sah bereits wie der sichere Sieger aus, ehe er in einer Abfahrt von der Strecke abkam und gegen eine Wand aus Eis und Schnee prallte. So musste er nicht nur das Maglia Rosa abgeben, sondern stolperte sogar noch vom Treppchen. Nun will er sich seinen verdienten Podiumsplatz bei der Vuelta holen. Zusammen mit Edelhelfer Robert Gesink soll er die niederländischen Fahnen hochhalten.
Andrew Talansky (Cannondale)
Auf den Durchbruch von Andrew Talansky warten die Radsport-Fans seit geraumer Zeit. Im Jahr 2012 fuhr er auf Rang sieben der Vuelta, 2013 dann auf Platz zehn der Tour de France. Seitdem konnte er diese Top Ergebnisse nicht mehr wiederholen. Der mittlerweile fast 28-jährige US-Amerikaner befindet sich aber nun im besten Radsportalter und nicht wenige trauen ihm bei dieser Austragung der Vuelta endlich wieder etwas mehr zu. Die Gründe dafür sind nicht nur die guten Auftritte bei der Tour de Suisse und im Heimatland in Californien und Utah, sondern auch die konzentrierte Vorbereitung auf diese Vuelta. Er verzichtete auf die Tour de France und fokussierte sich auf die Spanienrundfahrt. Dort wird er nun als Leader an den Start gehen. Ob er auf die Helferdienste von Rigoberto Uran bauen kann, ist Stand heute noch ungewiss.
Miguel Angel Lopez (Astana)
Kolumbien, Kolumbien, Kolumbien: Miguel Angel Lopez ist bereits der dritte Kolumbianer in unseren Top 10. Hinter dem Profi vom Team Astana stehen dabei aber sicherlich die größten Fragezeichen. Der 22-jährige wird nämlich seine erste Grand Tour bestreiten. Bisher machte er bei den einwöchigen Rundfahrten auf sich aufmerksam. So konnte er in diesem Jahr bei der Tour de Suisse mit dem Gesamtsieg seinen bisher größten Erfolg einfahren. Danach legte er eine sehr lange Pause ein und bereitete sich auf das Olympische Straßenrennen und die Vuelta vor. Mit ihm ist zu rechnen, wenn er sich schnell an die Strapazen einer Grand Tour gewöhnen kann. Ihn direkt zu den absoluten Vuelta Favoriten zu zählen wäre aber wohl etwas zu hoch gegriffen.
Tejay Van Garderen (BMC)
Seit Jahren gehört Tejay Van Garderen zu den besseren Klassementfahrern, doch auch ihm blieb der endgültige Durchbruch bisher verwehrt. 2012 und 2014 fuhr er bei der Tour de France auf Rang fünf, doch diejenigen, die ihn als kommenden Gesamtsieger gesehen haben, wurden danach bitter enttäuscht. Ab und an lässt der US-Amerikaner sein Talent bei einwöchtigen Rundfahrten aufblitzen, doch mit seinen nunmehr 28 Jahren ist er längst aus dem Alter eines Talents herausgewachsen. Ergebnis werden nicht nur von seinen Fans, sondern auch von seinem Teamchef gefordert. In die diesjährige Tour de France ging er offiziell nur als Helfer von Richie Porte, doch nachdem dieser bereits sehr früh durch eine Panne viel Zeit verlor, hätte seine Stunde als Ersatzkapitän schlagen können. Doch auch diese Rolle konnte er nicht ausfüllen, so dass er am Ende keine Rolle spielte und in der Gesamtwertung lediglich 29. wurde. Nun will auch er die Vuelta nutzen, um das verkorkste Jahr 2016 doch noch zu retten. Wenn er zu alter Stärke zurückfinden kann, dann ist er sicherlich einer der Vuelta Favoriten auf eine Podiumsplatzierung.
Pierre Latour (Ag2r)
Frankreich hat einen weiteren talentierten Klassementfahrer: Pierre Latour vom Team Ag2r wurde in diesem Jahr bewusst nicht zu seiner ersten Tour de France geschickt – und das, obwohl er sich in guter Form präsentierte. Der erst 22-Jährige übernahm nämlich bei der Tour de Suisse kurzzeitig die Gesamtführung, musste dann jedoch angeschlagen aufgeben. Ein Start bei der Frankreichrundfahrt wäre aber sowieso noch kein Thema gewesen. Nun soll er sich zunächst einmal bei der Vuelta an den Ablauf einer Grand Tour gewöhnen. Gelingt ihm dies schnell, so darf man ihn guten Gewissens auf die Liste der Vuelta Favoriten setzen. Denn die Form scheint zu passen. Bei der Tour de l’Ain fuhr er vor wenigen Tagen auf Gesamtrang drei. Da ist noch Luft nach oben, die er bei der Vuelta auch brauchen wird. Ein heißer Kandidat für das Trikot des besten Jungprofis ist er aber in jedem Fall.